Zur Linken die befestigte Altstadt, zur Rechten die unförmig ausgegossene Neustadt angefangen bei stattlichen Bürger-Palazzi des 19. Jahrhundert vorbei an den großen SNCM-Fähren in strahlendem Weiß-Blau, allez les Bleus, bis zu den Betonbalkon-Agglomerationen, die sich einige Kilometer nach Norden hochschieben, wie erstarrte Lava – hier hat die FNLC geschlafen. Immerhin, je höher wir Richtung Cap Corse blicken, desto lichter die verbauten Hügel. Es war Nacht, und wir waren froh, Richtung Süden zu entkommen – raus aus dem Feierabendverkehr, rein in den Stau vorm Fußballstadion Stade Armand Cesari des SC 1905 Bastia.
Die korsische Flagge
Jetzt gibt Korsikas Sonne zum Abschied ihr Letztes und auf der Fähre fanfart die heimliche korsische Hymne scheppernd aus den Lautsprechern der gelb-weißen Corse-Ferry mit dem Mohrenkopf als Emblem. Das allgegenwärtige Symbol der widerspenstigen Insel, das selbstbewusste Profil eines Afrikaners mit trotzigem weißen Stirnband, das so wildromantisch an eine Rebellen-Ikone à la Che Guevara erinnert, ist in trauriger Wirklichkeit die Verfremdung des Originals – ein abgeschlagener Sklavenkopf mit verbundenen Augen, die drakonische Strafe eines genuesischen Herrschers für den angeblichen Verrat des Dieners. Mitnichten also ein brauchbares Rollenmodell für Liberté, Égalité, Fraternité. Das mutmaßliche Original kann man in einer Gasse, die zum Alten Hafen Bastias führt, als Ladenschild entdecken.
Anders, als bei der Ankunft sehen wir jetzt hinter der Kulisse dieser Hafenstadt die großzügigen, Platanen und Palmen beschatteten Plätze vor dem geistigen Auge, die Fußgängerzone mit dem skurrilen Mix alter Trödelläden und neuer Filialisten, den beiden düsteren Barockkirchen Oratoire de l”immaculée Conception, innen ganz in purpurrote Stofftapete gekleidet. Der nostalgische, modrig duftende Bogen des Alten Hafens, die kuriosen Steinruinen und Gerippe alter Häuser auf dem Weg zur Zitadelle, wo auch die Regionalvertretung untergebracht ist.
Der Ausblick zwischen Burgmauern und Burgviertel auf den Campo hinab auf das Meer und den Hafen – die Umkehrung des Blickes von gestern Abend, als nach drei Pression und zwei Piña Colada ein rosa Schleier der Schwermut den Abendblick kolorierte. Da konnten wir uns bereits abfahren sehen, die große Kehrtwende der gelben Fähre vorbei an den beiden Leuchttürmen und dann Kurs hoch zu Kap Corse ehe sie nach Osten Richtung Livorno am Horizont abtauchte. Die Insel des vorigen Tages. Heute genau spiegelverkehrt, werden die Ausläufer dieses dünnen Streifens Nordkap ganz sacht im Dunst schmelzen. Übrig bleibt nur die federweiße Wolkenkrone im strahlend blauen Himmel, die vor den hohen korsischen Gipfeln kapituliert.
Das Wirtschaftszentrum der Insel
Bastia, die zweitgrößte Stadt (48.000 Einwohner) der Insel, aber das wirtschaftliche Zentrum und Hauptstadt des Départements Haute-Corse, konkurriert um Bedeutung mit der Süd-Metropole und Hauptstadt der ganzen Region Korsika, Ajaccio. Ob Vorteil oder Belastung, Bastia ist im Sommer Anlaufstation von täglich rund 20.000 Passagieren der Fähren vom überwiegend italienischen Festland.
