Europa

Nach dem ESC ist vor dem ESC

Der Eurovision Song Contest war so politisch wie lange nicht. Aus Russland kommt Protest nach dem Sieg der ukrainischen Kandidatin Jamala. In Deutschland herrscht Ratlosigkeit angesichts der Pleite von Sängerin Jamie-Lee.

Stockholm (dpa) – Der Sieg der Ukraine beim Eurovision Song Contest (ESC) hat in Russland scharfe Kritik ausgelöst. Der Musikwettbewerb verwandele sich in ein politisches Schlachtfeld, sagte etwa der einflussreiche Außenpolitiker Alexej Puschkow. In dem Lied «1944» besingt die ukrainische Gewinnerin Jamala die Vertreibung der Krimtataren in der Stalin-Zeit. In Deutschland gab es nach dem ESC-Finale von Stockholm hingegen Rätselraten über den erneuten letzten Platz: Die 18-jährige Sängerin Jamie-Lee Kriewitz aus Niedersachsen hatte in der Nacht zum Sonntag nur aus 3 der 42 abstimmungsberechtigten Länder Punkte für ihr Lied «Ghost» bekommen.

Die Ankunft der ukrainischen ESC-Siegerin des Jahres 2016, Jamala, in Kiew.

In der Ukraine beginnen nun die Planungen für den ESC 2017. «Kiew ist bereit für die Durchführung», sagte Bürgermeister Vitali Klitschko. Aber auch die Oberhäupter anderer ukrainischer Städte brachten sich bereits in Stellung. Kiew war schon 2005 Gastgeber des ESC. Das Gewinnerland darf traditionell den nächsten Eurovision Song Contest ausrichten. Diesmal ging die wohl weltgrößte Musikshow in der schwedischen Hauptstadt Stockholm über die Bühne, nachdem im vergangenen Jahr der Schwede Måns Zelmerlöw mit seinem Song «Heroes» gewonnen hatte.

26 Länder schafften es ins Finale des ESC 2016. Deutschland war als einer der großen Geldgeber bereits für die Teilnahme gesetzt. Jamie-Lee, die sich sehr für die asiatische Kultur interessiert, stand in einem von japanischen Manga-Comics inspirierten Outfit auf der Bühne. «Ihr Auftritt war Eins A», so ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber. Am Ende bekam sie jedoch lediglich einen einzigen Jury-Punkt aus Georgien sowie acht Punkte von den Schweizer Zuschauern und zwei Publikumspunkte aus Österreich – insgesamt also elf Punkte. Damit bildet Deutschland zum zweiten Mal in Folge das Schlusslicht.

Die Siegerin Jamala holte 534 Punkte. Ein neuer Wertungsmodus machte die Punktevergabe am Ende der Show in diesem Jahr besonders spannend. Anders als bisher wurden die Wertungen der nationalen Jurys sowie die Ergebnisse der Publikumsabstimmung nicht mehr verrechnet, sondern getrennt präsentiert.

Als Favoriten waren neben der Ukraine vor allem Russland und auch der ESC-Gast Australien ins Rennen gegangen. Wäre es nur nach den nationalen Jurys gegangen, hätte Australiens Kandidatin Dami Im («Sound Of Silence») gewonnnen. Und wäre es nur nach den Zuschauern gegangen, hätte der russische Sänger Sergej Lasarew («You Are The Only One») die ESC-Trophäe bekommen.

Doch insgesamt lag am Ende die Ukraine vorn. Der Song der Krimtatarin Jamala hatte schon lange vor dem ESC-Finale Debatten ausgelöst, weil der Text auch als Kritik an der russischen Krim-Annexion verstanden werden kann. Die Europäische Rundfunkunion (EBU) als ESC-Veranstalter hatte nach einer Prüfung aber entschieden, dass weder Titel noch Text des Songs politische Botschaften enthielten. Somit stehe «1944» nicht im Widerspruch zu den Wettbewerbsregeln.

Die Fernsehzuschauer in Deutschland zeigten wieder mehr Interesse am Eurovision Song Contest als in den Jahren zuvor. Etwa 9,3 Millionen Menschen verfolgten die Show im Ersten. In den vier Jahren zuvor war die Neun-Millionen-Grenze nicht überschritten worden. An der Hamburger Reeperbahn fieberten wieder Tausende Fans beim von Barbara Schöneberger moderierten «Countdown für Stockholm» mit und feierten später die ebenfalls in der ARD übertragene «Grand Prix Party».

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