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Viel besser als ihr Ruf: 72 Stunden in Mexico City

Sie glauben, Mexiko-Stadt sei vor allem ein Moloch? Dann liegen Sie falsch. Die Riesen-Metropole bietet alles, wonach sich Städtereisende sehnen. Wir haben Tipps für drei Tage.

Manchen Städten eilt ein zweifelhafter Ruf voraus. Zu groß, zu schmutzig, womöglich gefährlich. Also macht man sich auf den Weg und schaut nach, ob das stimmt.

Oft wird man überrascht: Jeder neue Tag an dem fremden Ort befeuert die kindliche Neugier, schließt die Menschen fester ins Herz, treibt wunde Füße durch endlose Straßen. Man will alles sehen und niemals rasten. Bis man doch kapituliert. Mexico City ist so eine Stadt.

Das Zentrum des Landes liefert, was eine Weltmetropole ausmacht: Glanz und Geschichte, Prunk und Paläste, wilde Architektur, eine international gefeierte Gastroszene, Hoch- und Subkultur.

Am besten verbringt man in dieser Stadt mindestens eine ganze Woche. Und wenn die Zeit dafür nicht reicht auf einer Mexiko-Rundreise? Dann kommt hier ein Kompaktprogramm für drei Tage.

Tag eins: Das Centro Histórico – wo alles begann

Tourguide und Architektur-Kenner Santiago Garcia de Vinuesa rät dazu, die Erkundung Mexico Citys im historischen Zentrum zu beginnen. Am Zócalo, dem gewaltigen Hauptplatz, liegt der Geburtsort der Kapitale: Tenochtitlán, die einstige Hauptstadt des Azteken-Reichs, deren Überreste heute unscheinbar daliegen. Die Ruinen des Templo Mayor werden hier überstrahlt von der größten Kathedrale des amerikanischen Kontinents, einst Symbol imperialer Macht der spanischen Eroberer.

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts umfasste das heutige historische Zentrum im Prinzip die ganze Stadt. «Deshalb gibt es hier so viele versteckte Juwelen und Gebäude aus allen Epochen», sagt Santiago auf einem Streifzug. «Es ist ein hektisches Viertel, weil jeder zum Shoppen herkommt. Aber es ist auch sehr echt.»

Unbeholfen lässt man sich treiben vom Menschenstrom, schaut ständig nach links und rechts, obwohl die Autos immer nur aus einer Richtung kommen. Der disharmonische Sound der Organijeros – das sind Orgelspieler in Uniform – untermalt das chaotische Treiben angemessen, erhöht aber den Stress, wenn man sich zu orientieren versucht.

In Momenten der Überwältigung hält man am besten Ausschau nach Torbögen, die in Innenhöfe nobler Kolonialpalästchen führen – und dort zum Beispiel zum Restaurant Azul Historico (Isabel La Católica 30) des renommierten Küchenchefs Ricardo Muñoz Zurita.

Als Mexiko-Stadt europäisch sein wollte

Auf dem Weg in westliche Richtung passiert man eine Reihe imposanter Sehenswürdigkeiten, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden – nach der Unabhängigkeit, unter der Regentschaft von General Porfirio Díaz. Damals orientierte sich die Oberschicht an Frankreich. Es entstanden prächtige Bauten im Jugendstil wie der Palacio de Hierro – ein gehobenes Einkaufszentrum – und das noble Gran Hotel Ciudad de México mit seinem bunten Dach aus Tiffany-Glas.

Der Palacio Postal, das alte Hauptpostamt, erinnert wiederum an einen venezianischen Palast. Und das Kulturzentrum Palacio de Bellas Artes zeigt einen wilden Mix aus Architekturstilen, von Neoklassizismus über Art Nouveau bis Art déco – typisch für Mexiko-Stadt.

Mexico Citys Architektur vereine so viele verschiedene Stile, weil die Führer der Stadt sich so vieler Einflüsse bedient hätten, sagt Santiago. Sie wollten die Stadt europäischer machen. Sie ließen sich vom Lifestyle amerikanischer Vorstädte inspirieren. Aber sie schauten auch in die präkolumbianische Vergangenheit, um Identität zu finden. «All das, während man versuchte, modern und kosmopolitisch zu sein.»

Noch ein Tipp: das Sekretariat für öffentliches Bildungswesen (Secretaría de Educación Pública). Dort können Besucher Wandgemälde des Künstlers Diego Rivera bestaunen. Sie entstanden nach der mexikanischen Revolution Anfang des 20. Jahrhunderts. Rivera zählt zu den bedeutendsten Malern der Moderne in Mexiko.

Bar-Hopping und Party in der Zona Rosa

Wer abends nicht müde ist, sollte für mindestens einen Drink ins angesagte Viertel Roma. Dort empfiehlt sich ein Mezcal-Cocktail mit rauchiger Ananas in der Licorería Limantour, die auf der Liste der 50 besten Bars der Welt 2022 den vierten Rang belegte.

