Ratgeber

Unterwegs im Welterbe Oberharzer Wasserwirtschaft

Clausthal-Zellerfeld (dpa/tmn) – Der Honigduft des Labkrauts weht vorbei, Schmetterlinge saugen Nektar aus violetten Wickenblüten, Bachstelzen baden im Teichwasser, gelegentlich springt ein Fisch an die Luft, in der dicht über dem Wasser Libellen und Schwalben schwirren. Viel los und dennoch beschaulich ist’s an den Teichen rund um Clausthal-Zellerfeld. Man kann es ruhig angehen lassen.

Oder man frönt der Industrieromantik und legt den Fokus auf ein – laut Unesco – Meisterstück früher Bergbau- und Ingenieurkunst, mit dem man es hier auch zu tun hat: der Oberharzer Wasserwirtschaft.  

In den schier zahllosen Teichen, die über ein hunderte Kilometer langes, ausgeklügeltes Grabensystem verbunden sind, wurde einst Regenwasser gespeichert. So stand auch in Trockenphasen meist genug Wasser zur Verfügung, um Wasserräder anzutreiben. Diese hoben in Bergwerken Tonnen erzhaltigen Gesteins oder hielten Pumpen am Laufen, die Sickerwasser aus den Gruben beförderten.

Weltweit größtes vorindustrielle Energieversorgungssystem

Mit einer Fläche von 200 Quadratkilometern im niedersächsischen Teil des Mittelgebirges war die Oberharzer Wasserwirtschaft das größte vorindustrielle Energieversorgungssystem weltweit, schreibt der Harzer Forstwirt und zertifizierte Welterbe-Guide Christian Barsch auf seiner Website. Im Norden reicht das Gebiet fast bis Goslar, im Westen bis Bad Grund und im Südosten bis St. Andreasberg. Dort wird das Nass noch heute einschlägig genutzt: Ein Großteil des Stroms wird mithilfe von Wasserkraft gewonnen. 

Die Unesco verlieh dem, auch Oberharzer Wasserregal genannten, System aus 107 Teichen, 340 Kilometer Wassergräben und -läufen, Stollen und Bergwerksanlagen 2010 den Titel eines Welterbes – angegliedert an das Besucherbergwerk Rammelsberg und die Altstadt von Goslar mit ihrer Kaiserpfalz. Die drei Welterbestätten zeigen exemplarisch das Zusammenspiel von Bergbau, Technik und kaiserlicher Macht.

Zahlreiche Wanderwege führen heute vorbei an schilfumrahmten Teichen und schmalen Gräben – darunter auch Niedersachsens erster Premiumwanderweg; so bezeichnet das Deutsche Wanderinstitut Strecken mit «besonders hohem Erlebniswert». Der 6,3 Kilometer lange Liebesbankweg bei Hahnenklee zählt dazu. Er biete «reizvolle Relikte des historischen Bergbaus».

Viele Gräben und Teiche führen noch Wasser. Einige sind Badegewässer, andere dienen dem Hochwasserschutz, der Trinkwasser- oder Energiegewinnung. Wer mehr über die Nutzung der Wasserkraft vor Jahrhunderten wissen möchte, bucht geführte Wanderungen, wie sie auch Karin Kerlin anbietet. 

Grund für den Bau des Wasserleitsystems sei der Hunger nach Erz gewesen, um Clausthal-Zellerfeld vor allem nach Silber, sagt die Welterbeführerin, mit der wir uns auf den Weg gemacht haben. Schon im 13. Jahrhundert legten Zisterziensermönche die ersten Teiche und Gräben an. Zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert bauten Harzer Bergleute das System aus. Kaum anderswo in Europa wurde zu der Zeit mehr von dem Edelmetall aus dem Berg geholt als im Harz.

Lebensraum für besondere Tiere und Pflanzen

«Haltet die Wasser hoch», lautete die Devise, wie Kerlin am Hirschler Teich erklärt. Denn nur wenn Gefälle vorhanden ist, kann das Wasser die bis zu zehn Meter hohen hölzernen Räder antreiben. Zwei originale Wasserräder aus dem 18. und 19. Jahrhundert können im Bergwerk Rammelsberg südlich von Goslar besichtigt werden.

Die Wasserkraft wurde mehrfach genutzt: Hatte es für eine Grube Wasserräder angetrieben, wurde das Wasser zu tiefer gelegenen geleitet, um dort zu arbeiten – am Hirschler Teich zum Beispiel lief es zuerst zur Grube Carolina, danach zur Grube Dorothea und anschließend weiter ins Tal.

