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Trend zum Kunstrasen: Nicht das Gleiche in Grün

Er braucht kein Wasser, wenig Pflege und bleibt auch bei Trockenheit grün: Kunstrasen. Ist das der nächste umstrittene Trend nach den Schottergärten?

Statt gelber Steppe wollen viele Gartenbesitzer lieber leuchtend grünen Rasen. Und weil das immer aufwendiger wird, setzen einige mittlerweile auf Kunstrasen. «Es wird immer trockener, die Leute sollen und müssen die Wasserressourcen schonen. Da ist Kunstrasen die Alternative schlechthin», sagt etwa Nico Reichelmann von Premium Kunstrasen aus Kissing (Bayern). Für die biologische Vielfalt sei Kunstrasen «total wertlos»: «Es wird keine Insekten darauf geben, keine Wildbienen und keine Nahrung für Vögel. Die heimische Fauna profitiert nicht davon», kritisiert dagegen Marc Marx vom Umweltbundesamt den Trend.

Während Corona kam der Kunstrasen-Trend ins Rollen

«Flauschig, 40 bis 50 Millimeter. Da geht der Trend gerade hin», sagt Andreas Wilshusen, Inhaber von Natürlich Kunstrasen aus Aschendorf (Niedersachsen). «In der Corona-Zeit haben sich viele zu Hause ihre Oase geschaffen. Damit ist das Ding ins Rollen gekommen», sagt er.

«Einige Kunden fangen klein an und probieren es erst im Vorgarten, um später dann den ganzen Garten machen zu lassen», berichtet ein Mitarbeiter von Top Green aus Bernau bei Berlin. Gerade in Regionen, wo die Bewässerung reglementiert werde, sei das Wassersparen ein wichtiger Grund. In Bernau hat die Firma einen Schaugarten angelegt.

Es gehe den Kunden auch um die Zeit- und Kostenersparnis, berichten verschiedene Verkäufer. «Bequemlichkeit», dieses Stichwort fällt häufig. Der Pflegeaufwand für Kunstrasen sei gering und gewässert werden müsse er auch nicht. Die steigende Nachfrage nach dem künstlichen Grün, das mittlerweile täuschend echt aussieht, sei eine ganz natürliche Entwicklung, meint Nico Reichelmann.

Doch dass Kunstrasen wirklich die bessere Alternative ist, bezweifeln Fachleute. Bodenexperte Marc Marx sieht Parallelen zu den berüchtigten Schottergärten: «Es ist natürlich keine umweltgerechte Gartengestaltung. Vermutlich heizen sich die Flächen wie bei Schottergärten stark auf.» Der kühlende Verdunstungseffekt falle weg. Durch die fehlende Vegetation gebe es auch keine Staubbindung und keine Reinigung der Luft.

«Der Kunstrasen ist nur das, was man an der Oberfläche sieht. Zuerst wird der Boden verdichtet, darauf kommt die Kiesdrainage, darauf Vlies oder Folie. In der Folge verhungert das Bodenleben und dadurch wird der Boden langfristig zerstört», erklärt Moritz Nabel vom Bundesamt für Naturschutz.

Der unterirdische Lebensraum sei eigentlich sehr vielfältig. «In unseren Breiten findet sich dort fast die Hälfte der Biodiversität. «Unter Kunstrasen hungert der Boden aus und stirbt ab, denn er bekommt keinen Eintrag organischen Materials mehr von oben.»

Das Thema geht «durch die Decke»

«Es ist keine versiegelte Fläche. Sie ist komplett wasserdurchlässig. Würmer oder Ameisen könnten dort trotzdem leben», betont hingegen Händler Jonas. «Wir schälen nur die Grasnarbe ab und erhalten die Flora und Fauna im Boden», erklärt auch Anbieter Wilshusen. Seine Firma nutze eine etwa zwei Zentimeter dünne Mineralsplitt-Schicht zum Glätten des Bodens, ein Vlies sowie Pads aus Polyethylenschaum, die für ein angenehmes Geh-Gefühl sorgen sollen, als Untergrund.

Noch sei Kunstrasen wahrscheinlich nicht so weit verbreitet. «Doch das Thema wird stark beworben und geht durch die Decke», beobachtet Moritz Nabel. Neben Direktvermarktern preisen auch Baumärkte wie etwa Hornbach die Vorteile an: Wenn eine Rasenfläche durch Kinder, Fußballspiele und Co. überstrapaziert werde, könne der Rasenteppich eine Alternative sein, heißt es. Gleichzeitig die Warnung: «Nachhaltig ist das aber nicht.»

Die Nachfrage sei in den vergangenen fünf Jahren um mehr als 40 Prozent gestiegen, berichtet Konzerneinkaufsleiter Michael Heußler. Bezüglich der Verwendung könne man nur mutmaßen. «Angesichts der Durchschnittsgröße der Kunstrasenstücke, die bei uns gekauft werden, ist es naheliegend, dass viele Kundinnen und Kunden Rasen für die Terrasse oder den Balkon einsetzten, seltener als Ersatz für Echtrasen», so Heußler.

In Bauordnungen wie zum Beispiel in Berlin ist Kunstrasen nicht vorgesehen. Dort heißt es, dass nicht mit Gebäuden überbaute Flächen von bebauten Grundstücken wasseraufnahmefähig zu belassen oder herzustellen und zu begrünen oder zu bepflanzen sind – soweit andere Erfordernisse dem nicht entgegenstehen. Die Bauaufsichtsbehörde könne gegen Kunstrasen vorgehen, heißt es von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.

Eine «Kunstrasen-Affäre» in Bayern

Im bayerischen Neusäß machte bereits eine «Kunstrasen-Affäre» Schlagzeilen. Hauseigentümer hätten die im Bebauungsplan vorgeschriebene Begrünung ihres neuen Gartens mit Kunstrasen umgesetzt, berichtet Stadtsprecherin Michaela Axtner. «In neuen Bebauungsplänen geht die Stadtverwaltung Neusäß nun dazu über, genau auszuformulieren, was unter “Rasen” zu verstehen ist – lebendige Pflanzen mit Wurzeln», so Axtner. Der Verwaltung seien aktuell zwei Fälle von Kunstrasen in Hausgärten bekannt. «Eventuell gibt es noch eine Dunkelziffer.»

Andere Kommunen haben Kunstrasen auf Grundstücken per Satzung bereits zum Teil ganz verboten oder deutlich beschränkt wie zum Beispiel Würzburg, Bayreuth, Coburg und Kaiserslautern.

In anderen Ländern gehe der Trend hingegen in eine ganz andere Richtung, betonen Händler. «In Italien, Spanien, Südfrankreich ist es eigentlich gang und gäbe, dass ich, wenn ich ein Ferienhaus, eine Finca oder Dachterrasse habe, mir Kunstrasen legen lasse, weil es einfach nicht bezahlbar ist, das zu wässern», sagt Unternehmer Nico Reichelmann. Im US-Bundesstaat Nevada werde Kunstrasen sogar staatlich subventioniert, um zu verhindern, dass unnötig Wasser verbraucht werde.

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