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Zwischen Alpakas und Hühnern – Lebensabend auf dem Pflegebauernhof

Auf einem Bauernhof bei Koblenz bilden pflegebedürftige Senioren eine Wohngemeinschaft mit Alpakas, Rindern und Schweinen. Das ungewöhnliche Konzept kommt gut an.

Vom summenden Geräusch der Alpakas lässt sich Günter Schütz nicht beirren. Routiniert kehrt er in dem Stall den Mist zusammen, jeden Morgen. «Es ist schön mit den Tieren. Wie die kommen und gucken», sagt er. Der Senior, der sein genaues Alter nicht verraten will, lebt schon seit einiger Zeit mit den Alpakas in einer Wohngemeinschaft. Der Pflegebauernhof in Marienrachdorf bei Koblenz in Rheinland-Pfalz ist ihr gemeinsames Zuhause.

Auf dem Hof sollen die Senioren am Alltagsleben teilnehmen, auch wenn sie pflegebedürftig sind. Den Stall der Alpakas säubern – das ist auf dem Bauernhof in dem kleinen Dorf im Norden von Rheinland-Pfalz die Aufgabe von Schütz. Zuvor war er auch für kurze Zeit in einem gewöhnlichen Altersheim. Das sei aber nichts für ihn gewesen. Viel sagt er dazu nicht, nur, dass es ihm hier auf dem Bauernhof viel besser gefalle. Ob er sich mittlerweile an die Tiere gewöhnt hat? «Die haben sich an mich gewöhnt.»

Die Idee zu dem ungewöhnlichen Pflegekonzept kam Landwirt Guido Pusch aus seiner eigenen Familiengeschichte. «Bei der Großmutter war immer was gekocht, es war immer schön, es war immer Leben da. Wir sind zusammengekommen», erinnert sich der Landwirt an seine Kindheit in dem Haus. Diese Zeit sei wunderschön gewesen. In der Küche stehe heute noch der Tisch, mit dem er aufgewachsen sei. «Und dann wurde das immer weniger. Die Großmutter konnte sich dann selber nicht mehr helfen, musste dann betreut, gepflegt werden.»

Doch aus ihrem Haus wollte sie auf keinen Fall raus. Also überlegte Pusch, wie er den Hof erhalten und der Großmutter bis zum Schluss ein Zuhause bieten konnte – bis ihm die Idee zum Pflegebauernhof kam. Doch die nötigen Partner waren noch längst nicht überzeugt. Die Idee fanden alle toll, aber keiner habe mitmachen wollen, sagt Pusch. Aber davon ließ sich der Landwirt nicht beirren und entschied kurzerhand: «Jetzt gründe ich selbst einen Pflegedienst.»

Gesagt, getan: Die alte Scheune wurde zu Wohnräumen umgebaut. Mittlerweile wohnen 22 pflegebedürftige Menschen auf dem Hof, es gibt 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie teilen sich ein Dach mit Rindern, Schweinen, Hühnern, Alpakas und Wachteln. Auch einen Angelteich und etwas Weide gibt es, Bienenvölker produzieren Honig.

Der Hof ist ein Familienbetrieb, Puschs Mutter und seine Frau arbeiten dort, seine 18-jährige Tochter macht bei ihnen gerade eine Ausbildung in der Pflege. Dennoch steht ein professioneller Pflegedienst dahinter, mit 24-Stunden-Betreuung. Das Konzept kommt gut an, nicht nur bei den Älteren. Fachkräftemangel sei bei ihnen kein Thema, sagte Pusch. «Wir haben Mitarbeiter, die Kinder mitbringen und die Kinder haben sich schon beworben für den Ausbildungsplatz.»

Auf dem Pflegebauernhof sollen sich alle wie zuhause fühlen. Und alle haben ihre Aufgaben. Während Günter Schütz noch im Stall zugange ist, werden in der Küche bereits große Mengen an Kartoffeln für das Mittagessen geschält. Rund um den Küchentisch, den Guido Pusch noch aus seiner Kindheit kennt, sind alle Generationen versammelt.

Reinhold Karl ist mit dem kleinen Messer in den Händen noch sehr flink. Geduldig zeigt der 73-Jährige der fünfjährigen Romy Brabänder, wie er das macht. Romy hat gerade Kita-Ferien und ist deshalb mit ihrer Mama zur Arbeit gekommen. Die geschälten Kartoffeln kommen in eine Schüssel, aus ihnen werden später Kartoffelpuffer nach Omas Rezept gemacht. Die Schalen wandern in eine andere Schüssel, die bekommen später die Hühner.

Kartoffeln schälen gehört nicht zu Karls Lieblingsaufgaben, dennoch hilft er gerne. Lieber fährt er aber Traktor. «Ich bin froh, dass ich Blödsinn machen kann», sagt der an Demenz erkrankte 73-Jährige. «Ich bin gerne mit Menschen zusammen.»

Wichtig sei, dass niemand mithelfen müsse, sagt Pusch. Aber: «Jeder kann.» Barrierefreiheit heiße auch, Menschen mit Einschränkungen weiterhin alltägliche Sachen zu ermöglichen. «Hier spüren wir, dass die Bewohner sich nicht als Leistungsempfänger empfinden. Sie sind hier im Geschehen dabei, es bewegt sich was. Und die Pflege, Betreuung ist so am Rande.»

Puschs Wunsch ist es, dass sich sein Konzept in ganz Deutschland durchsetzt. «Im November diesen Jahres wird der erste im Schwarzwald eröffnet», sagt er stolz. Insgesamt unterstütze er zurzeit 20 Betriebe auf dem Weg zum Pflegebauernhof. So sind nach seinen Angaben etwa in Bayern, Sachsen und Nordrhein-Westfalen Projekte geplant.

Auf sein Konzept hat der Landwirt ein Patent angemeldet. Puschs Traum: «Innerhalb von 15 Minuten von einem Pflegebauernhof zum nächsten.» Dafür setze er sich ein. Pusch findet, dass das «Sterben und die Begleitung dahin» oft aus der Gesellschaft «ausgesiedelt» werde, obwohl es das «Wichtigste im Leben» sei. «Aber es gehört in die Gesellschaft.»

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