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Kleine Architekturgeschichte der „Idealen Stadt“

Ohne real-existierendem Spannungsfeld schafft es auch die Yellow Press nicht, die hohle Scheinwelt einer gelangweilten Popelite zu einer Global City hochzustilisieren – zu einem Schmelztiegel, in der die Zukunft geschmiedet wird. Diese Prozesse sind kaum steuerbar. Seit der Antike versuchen sich Architekten vergeblich an der Realisierung der „Idealen Stadt“.

Jede Metropole hat ein eigenes Gesicht…

In seinen zehn Büchern über die Architektur entwarf Vitruvius einen Lehrplan und Verhaltenscodex für die angehenden Baumeister: Die römischen Ingenieure sollten nicht nur Gebäude so planen und konstruieren, dass diese statischen Anforderungen genügten, sie sollten sich neben dem selbstverständlichen technisch-mathematischen Rüstzeug den Horizont eines Universalgelehrten aneignen: Akustik, Ästhetik, Medizin, Moral, Ökologie und Ökonomie sind dem im Rinascimento wiederentdeckten Theoretiker zufolge unentbehrliche Wissensgebiete des Stadtplaners und uomo universale in spe.

Der Florentiner Filarete legte im 15. Jahrhundert mit seinem 25-bändigen „Trattato d’architettura“ noch eine gehörige Schippe drauf und verehrte der Welt eine teils bewunderte, teils belächelte Ideologie, wie sich in der Idealen Stadt Architektur und Zusammenleben zu einem harmonischen Organismus vereinen sollten. Restlos überzeugt hat seine Philosophie offensichtlich keinen der zahllosen Principes und Mäzenen seiner Zeit. Immerhin entspringt der sternförmige Grundriss der norditalienischen Stadt Palmanova seinen Anregungen. An den Geist der Fuggersiedlung erinnert Claude-Nicholas Ledoux’ Arbeiterstadt Chaux, die sich kreisförmig um die Salinenwerke der französischen Salzstadt Arc-et-Senans gruppieren. Blinder Fortschrittsglaube beflügelte die Architekten Ebenezer Howard (Garden Cities of Tomorrow), Frank Lloyd Wright (Broadacre City) oder die Planer der Millionenretortenstadt Brasilia, Oskar Niemeyer und Lucio Costa. Schon skeptischer stand der Visionär Le Corbusier suburbanen Agglomerationen gegenüber: In seinem nicht verwirklichten „Plan Voisin“ für Paris trat er gedanklich schon 1925 den sich ankündigenden Schattenseiten verdichteter Innenstädte entgegen.

Paris, Centre Georges-Pompidou.

An popigem Techno versuchten sich Enzo Piano und Richard Rogers passend zur Flower-Power-Ära mit dem Centre Pompidou in Paris. Sie bezogen sich auf die Zukunftsvisionen der Gruppe Archigram: Plug-In-City und Walking-City. Bei der Überbauung der Berliner Stadtautobahn griffen Günter Domening und Eilfried Huth deren Konzept einer großzügigen Raumgestaltung als architektonische Äquivalenz zur Freiheitlichkeit einer Gesellschaft auf. So wie Stanley Kubrick filmische Erfindungen die Gestaltung der NASA-Astronautenanzüge beeinflusst haben soll, stand Star Wars Pate bei Rem Koolhaas’ kreisrundem Hochhaus der Waterfront-City in Dubai – einer künstlich angelegten Inselgruppe in Form einer Palme, dem ein Stück Manhattan transplantiert wurde. An konzeptionellen Fusionen von ästhetischer Idealstadt und umweltfreundlicher Lösung der Energieversorgung arbeiten Gerkan Marg und Partner bei der Retortenstadt Lingang New City in der Nähe von Shanghai und die chinesische Gruppe MAD bei dem sowohl energie- als auch CO2 neutralen, dreidimensionalen Super Star für 1,5 Millionen Einwohner.

Mehr Profit- und Marketingdenken denn architekturphilosophischer Idealismus dürfte einen amerikanischen Immobilienkonzern beflügeln, der bis 2015 in der Nähe von Seoul eine angeblich perfekte „Stadt der Städte“ schaffen möchte: Das südkoreanische New Songdo soll die Welt mit einem Eklektizismus aus Opernhaus à la Sydney, Central Park in memoriam New York und venezianischen Kanälen beeindrucken. Das Team Superstudio um den italienischen Architekten Adolfo Natalini setzt sich kritisch mit solchen überdimensionierten Fantastereien auseinander – womöglich wirkt hier die kulturelle Skepsis in dem Land nach, in dem der technik- und kriegsverherrlichende Futurismus Anfang des 20. Jahrhunderts erfunden wurde.

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