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Verhext vom bösen Prinzen

Seit der Schwarze Prinz die Stadt geplündert hat, geht es in Limoux wie verhext zu. Der Sohn des englischen Königs Eduard III. löste womöglich im Hundertjährigen Krieg (1337-1453) eine Bewegung aus, die selbst die Kölner Jecken in den Schatten stellt. Seit dieser Zeit pflegten die Müller der Stadt am fetten Dienstag, dem Tag, an dem sie das Kloster belieferten, von Minnesängern begleitet durch die Straßen zu ziehen und es anstelle von Bonbons und Konfetti gezuckerte Mandeln regnen zu lassen – wohl eine Reminiszenz an die Hungersnöte während der langen Kriegszeiten. Der erste Karneval im heutigen Sinn ist für 1604 belegt.

Grausig schön sind diese romantischen Gespenster im Musée des Automates von Limoux.

Limoux
Einwohner: 9.700 (Großraum 16.628)
Tourist-Info: Promenade du Tivoli, Telefon: (0033-4) 68 31 11 82
Karneval: Jeden Sonntag zwischen Mitte Januar und Mitte März führen 24 lokale Karnevalsorganisationen äußerst kreative Umzüge auf dem zentralen Marktplatz auf.
Souvenirs: Die Blanquette de Limoux ist ein beliebter Schaumwein, hergestellt nach der Méthode champagnenoise, der gerne mit einem Tropfen Fruchtsirup als Aperitif gereicht wird. Reservierungen für eine Kellerbesichtigung bei Les Vignerons des Sieur d’Arques, Avenue du Mauzac, Telefon: (0033-4) 68 74 63 45
Wassersport auf der Aude: Alet Eau Vive, Allée des Thermes, 11300 Alet-les-Bains, Telefon: (0033-4) 68 69 92 67, E-Mail: aleteauvive@ libertysurf.fr, 9-19 Uhr

Der Karneval von Limoux ist auch heute kein harmloses Ringelpiez mit Anfassen am Rosenmontag, sondern eine verzauberte Welt. Zwischen Mitte Januar und Anfang April wechseln sich auf der zentralen Place de la République an jedem Wochenende 24 eingefleischte Karnevalsgruppen ab, die zu den schrägen Klängen einer okzitanischen Musikkapelle dreimal um den Arkaden gesäumten Platz ziehen.

Die Erotik der Nacht
Der Vormittag ist heißen Rhythmen und politischer Polemik vorbehalten. Nachmittags promenieren die Darsteller in poetischen Kostümen zu Ehren des „Pierrot Limouxin“ an den begeisterten Familien vorbei. Sobald es aber dunkel wird, verzaubern hunderte von Fackeln die Szenerie und geheimnisvolle, unheimliche und erotische Figuren mischen sich unters Volk.

Karneval von Limoux.

Jetzt haben wir die Bescherung: Sie sind außerhalb der Karnevalssaison in Limoux? Schließlich, wer fährt schon in den Wintermonaten in den Midi! Macht nichts: Ein wenig von der gespenstischen Atmosphäre des Mummenschanzes können Sie im Musée des Automates nachempfinden. Dazu müssen Sie vom Marktplatz Richtung Pont neuf marschieren und über die Brücke die Aude überqueren.

Das hätten wir Ihnen ohnehin empfohlen, denn von hier haben Sie den schönsten Blick auf die Stadtsilhouette und den Turm der gotischen Kirche St-Martin. Gehen Sie anschließend geradeaus weiter, bis Sie auf die steinerne Skulptur einer jungen Dame mit Amphore vor einer ehemaligen Kirche (heute Museum, befindet sich im Umbau) treffen. Biegen Sie rechts in die Rue Anne-Marie-Javouhey ein, vorbei an einer weiteren Kirche und – nur keine Scheu – betreten Sie das ehemalige Fabrikgebäude Nr. 4 durch den Hintereingang.

Limoux, Stadt der Automatenmenschen.

Im Fegefeuer der Automatenwelt
Oh lá lá, im Museum empfängt Sie nicht nur ein zuvorkommender junger Mann mit Pferdeschwanz, sondern auch die süßen Töne allzu bekannter klassischer Evergreens, die die Bewegungen der Figuren, die bereits im Vorraum auf Sie warten, zu dirigieren scheinen.

Etwa die anmutige Verneigung der bleichen Dame mit schwerem, rubinrotem Brokat oder die einladende Geste der Exotin mit dem chinesischen Sonnenschirm gleich neben dem Raum hohen, goldenen Vorhang. Doch es sind nur die Vorboten einer künstlichen Welt, die sich im dunklen Ausstellungssaal zu thematisch verwandten Gruppen zusammengefunden haben.

