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Mont St-Michel: Auf den Spuren der Möwen

Natürlich, im Mittelalter gab’s keinen Damm, keine Straße, keinen Parkplatz. Dem gemeinen Pilger blieb also nichts anderes übrig als sich die Füße wund zu laufen, Harpe Kerkeling kann ein Lied davon singen. Die Michelots, wie diese Spezies von Montjüngern genannt wurde, mussten die Bucht durchqueren, waren den Gezeiten ausgesetzt, der galoppierenden Flut, dem Treibsand – immerhin soll dieses fromme Peeling ihre Seele gereinigt haben.

Man wandert, um Geist und Seele zu entspannen.

Gut, so fromm ist unsereins jetzt auch wieder nicht, dass wir gleich den ganzen Weg von zu Hause aus gelaufen wären. Aber diese Grundreinigung unserer schwarzen Seele wollten wir dann doch mal versuchen. Zumal mit dem Schauer, der herrlich den Rücken hinab läuft, dass die Flut im Laufe der Pilgerjahrhunderte schon Tausende Frömmler verschlungen hätte. Aufgemerkt, deshalb niemals ohne Führer losmarschieren, die sich ihrerseits über solche Legenden köstlich amüsieren. „Ich kenne keinen Fall, bei dem ein Tourist ums Leben gekommen wäre,“ grinst François, unser Guide, „Ja, doch, Éric, der weiße Schafsbock soll hier 1966 abgesoffen sein, nachdem er von der Salzwiese genascht hat, in ein Wasserloch gestürzt ist und sich nicht mehr befreien konnte, als die Flut kam.“

Erzengel Michael strahlt im Gold an der Spitze.


Festbetoniert am Meeresgrund

Dass für uns Novizen Übermut dennoch völlig fehl am Platz ist, demonstriert der Führer schon kurz nach dem Aufbruch von der Ausgangspunkt beim Bec d’Andaine, um jedem Leichtsinn vorzubeugen (oder um sein Gewerbe nicht zu schädigen): Nachdem er sich eine besonders schöne Stelle im Treibsand ausgesucht hatte, ließ er sich erst bis zu den Knöcheln einsinken, dann beugte er sich nach vorne, bis er fast mit der Nasenspitze den Boden berührte – er schwankte, aber fiel nicht, wie ein Mafiosi am Meeresgrund, dessen Füße in Beton stecken.

Das war’s dann aber auch schon mit dem Grusel, danach hätten Jaques Cousteau und Grzimek ihre helle Freude an unserer mehrstündigen Stampferei mit feuchtem Sand unter nackten Füßen. Außer unserem Hobbyornithologen aus Stralsund dürfte aber kaum einer François‘ nicht enden wollende Aufzählung französischer Vogelnamen ohne Wörterbuch verstanden haben. Oder können Sie sich an anregende Konversationen im Unterricht über Strandläufer, Uferschnepfen, Seidenreiher und verschiedene Möwensorten erinnern. Immerhin, den Turmfalken, der angeblich auf dem vergoldeten Erzengel auf der Turmspitze nach Mäusen Ausschau halten soll, habe ich auch ohne Blick in den Micro Robert harpunenscharf erschlossen, auch wenn der Besserwisser hinter mir heute noch darauf beharrt, es handle sich um einen Wanderfalken. Nicht gesehen haben wir auch die Seehunde, die im Schutz der Sandbänke ihre Jungen zur Welt bringen sollen und die Delphine, die dabei in ihrer unnachahmlich kollegialen Art ab und zu zum Spielen mit den Kleinen vorbeischwimmen.

Belagerung und Hotelprojekt gescheitert
Sei’s drum, der Marsch hat sich gleichwohl gelohnt: Aufnahmen des Mont von allen möglichen Perspektiven sind der Lohn für die Wattwanderung, die unsere Füße sicherlich von jahrzehntealter Hornhaut befreien, unsere Seelen aber wohl doch nicht nachhaltig reinigen konnte. Dafür haben wir nun auch die Kapelle Saint-Aubert auf der Westseite der Insel im Kasten und Tombelaine, eine felsige Insel nördlich des Mont St. Michel, auf der die Engländer im Hundertjährigen Krieg eine Festung errichteten – in den 1920er Jahren hatten einige Hoteliers geplant, hier ein Luxusressort zu errichten. Der Plan ist glücklicherweise genauso gescheitert wie die Belagerung durch die Engländer.

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