Zum Tanzen geht es anschließend in die Zona Rosa, Partyviertel und Magnet für die LGBTQ-Gemeinschaft. Hier liegen viele Schwulenbars und -clubs. Tagsüber locken die Kunstgalerien in der Nachbarschaft. Antiquitätengeschäfte präsentieren steinerne Löwen, Jesus-Gemälde, Mahagoni-Sekretäre mit goldenen Intarsien und Stühle im Louis-XIV-Stil. Zugegeben, nichts fürs Handgepäck.

Tag zwei: Kunst, Kultur und Bohemiens

Wo sich der Reisende in der Fremde an Bekanntes erinnert, fühlt er sich gleich abgeholt. Kein Wunder, dass die Viertel Roma und Condesa mit ihren Brunch-Lokalen, Boutiquen und würdevoll abgerockten Häuserfassaden so viele Besucher anziehen. Man wähnt sich vielleicht in Rom oder Barcelona, jedenfalls irgendwo in Europa.

Am besten flaniert man durch die Straßen, schaut und entdeckt. Im Parque Mexico kann man auf einer Bank etwas Energie tanken und betuchten Mexikanerinnen, die an einem Montag offenbar nicht malochen müssen, beim Frühsport zuschauen. Roma und Condesa sind natürlich komplett aufgewertet und für mexikanische Verhältnisse sehr teuer.

Eine Mittagsempfehlung ist das Fisch-Restaurant Contramar (Calle de Durango 200), wo einem virtuose Kellner ausgezeichnetes Thunfisch-Sashimi servieren – sofern man als auswärtiger Besucher einen Platz bekommt. Hier speisen und palavern erfolgreiche Bohemiens und alle anderen, die es geschafft haben – Kreative mit dicken Ringen und schmalen Bärten, Society-Damen mit XXL-Sonnenbrillen, aber auch gewöhnliche Geschäftsleute.

Eine andere Adresse, die häufig empfohlen wird, ist der Mercado Roma (C. Querétaro 225). Der Food Market bietet unter anderem Tacos, Paella, Ceviche, vegane italienische Snacks und bunte Smoothies. Die Markthalle könnte so allerdings in nahezu jedem Hipster-Viertel von Bushwick bis Berlin Kreuzberg stehen, was sie im Grunde austauschbar macht.

Museums-Hopping rund um den Chapultepec-Park

Nicht weit entfernt liegt der große Stadtpark Chapultepec. Wer dort die Flaniermeile mit den fliegenden Händlern meidet, findet Ruhe auf einsamen Spazierwegen. Springbrunnen plätschern, ein Pferdekarussell steht still, Eichhörnchen hopsen Bäume hinauf. Ein Arbeiter schläft in einer Schubkarre. Der Autolärm ist angenehm fern.

Zum Faulenzen ist die Gegend allerdings zu interessant. Rund um den Park befinden sich mehrere kulturelle Highlights, allen voran das imposante Nationalmuseum für Anthropologie (Museo Nacional de Antropología). Sehenswert sind auch die Museen für moderne und zeitgenössische Kunst (Museo de Arte Moderno und Museo Tamayo) und die Casa Barragán, einstiges Atelier des Architekten Luis Barragán.

Das Castillo de Chapultepec geht als Kuriosum durch. Einst von den spanischen Kolonialherren erbaut, diente das Schloss Maximilian I. ab 1864 als kaiserliche Residenz. Der Österreicher wurde wiederum von den Franzosen, die sich in Mexikos innere Angelegenheiten einmischten, als Marionetten-Regent eingesetzt. Und drei Jahre später umgebracht. Heute befindet sich im Schloss ein historisches Museum.

Wer noch nicht genug Kunst gesehen hat, besucht das Nobelviertel Polanco nördlich des Parks. Dort wartet das avantgardistische Museo Soumaya, ein Prestigeprojekt des mexikanischen Milliardärs Carlos Slim, mit Bildern bedeutender Maler Europas – und der größten Skulpturensammlung des Bildhauers Auguste Rodin. Gleich nebenan steht das Museo Jumex mit zeitgenössischen Werken von Warhol bis Naumann.

In Polanco lebt die Oberschicht. Deshalb Sicherheitsleute überall, Strom und Stacheldraht an den Häusern, Dogwalker und Straßenfeger. Wer hier viel hat und wer gerade so durchkommt, sieht man auf den ersten Blick. Es kommt zu absurden Szenen: Vor einem Designershop warnt ein Wachmann – schnell zur Seite treten! Der Boden bewegt sich plötzlich, aus einer unterirdischen Garage fährt ein SUV nach oben.

Freunde des Fine Dining reservieren in Polanco einen Tisch im Pujol (Tennyson 133), einem der angesagtesten Restaurants der Welt.

