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Streit ums Rote Licht an den Amsterdamer Grachten

Seit Jahrhunderten bieten Frauen in Fenstern in Amsterdam Sex an. Doch wie lange noch? Die Probleme durch Partytouristen sind so groß, dass das Gewerbe in ein Erotik-Zentrum ausgelagert werden soll. Der Widerstand ist groß.

Das rosa Kaninchen ist sturzbetrunken und spricht englisch: «How much?», grölt der junge Mann im knallrosa Partyanzug vor dem rot erleuchteten Fenster in Amsterdam, angefeuert von seinen Kumpels. Als er sich mit der Frau in dem neon-grünen Bikini nicht einigen kann, torkelt die Gruppe weiter. Miriam kennt diese Junggesellen-Abschiede nur allzu gut. Die Rumänin ist Prostituierte in Amsterdam: «Die gucken nur, kiffen und saufen.»

Die Touristensaison startet zu Ostern, und Zehntausende schieben sich dann täglich über die schmalen Grachten im ältesten Teil von Amsterdam, mitten im Unesco-Weltkulturerbe. «De Wallen» heißt das Viertel, weltberühmt wegen der Fenster, in denen vor allem Frauen Sex anbieten. Seit hunderten von Jahren ist das so, doch wie lange noch?

Die Stadt will die Prostitution auslagern, um die Probleme durch den Massentourismus zu beenden. Außerhalb des Stadtzentrums soll ein «erotisches Zentrum» entstehen – ein mehrstöckiges Hochhaus mit 100 Arbeitsplätzen, Kneipen, Clubs und Sex-Theatern. Wann und wo es gebaut werden soll, ist noch nicht klar. Doch es gibt massiven Widerstand.

«Das ist Bullshit», sagt Anna aus Bulgarien. Sie hatte bereits im Ausland in so einem Zentrum gearbeitet. «Dort ist es unübersichtlich, es gibt keine soziale Kontrolle.» Gut 200 Prostituierte zogen kürzlich zum Rathaus und überreichten Bürgermeisterin Femke Halsema eine Petition und forderten: «Hände weg von De Wallen.» Sie wollen auch angehört werden.

Das Sexgewerbe soll weichen, weil das Viertel unter der Last des Massentourismus unterzugehen droht. Mehr als 22 Millionen Menschen besuchen jährlich die Hauptstadt mit etwa 800 000 Einwohnern. Und die meisten von ihnen kommen auch ins Rotlicht-Viertel. «Dieser Teil der Stadt droht unbewohnbar zu werden», stellte die grüne Bürgermeisterin fest.

Vor allem die schier endlose Masse von jungen saufenden und kiffenden Männern macht das Viertel zur Hölle für Bewohner. «Jeden Morgen kann ich die Kotze vor meiner Tür wegräumen», sagte eine Bewohnerin dem TV-Sender AT5. Aggressive Dealer und Taschendiebe beherrschen die Szene. Männer nutzen die Grachten als öffentliche Toiletten.

«Die Probleme werden nicht von den Sexarbeiterinnen verursacht», sagt auch die grüne Bürgermeisterin Halsema, «sondern durch den übermäßigen Tourismus und die Kriminalität».

«Dann tut endlich was», sagt der Interessensverband Red Light United. «Packt die Dealer an, die Touristen – aber nicht die Sexarbeiter.»

Zumindest die britischen Partytouristen sind nun im Visier der Stadt. Sie startete jetzt die Kampagne «Stay Away» – Bleibt weg. In Videos im Internet wird gerade denjenigen, die nur Alkohol trinken und kiffen wollen, empfohlen, sich ein anderes Ziel zu suchen.

Doch das Sexgewerbe ist nun einmal für viele die Hauptattraktion. Daher wurden bereits die Öffnungszeiten verkürzt. Nicht nur für die Kneipen, auch die Sexarbeiterinnen müssen ab drei Uhr die Fenster schließen – drei Stunden früher als zuvor.

Für viele ist das ein finanzielles Drama. «Wir verdienen erst ab Mitternacht. Dann wird es ruhiger», sagt Miriam. 180 Euro muss sie am Tag für ein Fenster bezahlen, das hat sie meistens erst nach drei bis vier Kunden beisammen. Erst dann verdient sie ihr eigenes Brot.

«Die Stadt betreibt eine Ausräucherungsstrategie», sagt Felicia Anne von Red Light United. Die Frauen würden so am Ende gezwungen, in dem Erotik-Zentrum zu arbeiten. «Dabei sind die Fenster auf den Wallen sicherer, weil die Gardinen offen sind und viele Leute auf der Straße laufen.»

Drei Standorte hat die Stadt im Auge für das «Mega-Bordell», wie Anwohner es nennen. Im Norden und im schicken Süden der Stadt, gleich beim Finanzdistrikt. Der Widerstand ist groß. Die Anwohner fürchten, dass sich das Problem von De Wallen nur verlagert und grölende Partytouristen und aggressive Straßendealer mitumziehen werden.

«Dann wird unser schönes Viertel überrannt von sexgierigen Fremdgehern», ereiferte sich der 48 Jahre alte Marcel bei einer Protestversammlung von Bewohnern in Amsterdam-Süd. «Muss meine elfjährige Tochter neben dem größten Bordell Europas aufwachsen?», fragte eine Frau entsetzt.

Einen ungewöhnlichen Verbündeten haben die Anwohner in der EU-Arzneimittelbehörde EMA. Sie hatte erst vor wenigen Jahren im Süden der Stadt ihr neues Domizil bezogen – nur wenige hunderte Meter von zwei möglichen Standorten. Entsetzt schaltete die EMA die EU-Kommission ein. Sie fürchtet «Drogen-Handel, Trunkenheit und ungebührliches Benehmen» in der Nachbarschaft.

«Ich kann nur immer wieder sagen, dass keine betrunken Briten kommen werden», verspricht die Bürgermeisterin den Bewohnern. Sie wirbt für das Erotik-Zentrum: «Es verbindet Kultur und Sex – ein Zentrum mit Klasse.» Doch keiner glaubt ihr so richtig. «De Wallen, so wie wir sie kennen», sagt ein Kneipenwirt, «die werden verschwinden».

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