Drumnadrochit (dpa) – «Nessie. I believe» steht auf den T-Shirts von Scott Kelly und seiner Frau Chie Kelly-Kano, «ich glaube an Nessie». Dazu ein Motiv des wohl berühmtesten Seeungeheuers der Welt. Die mutmaßlich größte Suche nach dem bekanntesten Bewohner von Loch Ness hat die Begeisterung wieder angeheizt. Zwei Tage lang beobachteten und filmten Dutzende Nessie-Enthusiasten den See – und meldeten zahlreiche mögliche Sichtungen, wie Projektleiter Alan McKenna am Sonntag erzählt. «Es gibt jede Menge Daten, und wir werden viel Zeit benötigen, alles zu prüfen.»
Die Kellys harrten bei teils strömendem Regen stundenlang am See in den schottischen Highlands aus. «Es gibt so viele Berichte von Ortsansässigen», sagt Scott Kelly. «Ich bin mir sicher, dass tatsächlich irgendetwas Unbekanntes im See lebt.»
Die Legende von Nessie hält sich seit Jahrhunderten. Erstmals vom Mönch Columban im Jahr 565 nach Christus beschrieben, heizten die Schilderungen der Hotelmanagerin Aldie MacKay vor 90 Jahren den Hype enorm an. Mittlerweile zählt das «offizielle Register» insgesamt 1149 Sichtungen, davon vier aus diesem Jahr.
Alan McKenna will dem Mythos auf die Spur kommen. Gemeinsam mit seiner Freiwilligengruppe Loch Ness Exploration und der kürzlich renovierten Touristenattraktion Loch Ness Centre ist McKenna die treibende Kraft hinter der zweitägigen Suche nach Nessie. Dutzende Freiwillige folgen seinem Ruf, Hunderte helfen über Webkameras.
Das Ergebnis: Viele Hinweise, aber kein konkretes Ergebnis. Zum Einsatz kommt auch moderne Technik: Von einem Boot aus lässt McKenna ein hochsensibles Hydrophon ins Wasser, ein Unterwassermikrofon, das Töne aus dem See aufzeichnet. Am Sonntagabend sollten noch Drohnen mit einer Wärmebildkamera aufsteigen. Solch ein Hilfsmittel sei bisher nie am Loch Ness zum Einsatz gekommen, betont McKenna.
Dass es sich bei Nessie um einen Plesiosaurier handelt, wie der siebenjährige Rowan aus Südengland felsenfest glaubt, ist nach allem Ermessen ausgeschlossen. Aber ist Nessie nur eine Fantasie? Nein, sagen viele Menschen, die sich ausführlich mit dem See in den schottischen Highlands beschäftigt haben.
«Es ist etwas Fischähnliches, vielleicht eine Amphibie», meint der Autor und Nessie-Blogger Roland Watson. Der Weltrekordhalter im Nessie-Suchen, Steve Feltham, der seit 32 Jahren am Seeufer lebt, glaubt an einen besonders großen Wels. Andere Vermutungen reichen von Schweinswalen oder Delfinen – unwahrscheinlich, weil der Zufluss zu seicht ist – über Robben, die immer mal in den See kommen, zu einer Otterfamilie («wenn sie hintereinander schwimmen, bilden sie viele kleine Buckel», sagt Watson). Möglich auch, dass die Winde besondere Wellenbewegungen ergeben, die aus der Ferne wie Schatten einer Kreatur aussehen. Treibende Baumstämme gelten ebenso als Möglichkeit.
Zwei Tage wirken recht kurz für einen solch großen See wie den Loch Ness. Organisator McKenna betont selbst, für die Suche nach Nessie sei vor allem Ausdauer nötig. 36 Kilometer lang, bis zu 2,7 Kilometer breit und 230 Meter tief ist der wasserreichste schottische See. Dass etwas Ungewöhnliches im See ist, glaubt auch Willie Cameron, der wegen seines tiefen Verständnisses für den See nur «Mister Loch Ness» genannt wird. «Loch Ness ist ein äußerst mysteriöses Gewässer», sagt der 72-Jährige, der auch als Tourismusbotschafter tätig war.
Er hat selbst vor einigen Jahren ein Video gedreht, das ein vermutlich animalisches Objekt im See zeigt. Wissenschaftler hätten die Identität nicht klären können, betont Cameron. Vor allem aber ist ihm die Schilderung seines Vaters im Kopf, der 1965 gemeinsam mit einem Freund die bisher längste Sichtung machte. Als ehemaliger Polizist sei Ian Cameron ein guter Zeuge gewesen, betont der Sohn. «Aber er hat nie gesagt, dass er ein Monster gesehen hat.» Vielmehr eine große Masse, ähnlich einem Wal oder einem umgedrehten Boot.
Doch die Nessie-Figur mit langem Hals ist es, die sich – auch dank des Marketings – in die Köpfe der Touristen eingebrannt hat. «Genau danach suchen sie», sagt Cameron. «Ob sie 8 sind oder 80, Nessie ist das einzige Tier, das die Touristen hier sehen wollen.»
Projektleiter McKenna will Bedenken zerstreuen, dass es ihm um eine PR-Aktion geht. «Es geht nicht darum, Nessies Existenz zu beweisen», betont er. Vielmehr gebe es im See noch so viel, das man nicht kenne und verstehe – nicht nur ein mögliches Ungeheuer. So plant er den Aufbau einer Audiothek, in der alle Töne und Geräusche aus dem See aufgezeichnet sind, wie er in Drumnadrochit erzählt.
Das Örtchen an der Westseite des Sees ist das Zentrum des Nessie-Tourismus. Hier berichtete 1933 Hotelmanagerin MacKay, sie habe eine «walähnliche Kreatur» gesehen – ein Bericht der Lokalzeitung «Inverness Courier» löste den Hype aus. Längst ist Nessie wohl die prominenteste Tourismusbotschafterin von Schottland. In MacKays Hotel befindet sich heute das Loch Ness Centre.
Und was ist, wenn moderne Technik oder Künstliche Intelligenz einmal beweisen, dass nun wirklich nichts Ungewöhnliches durch den Loch Ness schwimmt? Dann würden die Leute weiter in die Highlands reisen, ist «Mister Loch Ness» sicher. «Die Welt liebt Mysterien.»