Auf der Suche nach dem besten Street Food

Das Kontrastprogramm zur Sterneküche bietet eine abendliche Street-Food-Tour. Guide Clarissa Obregón schätzt, dass die Mehrheit der Mexikaner auf der Straße isst. Die meisten arbeiteten sechs Tage die Woche, die Zeit sei also knapp. «Deshalb brauchen wir gutes Street Food.» Und das findet man in Mexico City an jeder Ecke.

Los geht‘s in Condesa mit Tortas de cochinita pibil, Sandwich mit geschmortem Schweinefleisch. Weiter in Richtung San Rafael, einst Villenviertel, heute Mittelklasse: Ein Straßenverkäufer, der durch Youtube bekannt wurde, macht Tacos Campechanos mit Chorizo und Rind.

Dann ab in eine düstere Pulqueria, wo das gewöhnungsbedürftige Nationalgetränk Pulque aus fermentiertem Saft in drei Versionen serviert wird. «Wir sagen, es macht dich gesellig und ein bisschen horny», sagt Clarissa. «Und es heilt gebrochene Herzen.» Na dann!

Auf dem Mercado de San Cosme geht‘s weiter mit frittierten Quesadillas, dann folgen Tamales, gefüllter Maisteig, und Atole, ein schwerer, heißer Drink ebenfalls aus Mais. In Santa Maria wartet der Stand von Aaron mit Hühnchen plus Mole, einer klebrig-köstlichen Soße aus mehr als 40 Zutaten. Obwohl der Magen dicht macht, isst man weiter, einfach weil‘s so vorzüglich schmeckt. Mezcal hilft.

Tag drei: Coyoacán und die Lagune von Xochimilco

Zeit für etwas Entspannung am dritten Tag. Dafür empfiehlt sich das eher gemütliche Viertel Coyoacán im Süden. Touristenmagnet ist dort das kobaltblaue Frida-Kahlo-Museum, Geburtshaus und Wirkungsstätte von Mexikos berühmtester Künstlerin, auch Casa Azul genannt.

Von dort lohnt ein ausgedehnter Spaziergang bis hinab zur ältesten Universität des Kontinents, der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM). Der Campus zählt zum Unesco-Weltkulturerbe. Fotomotiv ist die mit Wandbildern verzierte Zentralbibliothek.

Unterwegs läuft man vorbei an alten VW-Käfern und netten Cafés in verschlafenen Hinterhöfen. Manche Mauern sind von Blumen überwuchert, andere verbergen enormen Wohlstand. Straßenverkäufer bauen morgens ihre Stände auf, im Park spielt eine Band, Menschen führen ihre Hunde aus. Tipp: Im Artesanías-Markt gibt es schöne Souvenirs.

Am Nachmittag empfiehlt sich dann eine Tour durch die Kanäle von Xochimilco, einst angelegt für die Landwirtschaft, heute beliebtes Ausflugsziel. Rund 1500 Trajineras gondeln vorbei an künstlichen Inseln. Sie transportieren Großfamilien, Pärchen und Touristen. Auf den bunten Booten wird gefeiert, getrunken und geschmust. Schwimmende Händler verkaufen Bier und Snacks. Je tiefer man in das Netz aus Wasserwegen hineinfährt, umso ruhiger wird es.

Grotesker Höhepunkt ist die Isla de las Muñecas, die Insel der Puppen, die – teilweise schaurig verwittert – zu Dutzenden in den Bäumen hängen. Der Legende nach ertrank hier ein Mädchen. Ein Fischer fand die Leiche und daraufhin immer wieder angetriebene Puppen, die er aufhängte, um den Geist des toten Mädchens zu vertreiben.

Das hört sich unheimlicher an, als es vor Ort am Ende aussieht – genauso wie ein Besuch von Mexico City selbst.

Info-Kasten: Mexiko-Stadt

Anreise: Lufthansa fliegt von Frankfurt/Main direkt nach Mexiko-Stadt, von anderen deutschen Flughäfen gibt es Verbindungen mit einem Zwischenstopp. Vom Drehkreuz Cancún in Yucatán starten täglich günstige Inlandsflüge in die Hauptstadt.

Einreise: Deutsche Staatsangehörige brauchen für die Einreise nach Mexiko einen gültigen Reisepass. Eine ausgefüllte Touristenkarte muss bis zum Ende der Reise aufbewahrt werden.

Klima und Reisezeit: Mexico City liegt auf rund 2300 Metern. Die Trockenzeit von November bis Mai gilt als beste Reisezeit. Tagsüber ist es dann warm, aber nicht heiß. Nachts kühlt es spürbar ab.

Geld und Währung: 1 Euro sind knapp 21 Mexikanische Pesos (Stand: 21. Dezember 2022). Bargeld bekommen Reisende am Bankautomat. In vielen Läden und Restaurants lässt sich mit Kreditkarte bezahlen.

Verkehr: Das günstigste und bequemste Transportmittel ist Uber.

Sightseeing: Stadtführungen von Einheimischen über Gyde & Seek. Street-Food-Touren über Eat Like a Local.

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