Rund um den alten Hafen, im Volksmund auch Terra Vecchia, dort wo die genuesischen Präfekten ihre Galeeren mit korsischem Diebesgut füllen ließen, und an der ausgedehnten Place St-Nicolas mit Napolèon als Herkules, hat sich die „Bastion“ aus dem 14. Jahrhundert ihren herb-herzlichen Matrosencharme erhalten. Die Cafés des Boulevard Paoli quellen über von Franzosen, Italienern, Deutschen, Niederländern und korsischen Müßiggängern.
Drinks mit träumerischem Meerblick
Oben auf der Zitadelle, wo die Citadelle Bar (Rue Saint Michel), zu allen Tageszeiten zu Pizza und Drinks mit träumerischem Meerblick einlädt, ballen sich die architektonischen Denkmäler. Das Haus der noblen 12 provoziert zum Fantasieren. Daneben der Genueser Gouverneurspalast von 1380, in dessen Kerkern lange Jahrhunderte die korsische Rèsistance vermoderte.
Am Ende einer Quergasse die Oratoire de la Confrerie de Sainte Croix, das der Verkündigung geweihte Gebetshaus der Brüderschaft des Hl. Kreuzes, 1543 erbaut auf einem Platz, der zu der Kathedrale gehörte. 1600 wurde sie zur jetzigen Größe ausgebaut. Die Kirche beherbergt der Legende zufolge die Kapelle des Hl. Kreuzes der Wunder, die angeblich 1428 entdeckt wurde, als sie auf dem Meer trieb. Die reiche Dekoration an Wänden und Decke wurde im 18. Jahrhundert komplett restauriert, nachdem die Gewölbebögen 1745 durch den Beschuss der Englischen Flotte ernsthaft beschädigt worden waren. Der vergoldete Stuck aus den Jahren 1758 bis 1775 stammt von ligurischen und korsischen Künstlern.
Bastia wird Bistumssitz
1570 wurde das Bistum von Mariana nach Bastia verlegt. anschließend die Kathedrale der Hl. Maria von Assumption zwischen 1604 und 1619 an der Stelle einer kleinen Vorgängerkirche von 1489 errichtet. Der 38 Meter hohe Turm stammt von 1620. Die Kathedrale beherbergt einige außergewöhnliche Kunstwerke wie das hölzerne Retabel mit der Mariä Himmelfahrt von Leonardo dell”Aquilla von 1512, den großen Altar in polychromem Marmor aus dem 18. Jahrhundert sowie die Orgel der berühmten Serassi-Brüder, die 1844 eingebaut wurde. Sieben alte Bischofshüte hängen kurioserweise hoch oben auf eisernen Haken überm Chorgestühl – ein Symbol dafür, dass hier sieben Bischöfe in Ausübung ihres Amtes starben und in der Krypta begraben liegen.
Der Konvent der Klarissinnen gleich daneben, gegründet 1600, beherbergte ungefähr 60 Nonnen. Sie gehörten den besten Familien der Insel an und waren zur Erziehung der Mädchen der High Society auserkoren. Auf der ersten Stufe der Eingangstreppe ließen die frommen Schwestern Dantes berühmten Satz „Lasset alle Hoffnung fahren, die, die ihr hier eintretet“ gravieren. Wer einmal eintrat, verließ den Konvent nie wieder. Säkularisiert während der Revolution wurde der Konvent anschließend militärisch genutzt. 1818 wurde er zu einem Gefängnis umgebaut. Die Gefangenen, die bisher in den Kellergewölben des Gouverneurspalastes untergebracht waren, wurden hierher verlegt. Es wurde noch bis 1993 als Gefängnis genutzt.
Die Lichter des Alten Hafens
Ein schöner Nachtspazierganz zurück zum Alten Hafen, dessen Lichter jetzt im schwarzen Brackwasser funkeln, strahlende Kirchtürme im Sichelmond bestandenen Nachthimmel, alles glänzt jetzt etwas mondäner und einladender, so dass wir uns auf einen Absacker gleich hinter Napoléon auf der Place St Nicolas überreden lassen, eine letzte Piña Colada im Fässchen, dann zurück zum nüchternen Hotel Rivera mit der freundlichen Rezeptionistin – der ersten Korsin, die bisher Deutsch sprach.