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Immer mehr Flüchtlinge in München – Politik ringt um Lösung

Das Wochenende dürfte in die Geschichte Münchens eingehen. Wohl niemals zuvor seit dem Krieg hat die Stadt innerhalb von nur zwei Tagen derart viele Flüchtlinge aufgenommen. In Berlin treffen sich die Spitzen der Koalition. Auch der Papst meldet sich zu Wort.

Berlin/München/Budapest (dpa) – Angesichts der dramatischen Zustände in Ungarn hat Deutschland in einer beispiellosen Aktion Tausende Flüchtlinge aufgenommen. Nach Tagen voller Strapazen in Ungarn kamen am Wochenende nach offiziellen Angaben etwa 15 500 Flüchtlinge nach Deutschland. Das wichtigste Ankunftsziel war der Hauptbahnhof in München. Viele der Menschen wurden von dort direkt in andere Bundesländer gebracht. Die EU ist derweil von einer Lösung der Krise weit entfernt, in Berlin beraten die Spitzen der Koalition.

In der Nacht werde ein weiterer Zug mit etwa 2200 Flüchtlingen erwartet, sagte Simone Hilgers, Sprecherin der Bezirksregierung. «Das hat unsere Erwartungen übertroffen», sagte sie. «Unsere Kapazitäten schwinden. Wir kommen an unsere Grenzen, und zwar sehr deutlich.»

Bei ihrer Ankunft in Deutschland waren viele Flüchtlinge entkräftet. Sie wurden – etwa in München – mit Applaus und Willkommens-Plakaten empfangen. Zuvor hatte sich die Lage in Ungarn zugespitzt. Am Budapester Ostbahnhof kampierten Tausende Flüchtlinge tagelang. Viele hatten sich zu Fuß in Richtung österreichische Grenze aufgemacht.

Angesichts der dramatischen Situation hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr österreichischer Kollege Werner Faymann am Freitagabend in Absprache mit der ungarischen Regierung eine Ausnahmeregelung vereinbart. Demnach durften die Flüchtlinge ohne bürokratische Hürden und Kontrollen einreisen. Wien verwies auf eine «Notlage» an der ungarischen Grenze. Ungarn stellte daraufhin Busse bereit und brachte die Flüchtlinge bis zur österreichischen Grenze, von dort ging es dann weiter. Viele Züge, darunter auch Sonderzüge, brachten die Menschen nach Deutschland.

Faymann kündigte am frühen Sonntagabend das schrittweise Ende der Notmaßnahmen an. Zudem werde es auch wieder stichprobenartige Personenkontrollen an der Grenze zu Ungarn geben. Wann damit konkret begonnen werden soll, blieb zunächst unklar.

Nach österreichischen Angaben kamen am Wochenende insgesamt 15 000 Flüchtlinge von Ungarn aus über die Grenze. Die meisten seien nach Deutschland weitergereist, wie ein Sprecher des österreichischen Innenministeriums am Sonntagabend auf Anfrage der Nachrichtenagentur APA mitteilte. Das Ministerium bestätigte demnach einen ORF-Bericht, wonach von den Flüchtlingen lediglich 90 einen Asylantrag in Österreich gestellt haben.

In den Bundesländern stellten die Behörden zusätzliche Unterkünfte bereit. Dem Bundesinnenministerium zufolge wurde rund die Hälfte der am Samstag in Bayern angekommenen Flüchtlinge auf andere Bundesländer verteilt.

In der Koalition löste die Entscheidung von Kanzlerin Merkel zur Aufnahme der in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge Streit aus. Massive Kritik kam von der CSU. Die erteilte Einreiseerlaubnis sei eine «falsche Entscheidung», sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer.

CSU-Chef Horst Seehofer forderte von Merkel eine klare Position bei der Verteilung der Flüchtlinge in der EU. «Wir können nicht als Bundesrepublik auf Dauer bei 28 Mitgliedsstaaten beinahe sämtliche Flüchtlinge aufnehmen», sagte der bayerische Ministerpräsident am Sonntag. «Das hält auf Dauer keine Gesellschaft aus.»

Seehofer kündigte intensive Gespräche mit Merkel beim Koalitionsgipfel am Sonntagabend in Berlin an. Bei dem Treffen im Kanzleramt sollte unter anderem geklärt werden, wie viel Geld der Bund den Ländern und Kommunen für die Flüchtlingshilfe zusätzlich zur Verfügung stellen will.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann dagegen begrüßte die Einreise-Entscheidung: «In einer so außergewöhnlich dramatischen Situation ist es absolut richtig, den Menschen erst einmal Zuflucht zu gewähren.» Nun gehe es aber um europäische Solidarität.

Die EU allerdings ist weiter zerstritten und ringt um Lösungen. In der Debatte über eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen gab es am Wochenende auch bei einem EU-Außenministertreffen in Luxemburg kaum Fortschritte. Vor allem osteuropäische EU-Mitgliedsländer wehren sich gegen verbindliche Regeln. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker will am Mittwoch ein Konzept zur Verteilung von 120 000 weiteren Flüchtlingen auf EU-Staaten vorstellen.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) rief zu einem «gemeinsamen Kraftakt» auf. Alle Ebenen, von den Kommunen über die Bundesländer bis hin zu den EU-Partnern, müssten dazu beitragen, «diese historische Herausforderung zu bewältigen», sagte er der «Süddeutschen Zeitung» (Montag). Zugleich forderte er mehr Hilfe für die Menschen in den Flüchtlingslagern im Nahen Osten.

Papst Franziskus rief zu mehr Solidarität und Hilfe auf. «Ich appelliere an alle Pfarreien, religiösen Gemeinschaften, Klöster und Wallfahrtsorte in ganz Europa (…), eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen», sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche am Sonntag nach dem Angelus-Gebet auf dem Petersplatz in Rom.

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