Stockholm (dpa) – «Es stimmt wohl, dass Michel mehr Unfug machte als irgendein anderer Junge in ganz Småland oder vielleicht in der ganzen Welt.» Das hat Astrid Lindgren (1907-2002) einmal selbst über den strohblonden Jungen mit der blauen Mütze gesagt, der mit seiner Familie auf einem Hof in Südschweden lebte und den seine Einfälle trotz bester Absichten allzu oft in die Bredouille brachten.
Michel aus Lönneberga, der im schwedischen Original Emil heißt, war eine der persönlichen Lieblingsfiguren Lindgrens. In diesem Jahr ist es 60 Jahre her, dass die große schwedische Kinderbuchautorin ihre erste Geschichte über den Lausejungen veröffentlichte. Gefeiert wird Michels 60. Geburtstag in Schweden nun unter anderem mit einem großen Jubiläumswochenende im Stockholmer Freilichtmuseum Skansen an diesem Samstag und Sonntag.
«Man kann Michel im Grunde genommen nie böse sein, weil er ein gutes Herz hat und eigentlich ein lieber Kerl ist», sagt Cilla Nergårdh, Chefin der Astrid Lindgren Company, die die Rechte der berühmten Schriftstellerin verwaltet. «Er ist nicht gemein oder dumm, im Gegenteil: Er hat Köpfchen. Oft will er die Dinge in Ordnung bringen, und dann läuft etwas schief.» Wie als er versucht, Magd Lina einen Backenzahn zu ziehen, seinen Vater versehentlich im Toilettenhäuschen einsperrt oder seine kleine Schwester Ida an der Fahnenstange hochzieht, weil man von da oben so weit sehen kann.
Während Mutter Alma die Streiche ihres Sohnes liebevoll in einem blauen Schreibheft notiert und Vater Anton sich nach seinen anfänglichen Wutausbrüchen meist schnell wieder beruhigt, legen die Nachbarn in Lönneberga weniger Geduld und Humor an den Tag. Sie sammeln sogar Geld, um Michel nach Amerika zu schicken.
Generationen von Kindern weltweit lieben den neugierigen und erfinderischen Michel – oder Emil – und seine Geschichten. Der Erste, der sie zu hören bekam, war im August 1962 Astrid Lindgrens dreijähriger Enkel Karl-Johan. «Er schrie und schrie, und um ihn zu beruhigen, fragte sie ihn: “Weißt du, was Emil aus Lönneberga einmal gemacht hat?” Und damit er ruhig blieb, war sie gezwungen, immer weiterzuerzählen», sagt Expertin Cilla Nergårdh.
Auch Karl-Johans Sohn, Lindgrens Urenkel Johan Palmberg, liebt die Michel-Geschichten. «Katthult ist eine der besten Kulissen von Astrid, mit einer wirklich liebenswerten und lustigen Besetzung von Charakteren», sagt er. In Schweden erschien der erste Band «Michel in der Suppenschüssel» im Herbst 1963. Später folgten «Michel muss mehr Männchen machen» und «Michel bringt die Welt in Ordnung». Daneben gab es zahlreiche Bilderbücher. Bis heute sind allein im deutschsprachigen Raum mehr als 4,3 Millionen Exemplare über die Ladentheken gegangen. Die Bücher sind in 54 Sprachen übersetzt und Michels Abenteuer in mehreren Spielfilmen erzählt worden.
In Deutschland sind die Bücher beim Oetinger Verlag erschienen. «Michel ist und bleibt unser allerliebster Unfugtreiber, der auch heute noch kleinen und großen Menschen Mut macht, eigensinnig und selbstbewusst durchs Leben zu gehen und für die eigenen Werte einzustehen und diese auch zu leben», sagt Verlegerin Julia Bielenberg. Zum Jubiläum startet der Oetinger Verlag im Mai die Influencer-Kampagne «Unser allerliebster Unfugtreiber» mit dem Hashtag #MeinMichelMoment. Sie ist an die weltweite Kampagne «Mischief is good» der Astrid Lindgren Company angelehnt.
Obwohl die Geschichten über Michel in einer Zeit und Gesellschaft spielen, die sich von der Lebenswelt von Kindern heute sehr unterscheidet, wundert sich Cilla Nergårdh nicht, dass sie immer noch so außerordentlich beliebt sind. «Michel ist stark und selbstständig, damit können sich Kinder identifizieren», sagt sie. Selbst den vielen Stunden im Tischlerschuppen, wo er zur Strafe für seine Streiche regelmäßig sitzen muss, gewinnt Michel etwas Positives ab, indem er eine beachtliche Sammlung an Holzmännchen schnitzt.
Der freche Fünfjährige liegt Astrid Lindgren wohl auch deshalb so am Herzen, weil Michels Kindheit sie an ihre eigene – und an die ihres Vaters Samuel August Ericsson – erinnert hat. Ihr Vater diente oft sogar als Inspiration: «Viele der Dinge, die Michel erlebt, hat Astrid Lindgrens Vater als Kind erlebt», sagt Nergårdh. So frech wie Michel sei er dabei aber nicht gewesen.
Zum 60. Geburtstag des Lausejungen von Katthult soll es nun neue Ausstellungen, Theaterstücke, Hörbücher, einen neuen Animationsfilm und vieles mehr in Regie der Astrid Lindgren Company geben.
Und einen Rat für Eltern von Lausekindern haben die Lindgren-Nachkommen noch parat: «Wenn das Kind mit Schrammen und einem lahmen Huhn im Arm nach Hause kommt, Holzgewehre unter dem Bett versteckt und das Taschengeld für Süßigkeiten verpulvert: Seid nicht beunruhigt. Bereitet dem Unfug der Kinder kein Ende, ermutigt sie und macht mit. Unfug ist gut.»