Märchen- und Fabelgestalten, Harlekins und Zauberer, Prinzessinnen und Hexen, Gestalten der Commedia dell’arte sind hier zu ruckartigem Leben erwacht, rühren ihre Gliedmaßen nach einem immer gleichen Muster, wie verhext vom Schwarzen Prinzen, verdammt auf Ewigkeit im Fegefeuer dieser Automatenwelt.

Zurück im Eingangsbereich wird Ihnen der freundliche junge Mann gerne das Atelier zeigen und erklären, wie diese wundersamen Mechanismen von Künstlern und Kunsthandwerkern, von Technikern und begnadeten Bastlern, von fantasievollen Schneiderinnen und Kostümbildnern in Szene gesetzt und bisweilen auf den Brettern, die die Theaterwelt bedeuten, zusammen mit lebendigen Darstellern ein zauberhaftes Schauspiel bestreiten.

Le Musée des Automates
Magischer Ort in einem alten Fabrikgelände – hier treiben mehr als 100 Figuren, Automaten, Roboter ihr „Wesen“ – zum Leben erwacht drehen sie sich geheimnisvoll und grazil zur Leierkastenmusik. Zu besichtigen sind außerdem das Atelier und ein Film zur Geschichte dieser Kunstwesen. 4, rue Anne-Marie-Javouhey, April-Juni und Oktober-10. November täglich außer Montag 10-12 und 14-18 Uhr. Juli-September 10-12.30 und 14-19 Uhr. Infos unter Telefon: (0033-6) 70 39 01 74.

Das Goldene Zeitalter der Automaten
Wer sich für die historischen Hintergründe dieser frühen Dr. Frankensteins interessiert, kann sich die Geschichten der Roboter-Pioniere von einem Video erzählen lassen. Man sieht darin zierliche Figuren, die bereits 1760 die Kunst des Schreibens und Zeichnens beherrschten – und das hundskomplizierte Räderwerk, das ineinandergreift, um auf Hundertstelmillimeter genau die Bewegungen der Puppe koordiniert. 1773 tritt eine künstliche Pianistin auf den Plan, welche die Gassenhauer des Rokoko zum Besten gibt. Die Aufklärung mag’s handfester und bereichert uns mit einer Ente, die frisst und scheißt.

Schließlich werden die Mechanismen im 19.Jahrhundert immer ausgeklügelter: Ein Schachautomat nimmt es mit den Meistern seiner Zeit auf. Eine hölzerne Dame schreibt einen ganzen Brief, indem sie ohne zu tropfen die Feder ins Tintenfass hält und anschließend den Brief wie ein Origami faltet und versiegelt, dabei mit einer Kerze hantiert, um das Wachs behutsam aufs Papier zu tropfen.

Das Goldene Zeitalter der Automaten währt bis zum Ersten Weltkrieg: Pierrots vollführen einen Handstand auf einer freibeweglichen Leiter, ein anderer spielt Gitarre mit seinem Bein, ein Neger führt einen Trommelwirbel vor. Ein kesser Bursche öffnet einen Speiseschrank, seine alte Tante schaut verdrießlich aus diesem heraus und meckert bedrohlich, während der Junge die Zunge bleckt.
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Limoux.

Die nassen Brüste der blauen Venus
Wir haben uns nach dieser Expedition ins Reiche der Golems einen lässigen Café au Lait am Marktplatz verdient. Zurück über die alte Brücke wirkt jetzt der dunkle Turm der Martinskirche wie ein steinerner Finger, der drohend in den wolkenbehangenen Himmel ragt. Zurück am Marktplatz, wo wir uns unter düsteren Arkaden vor dem anrückenden Unwetter verstecken, überraschen uns an den Nebentischen Gestalten wie aus einem Film noir.

Sie lassen sich doch von uns keinen Bären aufbinden? Von wegen, glauben Sie es uns oder nicht, Limoux ist ein bezauberndes, weil eben nicht so heraus geschlecktes Städtchen, seine Bewohner sind geradeheraus und keine Pariser Modepuppen – und wir fühlen uns pudelwohl neben der blauen Venus, die ihre festen Brüste ungeniert in den Regen hält.

Hotel Le Mauzac
Freundliches, preisgünstiges Hotel (DZ 43-47 €, Frühstück 7 €) in Hanglage an der Straße nach Carcassonne. Trotz Schallisolierung Zimmer nach hinten bevorzugt.
9 av. Camille-Bouche, RD 118, Telefon (0033-4) 68 31 12 77.

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