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Ein Wald von Grabsteinen

„Ich sah die unzähligen aneinander geschichteten Steintafeln und die uralten Holunder“, erzählt Wilhelm Rabe in „Holunderblüte“, „welche ihre knorrigen Äste drum schlingen und drüberbreiten. Ich wandelte in den engen Gängen und sah die Krüge von Levi, die Hände Aarons und die Tauben Israels. Zum Zeichen meiner Achtung legte ich, wie die anderen, ein Steinchen auf das Grab des Hohen Rabbi Löw bar Bezalel. Dann saß ich nieder auf einem schwarzen Steine aus dem 14. Jahrhundert, und der Schauer des Ortes kam in vollstem Maße über mich. Seit tausend Jahren hatten sie hier die Toten des Volkes Gottes zusammengedrängt, wie sie die Lebenden eingeschlossen hatten in die engen Mauern des Ghetto.“

Ein Wald mit etwa 12000 Grabsteinen: der Alte Jüdische Friedhof in Prag.

„Das älteste Grab von Prags mittelalterlichem Jüdischen Friedhof ist das von Avigdor Kara, der 1439 gestorben ist“, nennt Reiseleiter Ivo Janoušek die Fakten, „die letzte Beerdigung fand 1787 statt. Seit den Reformen Kaiser Josefs wurden keine Beisetzungen in der Innenstadt mehr gestattet.“ Im dann angelegten neuen Friedhof im 3. Prager Bezirk befindet sich auch das Grab Franz Kafkas. „Ursprünglich dienten große Steine der Sicherung der Gräber, damit keine Tiere die Leichen schänden konnten“, leitet Janoušek die Tradition her, kleine Steinchen auf den Grabstein zu legen. „Das beduetet, ,ich will deine Ehre sichern, das ist meine Ehrbezeugung‘.

Die Gebeine harren der Auferstehung
Dazu kämen die mehr oder minder frommen Wünsche der Hinterbliebenen, die ihre Steinchen in einen Zettel wickelten. „Die meisten werden im Mai dort platziert, weil dann die Matura-Arbeiten anstehen – und weil im Wonnemonat die Sehnsucht nach dem richtigen Partner besonders stark ist.“ Die Verbrennung der Leichen sei den Juden nicht gestattet, da die Gebeine noch für die Auferstehung gebraucht würden.

Die Aufschriften und Symbole auf den Grabsteinen sind für Kenner ein spannendes Lesebuch, das Geschichten aus dem Leben des Prager Ghettos erzählt. „Das Grab des berühmten Rabbi Löw hat den Rabbiner-Zapfen oben“, erklärt Janoušek, „einen Löwen für seinen Namen, eine Doppelgrabplatte, weil er verheiratet war.“ Die Trauben stünden für seinen Reichtum an Kindern, Wissen und Wohlstand. Judah Löw oder auf gut Hebräisch Jehuda ben Bezal´el Löw wurde zwischen 1512 und 1525 an einem unbekannten Ort geboren und starb am 17. September 1609 in Prag. Er zählte zu den bekanntesten Rabbinern, Talmudisten, Predigern und Philosophen seines Jahrhunderts.

Prags Alter Jüdischer Friedhof.

Nicht nur Lobgesang
Zu den prächtigsten Gräbern gehört die letzte Ruhestätte von Heudele Basševi (†1628), der Gattin Jakob Basševis, der im 17. Jahrhundert als erster Prager Jude in den Adelsstand erhoben wurde: „Eine Besonderheit stellt auch dieses Barockgrab mit zwei Löwen für diese Bankiersgattin dar“, sagt Janoušek, „in der Regel wurden die Frauen immer nur in Bezug auf ihre Männer gelobt. Etwa, dass sie den Haushalt gut unterhalten habe, besonders fromm gewesen sei und schweigsam – vielleicht wurde das auch nur betont, weil es nicht oft der Fall war.“ Bei Männern seien Tugend und Wohlstand gelobt worden, aber man habe auch Kritik zu formulieren gewusst. „Da kann dann schon man stehen: ,Er war in der Lage gut zu verdienen, die Gemeinde hat davon aber nichts erfahren‘.

„Andere wichtige Erkennungszeichen sind die segnenden Hände als Symbol für den Stamm der Kohen, deren Mitglieder oft Priester waren“, fährt der Reiseleiter fort, „der Krug war den Leviten vorbehalten, die im Tempel Dienste verrichteten. Gelehrte wurden oft mit einer Krone geehrt, die Namen durch Tiere oder Pflanzen versinnbildlicht, die Berufe der Verstorbenen mit dem jeweiligen typischen Instrument verewigt, einer Schere für den Schneider, einem Mörser für den Apotheker oder einer Geige für den Musikanten.“

Die Beerdigung muss innerhalb von 24 Stunden stattfinden, in Ausnahmefällen von 48 Stunden. „Das ist historisch bedingt, wegen des Klimas im Orient.“ Drei angrenzende Klausen des Mordechai Maisel mit zwei Synagogen und einer Talmudschule des Rabbi Löw seien 1689 abgebrannt. „Das neoromanische Zeremonienhaus am Ausgang des Judenfriedhofs wurde 1906 erbaut. Heute kann man darin eine Ausstellung mit Zeichnungen und Aufsätzen von Kindern aus dem KZ Theresienstadt besichtigen.“

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