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Streit um «Überschuss-Versuchstiere» – Parallelen zu Kükenurteil?

Für Tierversuche gezüchtete, aber nicht verwendete Tiere werden häufig getötet. Ein Urteil, das für die Tötung männlicher Küken keinen vernünftigen Grund sieht, lässt nun verstärkt an dieser bislang wenig beachteten Praxis zweifeln.

Das Aus für die Tötung männlicher Küken lässt Gegner von Tierversuchen auch für andere Bereiche hoffen. Sie sehen sich durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 2019, das Vergasen männlicher Küken zu verbieten, in ihrem Kampf gegen die Tötung sogenannter Überschussversuchstiere bestätigt. «Das sind Tiere, die nicht die gewünschte gentechnische Veränderung aufweisen oder das falsche Alter oder Geschlecht haben und deshalb sterben müssen», erklärt Gaby Neumann von den Ärzten gegen Tierversuche (ÄgT). «Seit Jahren wurde diese Praxis stillschweigend hingenommen – das Kükenurteil hat dem Thema Auftrieb gegeben.»

Aus Sicht der baden-württembergischen Landestierschutzbeauftragten Julia Stubenbord setzt das Kükenurteil die Wissenschaft unter Druck. «Jetzt kann man nicht mehr auf Teufel komm raus züchten.» Eine besseres Management sei überfällig. Zu hinterfragen sei zudem unter anderem, ob bestimmte tierversuchsbasierte Krankheitsmodelle überhaupt noch zeitgemäß seien.

Auch die jüngste Statistik des Bundesamtes für Risikobewertung sorgte für mehr Beachtung des Problems. Sie unterscheidet erstmals zwischen für wissenschaftliche Versuche verwendeten Versuchstieren und solchen, die für wissenschaftliche Zwecke gezüchtet und getötet, aber nicht in Versuchen eingesetzt wurden. Im Jahr 2021 wurden demnach 2,5 Millionen Tiere zu Forschungszwecken genutzt – und genauso viele überzählige getötete Tiere erfasst. Im Vergleich zu 2017 ist das zumindest ein deutlicher Rückgang. Damals wurden grob geschätzt 2,8 Millionen bei Versuchen getötete Tiere registriert – und 3,9 Millionen überzählige.

Allerdings sind Tierversuchsgegner trotz des Küken-Urteils auf juristischer Ebene bei Versuchstieren bislang wenig erfolgreich. Den großen Unterschied macht aus Sicht der Initiative «Tierversuche verstehen», dass es bei den Küken eine Alternativ-Methode gibt, mit der das Geschlecht so früh im Ei erkannt werden kann, dass die männlichen Küken nicht ausgebrütet werden müssen. Roman Stilling, Referent der von Forschungsinstitutionen, Hochschulen und Fachgesellschaften getragenen Organisation, betont: «Bei den Versuchstieren gibt es diese Möglichkeit zur Früherkennung nicht, wir haben keinen Plan B.»

Etwa 56 Prozent aller Tierversuche entfielen auf Universitäten, sagt ÄgT-Vertreterin Neumann. «Da geht es vor allem um Grundlagenforschung.» Auf die Pharmaindustrie, für die Tierversuche gesetzlich vorgeschrieben seien, entfielen nur 17 Prozent aller Experimente mit Mäusen, Ratten, Fischen und weiteren Tieren.

Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller teilte mit, die Pharma-Unternehmen gingen so sparsam wie möglich mit Versuchstieren um. Dennoch könnten sie nicht immer vermeiden, dass Mäuse oder Ratten übrig blieben, die nicht in Versuchen eingesetzt werden könnten. Diese würden dann zum Teil als Futtertiere an Zoos und Falknereien weitergegeben. Doch ein solches Vorgehen hat Grenzen: In der EU ist die Verfütterung gentechnisch manipulierter Tiere verboten – und der Großteil der Versuchstiere fällt in diese Kategorie.

Die ÄgT und die Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht stellten in der Vergangenheit mehrfach Strafanzeige wegen illegalen Tötens von Tieren unter anderem gegen die Universität Kiel – jeweils erfolglos. Rechte der Tiere würden der Forschungsfreiheit geopfert, sagt Neumann dazu.

Stilling von der Initiative «Tierversuche verstehen» hingegen begrüßt die Haltung der Staatsanwaltschaften – zeige sie doch, dass man Wissenschaftler nicht pauschal kriminalisieren könne. Allerdings seien Forscher juristisch nicht aus dem Schneider. Bislang seien die Vorwürfe vage geblieben. Wenn aber ein Forscher wegen bestimmter Praktiken persönlich angezeigt werde, sei eine Geld- oder auch Haftstrafe bis zu drei Jahren nicht ausgeschlossen.

In anderen EU-Ländern gebe es diesen juristischen Fallstrick nicht. «Für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Forscher ist das nicht förderlich», betont Stilling. Ausländische Wissenschaftsorganisationen zögerten, junge Wissenschaftler nach Deutschland zu schicken, aus Angst, sie einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen.

Der Tierschutzbund hingegen hält die Rechtslage für eindeutig. «Die Tiere werden aus rein finanziellen Gründen getötet, also nicht aus einem «vernünftigem Grund»», erläutert Tilo Weber von der Akademie für Tierschutz des Bundes. Nicht einzelne Wissenschaftler müssten in die juristische Pflicht genommen werden, sondern Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden wie Agrar- und Umweltministerien, Regierungspräsidien und Veterinärämter.

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