Das Wiedererstarken der Russisch-Orthodoxen Kirche lässt sich an einer beeindruckenden Zahl ablesen: Seit 1990 ließ der Patriarch im Großraum Moskau an die 1000 Kirchen renovieren und 200 neue bauen – der Glaube an ein starkes Russland ist offensichtlich unauflösbar mit dem Glauben an die Orthodoxie verbunden. Aber natürlich ist Moskau viel mehr als die Summe seiner Kirchen, repräsentativen Staatsbauten, Denkmäler, Museen und Theater. Stellen Sie sich den mächtigen Stamm einer alten, aber vitalen Eiche vor: In deren Kern pulsiert das Machtzentrum des Kremls umgeben von Schicht um Schicht sich verjüngender Architekturkreise. Und die Stadt des bauwütigen Juri Luschkow wächst in einem Tempo weiter, als wollte sie sich wie ein Roter Riese solange ausdehnen, bis sie vom ganzen Land Besitz ergriffen hat.
Im Zentrum der Macht
Als bis vor kurzem noch Vladimir Putin in den heiligen Hallen des Kreml residierte, wurden die Befugnisse des Präsidenten immer öfter mit der Machtentfaltung des Zaren verglichen. Ob das Amt allein genügend politisches Gewicht verleiht, wird sich an dessen Nachfolger Dimitri Medwedew zeigen. Vielleicht reichen die Beharrungskräfte dieses magischen Ortes im ältesten Teil Moskaus aus, um dem Magnetismus der Putinisten standzuhalten. Stark genug wäre die Befestigungsanlage mit ihren Mauern und 19 Türmen aus dem 15. Jahrhundert, um so mancher Belagerung standzuhalten.
Was wir salopp als Kreml bezeichnen, ist eigentlich kein Gebäude. Der Komplex lässt sich am ehesten mit einer der bekanntesten russischen Prominenten vergleichen: der Babuschka-Puppe. Von außen betrachtet würde man auch bei ihr nicht vermuten, wie viele ihresgleichen sich in ihr verbergen. Im alten Herzen des Kreml versteckt ruhen die Mariä-Entschlafens-Kathedrale (1479), die Mariä-Gewandniederlegungs-Kirche (1486), die Verkündigungs-Kathedrale (1489), der Facettenpalast (1491), die Erzengel-Kathedrale (1509), und unübersehbar daneben der 80 Meter hohe Glockenturm Iwan der Große (Kolokolnja Iwana Welikogo, 1508) flankiert von der Zarenkanone und der Zarenglocke (16. bis 18. Jahrhundert).
An diesen Nukleus reihten sich später die Kirche zu den zwölf Aposteln mit Patriarchenpalast und Terem-Palast (17. Jahrhundert), das Arsenal (1736), der Senatspalast (1787) und der Große Kremlpalast (1849). Im Senatspalast arbeitete von 1918 bis 1922 der Mann, dessen Mumie noch heute mit immensem Aufwand und allen Künsten der Wissenschaft konserviert wird: Lenins damaliges Arbeitszimmer samt Wohnungsausstattung sind heute in dessen Vorstadtresidenz Gorki Leninskije untergebracht.
Älter als die Rüstkammer (1851) selbst sind die Ausstellungsstücke des darin untergebrachten Museums mit Sammlungen alter Waffen, Zarengewändern, Insignien, Thronsesseln, Kutschen und kunsthandwerklichen Meisterwerken. Internationale Kongresse, Schauspiele sowie Opern- und Ballettaufführungen des Bolschoi-Theaters finden seit 1961 auch im nüchternen Kongresspalast vor bis zu 6000 Besuchern statt.
Schöner roter Platz
Welche Verwirrung ein Wort mit doppelter Bedeutung auslösen kann, lässt sich am kleinen Adjektiv „krasnaja“ ablesen, das zugleich „rot“ und „schön“ bezeichnen kann. Generationen flößte der „Rote Platz“ als Symbol für das Sowjetimperium Ehrfurcht ein. An die Farbe „Rot“ als Machtinsignum der Weltrevolution allerdings dachte im 16. Jahrhundert noch nicht einmal ein früher Sozialrevolutionär, als der Name des „Schönen Platzes“ entstand. Insofern kann sich der Vater der Revolution im angrenzenden Lenin-Mausoleum sowohl seines schönen als auch roten Platzes erfreuen.
Nicht ganz so gemütlich gebettet wie Lenin drängen sich in einigen Urnen in der Kremlmauer Überreste berühmter Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kultur: Der degradierte Josef Stalin etwa musste nach seiner Verbannung aus dem Mausoleum hierher ausweichen und Juri Gagarin hat entschieden weniger freie Sicht als bei seiner Erdumrundung. Die Basilius-Kathedrale (1561) und das Minin-und-Poscharski-Denkmal von Iwan Petrowitsch Martos (1754–1835) für die Helden des Befreiungskrieges gegen die polnisch-weißrussische Koalition zu Beginn des 17. Jahrhunderts runden das Bild ab.
Neueren Datums aber wegen ihrer historisierenden Bauweise ins Bild passend sind das Warenhaus GUM und das Historische Museum (Ende des 19. Jahrhunderts). Die Kasaner Kathedrale, ursprünglich ein Kirchenbau des 17. Jahrhunderts, musste der religionsfeindlichen Politik Stalins weichen, erlebte aber 1993 einen triumphalen Wiederaufbau. Das gleiche Schicksal widerfuhr dem Auferstehungstor (1680) am nördlichen Zugang zum Roten Platz.
