Limone Piemonte (dpa/tmn)– Links eine überhängende Felswand, rechts ein Abgrund von vielen hundert Metern, dazwischen eine Schotterpiste keine zwei Finger breiter als das Auto – solche Szenen kennt man sonst nur aus unscharfen Youtube-Videos über die gefährlichsten Straßen der Welt, irgendwo in den Anden oder im Himalaya.
Doch das ist hier ist keine Expedition in Südamerika oder Asien, sondern ein Ausflug in die Alpen und obendrein eine normale Straße – oder zumindest das, was sie im nordwestlichsten Zipfel Italiens an der Grenze zu Frankreich dafür halten.
Denn seit das Militär hier vor bald 150 Jahren damit begonnen hat, Grenzforts und Kasernen an die Gipfel zu kleistern, zieht sich ein engmaschiges Netz an Pisten und Pfaden durch die Seealpen. Heute dienen die Straßen friedlichen Freizeitzwecken, sie bieten Autofahrern aber reichlich Abenteuer.
Maut und Autolimit auf der Kernstrecke
Die mit Abstand berühmteste dieser alpinen Pisten ist die Alta Via del Sale, die Hohe Salzstraße: Weil sie dauerhaft auf mehr als 1800 Metern verläuft und teils bis an 2100 Meter kratzt.
Mal in Italien und mal in Frankreich erstreckt sie sich über rund 60 ebenso schottrige wie schartige Kilometer von Limone Piemonte nach Monesi di Triora.
Sie ist so spektakulär und damit anziehend für Touristen, dass die Anrainer-Kommunen auf dem etwa 30 Kilometer langen Kernstück dieser Straße eine Mautregelung eingeführt haben. Mit dem Ticket für 20 Euro und einer Limitierung auf wenige Hundert Fahrzeuge am Tag stellen sie sicher, dass es nicht zu voll wird. Dienstags und donnerstags gehört die Strecke den Wanderern und Mountainbikern alleine.
Nur nicht die Nerven verlieren, wenn‘s eng wird
Zwar ist die Auto-Zahl auf dem Kernstück der Hohen Salzstraße limitiert, doch weil sie in beiden Richtungen befahren werden darf, kommt es trotzdem oft zu Verzögerungen. Immer wieder muss man Ausweichstellen suchen und dafür teils mehrere hundert Meter rückwärts rangieren.
Meist gibt es keine Leitplanken, man muss deshalb schon gut fahren können, sein Auto und die Abmessungen entsprechend kennen. Nicht umsonst warnt der Denzel-Alpenstraßenführer vor hohen physischen und psychischen Belastungen und stuft die Strecke auf einer Skala von 1 bis 5 mit dem Schwierigkeitsgrad 4 bis 5 ein.
Damit sei die Alta Via del Sale eine «auch für Berggewohnte schwierige Strecke (und) erfordert ein weit über den Durchschnitt herausragendes fahrerisches Können», heißt es in dem Führer.
Wenn der Bergbauer im Transporter entgegenkommt
Auch wenn es vor allem schwere Geländewagen sind, die man auf der Strecke sieht – Overlander mit Dachzelt und aufgebockte Vans – kann man diese ligurische Grenzerfahrung auch mit modernen SUV problemlos bewältigen. Oder mit ganz konventionellen Kleinwagen.
Deshalb fühlt man sich auch nur so lange wie ein heimlicher Expeditionsleiter bei einem Offroad-Abenteuer, bis man hinter der nächsten Kurve einen Fiat Panda entdeckt oder ein örtlicher Bergbauer im Kleintransporter entgegenkommt.
Im Tal schlafen – oder bei den Kühen auf der Hütte
Wer es eilig hat, dem reicht an der Alta Via del Sale ein Tag aus. Doch wer nicht nur auf die Straße schauen will, sondern auch nach dem Panorama, wer Pausen macht und Fotos und auch mal ein paar Schritte geht, der sollte mindestens eine Zwischenübernachtung einplanen.
Die kann man unten im Tal verbringen, zum Beispiel im charmant verschlafenen Tende, das am Fuß des Passes am Hang klebt wie ein Schwalbennest, wo es für Elektroautos Ladesäulen gibt und wo die berühmte Tenda-Bahn zu einer Zugfahrt nach Turin auf der einen oder Nizza auf der anderen Seite lockt.
Doch wenn schon Berge, dann doch bitte Berghütte. Und keine davon ist in dieser Gegend so urig und zugleich attraktiv wie das Rifugio La Terza. Wer vorher beim Wirt anruft und mit dem richtigen Auto unterwegs ist, der darf bestimmt die letzten paar hundert Meter vom Parkplatz bis direkt vor die Tür fahren.
Zwar kochen sie köstlich im Rifugio und natürlich lockt der Vino Rosso, doch Vorsicht – um zehn ist Sperrstunde und kurz darauf das Licht aus in den einfachen Zimmern. Und das kann man getrost wörtlich nehmen, weil dann der Diesel-Generator abgestellt wird. Die Akkus der Kameras und des Smartphones lädt man deshalb besser vorher.
Der Weg zum Meer ist kurz
Wenn sie dann morgens um sieben wieder den Motor des Generators anwerfen, kann es weiter gehen. Die Website der Alta Via del Sale weist ein halbes Dutzend Routen aus, die allesamt erkundungswert sind. So kann man sich hier oben auch tagelang austoben – aber man kann den Ausflug auch stilvoll beenden und sich über endlos scheinende Serpentinen hinunter in Richtung asphaltierter Straßen schrauben bis sich der Blick weitet und neben dem Blau des Himmels das Azur des Mittelmeers das Panorama füllt.
Und spätestens, wenn das Auto in Ventimiglia, Menton oder gar in Monaco an den Strand rollt und wenig später das Meerwasser um die Knöchel spült, wird auch der schwerste Bleifuß ganz leicht und die Strapazen auf der Alta Via del Sale sind im Nu vergessen – bis sich auf dem Rückweg die Frage nach der Route stellt.
Informationen: Alta Via del Sale
Reiseziel: Die Alta Via del Sale liegt im äußersten Nordwesten Italiens und äußersten Südosten Frankreichs und beginnt kurz hinter Limone Piemonte in Italien, das von Turin in knapp zwei Autostunden erreichbar ist.
Das Kernstück der durchgängig nicht asphaltierten Strecke misst 30 Kilometer und kann mit dem Auto gegen eine Gebühr von 20 Euro an fünf Tagen die Woche befahren werden. Der Zugang auf dem Fahrrad kostet 1 Euro. Dienstags und donnerstags ist die Grenzkammstraße für motorisierte Fahrzeuge gesperrt.
Die Fahrt ist je nach Witterung und Straßenbedingungen mit allen Autos möglich. Allradantrieb ist hilfreich, aber nicht erforderlich. Auf der offiziellen Website der Alta Via del Sale gibt es Infos zu den Strecken, möglichen Sperrungen und die Tickets für die Kernstrecke zum Kaufen: www.altaviadelsale.com
Unterkünfte: Übernachtungsmöglichkeiten gibt es im Tal etwa in Limone Piemonte und Tende oder auf dem Berg etwa im Refugio La Terza.