Fröhliche Gastgeber, geschmackvolle Möbel, schneebedeckte Gipfel ringsum – ein Hôtel de Charme nennt sich diese Liebe zum Detail, bei der jedes Möbelstück, jedes Accessoire ins Bild passt. Mit den grazil gegliederten und dreifach gerahmten Originaltüren aus der Bauzeit der Villa um die Jahrhundertwende, lackiert in dezentem Weiß und Hellgrau. Mit Dielen, deren warmer Orangeton fast eine Schellacklasur vermuten lässt. Mit zierlichen Jugendstilkronleuchterlein, Radierungen und kleinen Gemälden statt billigen Drucken.
Nach dem steilen Waldlauf ein korsisches Menü mit musikalischer Begleitung – eigentlich eine Beleidigung für die zwei jungen Sänger und Gitarristen. Aber bald ist das Essen eine schöne Nebensache und alles schwelgt in den Melodien, die den meisten Gästen wohlvertraut sind. Ein durchbrochener Raum, graue Ledersessel, Eindruck eines kleinen Salons des 19. Jahrhundert. Der Maître erklärt zwischendurch, wie schwierig die Lieder auf der Gitarre zu spielen sind, schüttelt den Kopf ob der Fingerfertigkeit der Artisten und läuft durch sein Reich um jeden Gast mit glänzenden Augen zu fragen „Ça va? C’est bien, eh?“
Im Rhythmus der Macchia
Zur gemischten Wurstplatte mit diversem Geräucherten, Wildschweinsalami, Salzgurken und Baguette, wählen wir einen leichten Rosé, Domaine Renucci, Cuvée Vignola, 2012, Corse Calvi. Jetzt greift der Chef selbst zum Gerät und stimmt ein in den dreifachen Männergesang, schönere Stimmen als die einschlägigen Korsen-CDs, und die sieben Pärchen im mittleren bis fortgeschrittenem Alter summen, klopfen und wackeln begeistert mit im Rhythmus der Macchia. Die hausgemachten Canneloni mit würziger Brocciu-Füllung passen zu den wildromantischen Berg-Chansons. Die jungen Männer werden geherzt und gefüttert, der Patron stellt einen doppelten, ach was dreifachen korsischen Whiskey aufs Musikertischchen, auf dem erwartungsfroh auch eine Geige auf ihren Einsatz wartet.
Jetzt natürlich noch der korsische Käsekuchen, ehe es ans Eingemachte Schnapslager geht. Ah, es wird revolutionär, der Patron und der Sänger heben die Faust, aber es bleibt beim feuchtfröhlichen Bekenntnis – nicht, dass schlechte Menschen keine Lieder hätten, aber wer singt, lacht und sitzt, schießt nicht. Inzwischen ist die korsische Großfamilie mit mächtigem Tamtam aufmarschiert. Der Patron schließt seinen Bruder und dessen Gefolge glücklich in die Arme und ist ständig am Telefonieren – schließlich sollte diesen langen korsischen Abend niemand verpassen.
Was wollt ihr hören ?
„Quelle Chanson vous voulez écouter?“, fragen die Musiker. Was wollt ihr hören? „Che Guevara“, zischt es von manchem 68er Tisch und der nette Niederländer aus Harlem, ein Controller bei der Stadt, hält es trotz steifen Fußes nicht mehr auf seinem Platz. „O sole mio“, der Patrone haut gefühlvoll in die Tasten, „House of the Rising Sun“, in der französischen Version, unser Vorschlag „Il Partezano“ wird wohlwohlend diskutiert – „mais oui, il Partezano, Bella ciao, Bella Ciao, Bella ciao, ciao, ciao“ – kann sich dann aber doch nicht gegen die uralten korsischen Weisen durchsetzen. Ist ja auch gut so.
Nach dem dritten Myrthenschnaps kapitulieren wir – schließlich bestehen die Musiker jetzt auf das vereinbarte Mitternachtsmahl. Doch wie bei Asterix bei den Spaniern weckt uns noch manches korsische Olé aus dem unruhigen Schlaf. Mme. Wirtin und M. Wirt waren den folgenden Sonntag im Hause nicht gesehen. Ruhetag, basta!