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Spandau, das andere Berlin – Regierender in spe stammt aus Randbezirk

Gehört Spandau noch zu Berlin oder doch nicht, weil es so weit draußen liegt? Klar ist, mehr Stadtrand geht kaum. Trotzdem könnte demnächst ein Spandauer die deutsche Hauptstadt regieren. Ein Blick auf das Berlin jenseits von Brandenburger Tor, Bundespolitik und Berghain.

Was haben der designierte Regierende Bürgermeister von Berlin, der Gründer der Love-Parade und der Ärzte-Schlagzeuger Bela B. gemeinsam? Sie kommen aus Spandau, dem Bezirk am westlichen Rand der Hauptstadt. Seit Kai Wegner (CDU) zuerst mit überraschend hohem Vorsprung die Wiederholungswahl in Berlin mit 28 Prozent gewann und nun mit Hilfe der SPD Regierungschef der Hauptstadt werden soll, richten sich viele Blicke auf seine Heimat.

Spandauer lernen mit Spott zu leben. Ein alter Witz lautet: Spandau bei Berlin. Dabei hat der kleinste Berliner Bezirk neben Vorzügen wie viel Grün und Wasser, auch prominente Namen aufzuweisen, die in frühere Subkulturen verweisen, die so gar nicht mit der Stadtrand-Idylle verknüpft werden. Tatsächlich stammt der Gründer der Love Parade, Dr. Motte, aus Spandau. Als Kai Wegner 1989 mit 17 in die Schüler Union der CDU eintrat, zog Dr. Motte zum ersten Mal mit Technomusik und wenigen Begleitern über den Ku‘damm.

Auch ein Teil der deutschen Punk-Erfolge fand seinen Ursprung in Spandau, wo Bela B., Schlagzeuger der Band Die Ärzte, aufwuchs. Als Junge soll er dort erstmals auf einem Schlagzeug getrommelt haben. 1981 trat er in Spandau zum ersten Mal zusammen mit Farin Urlaub auf. Erst rund 40 Jahre später folgte der nächste Auftritt im heimischen Bezirk. Der «Tagesspiegel» schrieb in Anspielung auf ein bekanntes Lied: «Spandau hat solche Sehnsucht nach den Ärzten.»

Bei manchen Radiosendern laufen noch heute Hits einer Popband der 80er-Jahre. Ihren Namen soll sie der Inschrift an einer Toilettenwand eines Berliner Clubs entnommen haben: Spandau Ballet. Angeblich spielte der Ausdruck auf das Kriegsverbrechergefängnis Spandau an, in dem Nazi-Verbrecher saßen. Nach dem Tod des NS-Führers Rudolf Heß 1987 wurde die alte Festung abgerissen.

Spandau war ursprünglich ein Dorf weit draußen vor Berlin, nun ist es einer von zwölf Bezirken – mit 250 000 Einwohnern so groß wie Aachen, Kiel oder Braunschweig. Siemens hatte einen eigenen Ortsteil, Siemensstadt. Schon vor dem Ersten Weltkrieg war Spandau Standort für die Rüstungsproduktion. Ein deutsches Maschinengewehr stammte aus Spandau, nach dem Baujahr 1908 zunächst 08 benannt. Eine umgebaute Variante hieß dann 08/15 – ein bis heute gebräuchlicher Begriff.

Vom Zentrum Berlins aus wird Spandau oft als Provinz oder altes West-Berlin belächelt. Mehr als 15 Kilometer sind es bis zum Alexanderplatz und 20 nach Kreuzberg. Das Stadion von Union Berlin im Osten der Stadt liegt 30 Kilometer entfernt, der neue Flughafen 40 Kilometer – das ist so weit wie von Köln nach Düsseldorf.

Aber Berlin ist eben nicht nur Brandenburger Tor, Bundespolitik und Berghain. Der größere Teil der Einwohner lebt fern der Innenstadt. Auch dort wünscht man sich Veränderungen. Benjamin Becker, 38, übt am Wochenmarkt mit seinem Kind Radfahren. «Wo Spandau wirklich ziemlich hinten dran ist, ist die Infrastruktur. Die ist wirklich schlecht», sagt er.

Es fehle an Radwegen, man dränge die Menschen ins Auto. «Ich fürchte, auch der Sieg der CDU wird da nichts zum Guten ändern.» Dennoch würden immer mehr junge Familien nach Spandau ziehen, der Wohnungsmarkt sei stabiler als in der Innenstadt, sagt Becker. Die 52-Jährige Veronika Haffner klagt hingegen, es sei nicht mehr so schön wie früher. «Spandau ist mittlerweile einer der schlechtesten Bezirke, wo die meisten Leute am Limit leben.»

Tatsächlich gibt es neben viel Ausblicken aufs Wasser auch soziale Brennpunkte wie die Heerstraße Nord. Als Problemkiez kann die Hochhaussiedlung locker mit der bekannteren Gropiusstadt mithalten. Von der ursprünglichen Altstadt Spandaus ist nach Weltkrieg und Wiederaufbau nicht viel übrig geblieben, hinzu kamen Shopping Mall und ICE-Bahnhof.

Überregional bekannt ist Spandau bei Wasserballern, die «Wasserfreunde» spielen in der Bundesliga. Wasserball-Bundestrainer Hagen Stamm gilt als Spandauer Legende. BMW baut dort seit Jahrzehnten Motorräder. Die Zitadelle Spandau, eine alte Festung, ist Wahrzeichen und beliebte Konzertlocation zugleich. Florida Eis wird aus Spandau exportiert.

Viele Spandauer bleiben ihrem Bezirk trotzdem treu. Kai Wegner zeigte dem «Spiegel» das Hochhaus, in dem er aufwuchs. Er wohnt inzwischen in Wassernähe, aber immer noch in seinem Bezirk. Gleiches gilt für den wichtigsten männlichen Politiker der Berliner SPD: der Landes- und Fraktionsvorsitzende Raed Saleh ist ebenfalls Spandauer.

Die 26-Jährige Melisa Yapabas, unterwegs in der Altstadt, zog erst im August für die Arbeit mit ihrem Mann her. «Ich finde Spandau richtig schön», sagt sie. Gerade die Natur und Shopping-Möglichkeiten machten den Bezirk attraktiv. «Es ist zwar bisschen weit weg. Aber es hat so viele Vorteile hier zu leben, da kann man schon ein Auge zudrücken.»

Ähnlich sieht es wohl der bekannte Youtuber und E-Gamer HandsOfBlood, bürgerlich Maximilian Knabe. Immer wieder lässt er einfließen, dass er inzwischen in Spandau wohnt, wo er auch einen E-Sport-Verein gründete: Eintracht Spandau. Im Internet lassen sich dazu Fan-Events und Interviews mit dem Präsidenten Knabe sehen. Nicht alles ernst gemeint, aber höchst unterhaltsam.

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