An die vielen Millionen sowjetischen Opfer des Zweiten Weltkriegs erinnert das Grabmal des Unbekannten Soldaten (1967) im Alexandergarten an der Kremlmauer. Die ältesten Steinbauten des Kitai-Gorod, der Moskauer Altstadt, darunter Gebäudeteile des alten Zarenhofs (16. bis 18. Jahrhundert), das Haus des Bojaren Romanow, die Annen-Kirche (15. Jahrhundert) grenzen an das ehemalige Hotel Rossija an.
Nur wenige Hundert Meter von der Kremlmauer entfernt ist die Twerskaja-Straße heute Moskaus Champs-Élysées mit luxuriösen Hotels, Bars, Restaurants und Geschäften. Puschkin ließ in seinem Roman „Eugen Onegin“ Tatjana Larina hier in die Stadt einfahren. Das Rathaus der Stadt Moskau (1782) nach einem Entwurf des Architekten Matwei Kasakow (1733–1812) konnte an keinem besseren Ort errichtet werden. Gegenüber thront das Reiterstandbild des Stadtgründers Juri Dolgoruki. Die Dichter Alexander Puschkin und Wladimir Majakowski (1893–1930) haben sich ihren Denkmal-Standort an der Kreuzung mit dem Boulevard- und dem Gartenring literarisch verdient.
Boulevard- und Gartenring
Anstelle einer neun Kilometer langen und von rund 30 Türmen bewachten Stadtmauer des 16. Jahrhunderts umgibt heute der Boulevardring das Zentrum Moskaus. Den einstigen Verlauf eines weiter außen angelegten Wallgrabens mit Palisaden und hölzernen Wehrtürmen markiert der Gartenring, auf den sternförmig Moskaus größte Straßen zulaufen. Gleich drei Bahnhöfe – der Nikolai-Bahnhof (heute Leningrader Bahnhof) von Konstantin Thon (1851), der Jaroslawler Bahnhof von Fjodor Schechtel (1904) und der Kasaner Bahnhof von Alexei Schtschussew (1926) – verbinden etwas außerhalb des Gartenringes am Komsomolskaja-Platz die Hauptstadt mit allen europäischen Destinationen. Leonid Poljakow schloss das beeindruckende Bauensemble 1953 mit dem 17-geschossigen Hotel „Leningradskaja“ ab.
Moscow City
Europas größte Baustelle befindet sich fünf Kilometer westlich vom Kreml. Der erste Wolkenkratzer des „russischen Manhattan wurde 2001 fertig gestellt, 2012 soll das zwölf Milliarden US-Dollar teure Prestigeobjekt, das Moskau mit Bürotürmen versorgt, abgeschlossen sein. Am 9. Februar 2005 wurde der Grundstein für das mit 448 Metern höchste Bürogebäude, die „Federazija“, also „Föderation“, gelegt.
Jenseits von Moskau
Das beliebteste Ausflugsziel im Norden der Stadt ist der mit 537 Metern zweithöchste Fernsehturm der Welt in Ostankino (1960 bis 1967). Neben dem Fernsehturm und dem Ostankino-Fernsehzentrum hat sich das Ostankino-Schlösschen der russischen Fürstenfamilie Scheremetew behauptet.
Rund 30 000 Studenten pilgern während des Semesters zur Lomonossow-Universität (1949 bis 1953) mit vier 17-stöckigen Seitenflügeln und 45 000 Räumen etwas außerhalb des Stadtzentrums. Verfehlen können sie die Bildungseinrichtung kaum, ist doch das 240 Meter hohe Zentralgebäude über der Moskwa nicht zu übersehen. Wegen des Boykotts der Olympischen Spiele 1980 nach dem Einmarsch der Sowjetarmee in Afghanistan kamen westliche Besucher nicht in den Genuss, den in der Nähe gelegenen Luschniki-Sportpark 1980 zu besuchen.
Im Zentrum der Stadt am Ufer der Moskwa vergnügen sich die Moskowiter am liebsten im „Gorki-Park für Kultur und Erholung“ mit seinen malerischen Hügeln, Hainen und kleinen Brücken, gerne bei einer Schiffspartie im Sommer und einer Runde Schlittschuhlaufen im Winter – anschließend können sie sich je nach Jahreszeit bei einem kühlen Bier in einer der vielen Bars abkühlen oder mit einem Teller heißen Borschts aufwärmen. Abends laden zahlreiche Freilichtbühnen zu kulturellen Genüssen ein, Feiertage werden meist mit spektakulären Feuerwerken begangen und am Rande des Lustgartens, wo der Park in die bewaldete Hügellandschaft der Sperlingsberge (Worobjowy gory) übergeht, eröffnet sich ein fantastischer Ausblick auf das Panorama Moskaus.
Der Park von Kolomenskoje mit der Christi-Himmelfahrtskirche, der ersten russischen Zeltdachkirche aus Stein, ist heute ein Freilichtmuseum über der Moskwa im Südosten der Stadt. Im nordöstlichen Moskauer Stadtwald verbirgt sich der 300 Hektar große „Sokolniki-Park für Kultur und Erholung“. Noch ein Stück weiter draußen liegt der mit rund 1800 Hektar größte Erholungspark der Stadt. Im „Park von Ismailowo“, Lustgarten der letzten Zarendynastie, gesellen sich neben alten Feudalbauten und einer barocken Kathedrale (17. Jahrhundert) Cafés und Pavillons. Ein Schlosspark im englischen und französischen Stil im Stadtosten wurde zum Park von Kuskowo umgewidmet. An den Ostankino-Park schließt der Botanische Garten an.