DeutschlandPolitik

Zuwanderung in Schwarzgelbgrün

Es ist eine der schwierigsten Fragen auf dem Weg in eine mögliche Koalition: Wie wollen Union, FDP und Grüne umgehen mit Flüchtlingen und anderen Migranten? Schnelle Antworten zeichneten sich nicht ab.

Berlin (dpa) – Angesichts vieler ungelöster Streitpunkte steuern die Jamaika-Sondierer beim Kernthema Zuwanderung auf eine Entscheidung in letzter Minute zu. Die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen wollten sich am Dienstagabend unbegrenzt Zeit für diese Frage nehmen. Es war aber nicht davon auszugehen, dass bereits eine weitgehende Verständigung erreicht würde. CSU-Chef Horst Seehofer sagte mit Blick auf den bis spätestens in der Nacht zu Freitag geplanten Abschluss der Sondierungen: «Noch zweimal schlafen, dann wissen wir Bescheid.» Offen war auch, ob es zu Fortschritten in weiteren konfliktträchtigen Themen wie Landwirtschaft, Verkehr und der Außenpolitik kommen würde.

Der Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir, und die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kommen am 14.11.2017 zu den Sondierungsgesprächen von CDU, CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen in der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin.

Beim Streitpunkt Familiennachzug für im Land lebende Flüchtlinge sieht Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) «keinen Spielraum» in den Beratungen. «Für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus sehe ich keine Möglichkeit, den Familiennachzug wieder zuzulassen», sagte er der «Passauer Neuen Presse» (Dienstag). Für Flüchtlinge mit eingeschränktem (subsidiärem) Status ist der Nachzug von Angehörigen bislang bis kommenden März gestoppt – die Grünen wollen danach den Nachzug wieder ermöglichen.

Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Joachim Stamp, der für die FDP mitverhandelt, sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Die Frage, ob insgesamt der humanitäre Zuzug von Asylbewerbern, unterschiedlichen Flüchtlingsgruppen und ihren Angehörigen begrenzt und gesteuert wird, ist der zentrale Streitpunkt, an dem ein Gesamtkonzept scheitern kann.» Er schlug vor, «statt einer fixen Zahl einen Zielkorridor zu vereinbaren, der sich an den Zugangszahlen des Jahres 2017 orientiert und zwischen 150 000 und 250 000 Zugängen liegt». Die Unionsparteien wollen einen eigenen Kompromiss durchsetzen, der mit Bedingungen einen Zielwert von maximal 200 000 Flüchtlingen pro Jahr vorsieht.

Der CSU-Vorsitzende, Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer.

FDP-Unterhändler Stamp gab sich zuversichtlich für eine Verständigung bei der Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte. Einig sei man sich, dass es für das Grundrecht auf Asyl keine Obergrenze geben solle. Auch die Einsicht, dass gut integrierte Flüchtlinge ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten sollten, scheine sich durchzusetzen.

Zuvor sollte am Dienstag über «Arbeit, Rente, Gesundheit, Pflege, Soziales», «Wirtschaft, Verkehr», «Außen, Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit, Handel» und «Landwirtschaft, Verbraucherschutz» beraten werden. Die vier Parteien haben sich bis in die Nacht zu Freitag Zeit gegeben, ein gemeinsames Papier zu erstellen. Damit wollen sie in ihren jeweiligen Gremien für grünes Licht zum Einstieg in formelle Koalitionsverhandlungen werben.

Der FDP-Parteivorsitzende Christian Lindner.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter pochte auf eine «Verkehrswende» und den Umstieg auf emissionsfreie Mobilität als elementare Position seiner Partei. «Durchwursteln nach dem Prinzip Hoffnung geht in diesem Bereich für uns Grüne nicht», sagte er der «Neuen Osnabrücker Zeitung» (Mittwoch). CSU-Vize Manfred Weber warf den Grünen erneut unrealistische Positionen vor. «Wer beispielsweise die Abschaffung der Diesel-Technologie fordert, geht nicht realistisch ran.» In vielen ländlichen Bereichen würden Verbrennungsmotoren auf längere Zeit gebraucht, sagte er dem Südwestrundfunk.

Die Energie-Gewerkschaft IG BCE warnte vor einem «Geschachere» um Kohlekraftwerke zu Lasten der Beschäftigten. Dies würde den Widerstand der Gewerkschaft zur Folge haben, sagte Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis der dpa. Er sprach sich dafür aus, das Klimaschutzziel der Bundesregierung für das Jahr 2020 – 40 Prozent CO2-Minderung im Vergleich zu 1990 – zeitlich zu strecken.

Die FDP fordert weiter die Abschaffung des im Grundgesetz verankerten Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich. «Die Aufgabenteilung «ist nicht mehr Teil der Lösung, sondern längst zum Problem geworden», schrieb Parteichef Christian Lindner in einem Gastbeitrag in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (Dienstag). Im Fall einer Koalition wollen die Parteien Grundschülern einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung gewähren. Das Ziel hätten die Unterhändler grundsätzlich festgehalten, berichtet die «Rheinische Post». Uneinig seien sich die Unterhändler aber bei der Umsetzung.

Aus Sicht der CDU geht es in den Beratungen voran. «Die Chancen für Jamaika sind gestiegen. Ich bin zuversichtlich, dass es gelingt und wir am Freitag ein positives Sondierungsergebnis haben werden», sagte Kauder. Generalsekretär Peter Tauber sagte in einem CDU-Video: «Man merkt deutliche Fortschritte, es gibt Kompromissbereitschaft auf allen Seiten.» Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte: «Wir sind in sehr vielen Punkten noch weit auseinander.» Alle müssten sich in den Gesprächen bewegen.

Ähnliche Artikel

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"