Zwischen Gräsern steigen wir den Damm des Teichs hinab und folgen dem Graben, der zur Grube Dorothea führt. Der Pfad verläuft anfangs unter Bäumen, später an Hecken und Wiesen vorbei. Die mageren, feuchten Böden bieten besonderen Pflanzen und Tieren einen Lebensraum.  «Hier habe ich schon Feuersalamander und einen Pirol gesehen», sagt Kerlin: «Und passen Sie auf, dass Sie auf keinen der vielen kleinen Frösche treten.»

Die Welterbeführerin zeigt uns einen treppenartig gemauerten Überlauf, eine sogenannte Ausflut. Drohte hier der höher liegende Hirschler Teich nach Regenfällen überzulaufen, wurde das Wasser darüber in den Oberen Pfauenteich geleitet. War dieser voll, wiederholte sich das Spiel in den Mittleren Pfauenteich. So war es überall in der Gegend, im System der angelegten Gewässer. Nur ja kein Wasser verschwenden! 

In Zeiten der Klimakrise hochaktuell

Die Oberharzer Wasserwirtschaft ist ein Lehrstück über den achtsamen Umgang mit Wasser. Sie zeigt, wie Regenwasser für Trockenphasen gespeichert werden kann – ein aktuelles Thema in Zeiten des Klimawandels mit zunehmenden Starkregenereignissen und längeren Trockenphasen.

Die Bergleute verstanden aber nicht nur viel vom Wasserspeichern, sondern auch von der Nutzung der Wasserkraft. So platzierten sie die Wasserräder immer dort, wo der Wasseraufschlag am besten war. Teilweise befanden sich die Räder deshalb bis zu einem Kilometer von den Pumpen entfernt. Die Kraftübertragung erfolgte über sogenannte Feldgestänge aus Holz.

Wie das funktioniert, zeigt ein Wasserrad mit Gestänge und Pumpe am Rande des Kurparks in Clausthal-Zellerfeld. Dort wurde alles neu aufgebaut. Allerdings ist das Feldgestänge kürzer, dafür aber umso anschaulicher.

Zudem informiert eine Ausstellung der Harzwasserwerke in Clausthal-Zellerfeld mit Fotos, Modellen und Originalteilen über den findigen Umgang mit der für die Menschheit schon immer grundlegend wichtigen Ressource im Harz. Auf dem Betriebshof stehen noch zwei alte, haushohe Wasserräder, die jederzeit bewundert werden können. 

Enormer Holzhunger 

Andererseits war der Holzverbrauch im Bergbau gewaltig: Die Wasserräder waren aus Holz, genau wie etwa die Konstruktionen zum Abstützen der Stollen. Holzkohle zum Verhütten des Erzes wurde vor Ort produziert. Kein Wunder, dass im 18. Jahrhundert der Wald im Harz schrumpfte. Waldarbeiter pflanzten schnell wachsende Fichten. Ihre geraden Stämme waren das perfekte Bauholz.

Heute sind die vom Klimawandel geschwächten Monokulturen ein gefundenes Fressen für Borkenkäfer. Kahle Flächen zeugen auch im Harz davon. Aber immer, wenn abgestorbene Fichten abtransportiert werden, sprießt neues Grün. Auf unserem Rundgang sehen wir blühende Brombeerbüsche und Fingerhüte, junge Ebereschen, Ahornbäume und Buchen auf freien Flächen. Ein Specht ruft. Und überall hört oder sieht man das Wasser plätschern oder glitzern – damals wie heute.  

Links, Tipps, Praktisches:

Reiseziel und Anreise: Das Oberharzer Wasserregal befindet sich im niedersächsischen Teil des Harzes. Goslar hat einen Regionalbahnhof. Nach Clausthal-Zellerfeld fahren Busse.

Wandern und Radeln: Entlang der 22 Wasser-Wanderwege – zwischen 0,3 und 11,5 Kilometer lang – wurden Infotafeln aufgestellt. Das Wegenetz umfasst 113 Kilometer. Auf den Webseiten der Tourist-Information Oberharz finden sich auch Tourenvorschläge für Radler. Aufgrund der teils steilen Anstiege werden viele Radrouten im Oberharz als mittel bis schwer eingestuft.

Museum: Das Oberharzer Bergwerksmuseum in Clausthal-Zellerfeld nennt sich das älteste Bergbaumuseum Deutschlands, es hat täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet, mit Ausnahme von Heiligabend und Silvester. Dort starten auch Welterbeführungen, die pro Person ab 12 Euro kosten. Ein besonderes Erlebnis sind untertägige Touren in Watstiefeln durch Stollen und entlang unterirdischer Wasserläufe.

Weitere Auskünfte: www.oberharz.de

Social Media: www.instagram.com/urlaubimoberharz

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