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«Reichsbürger»-Razzia: Auslieferungsverfahren und Debatte zur AfD

Mit den Festnahmen mutmaßlicher Verschwörer aus der «Reichsbürger»-Szene beschäftigt sich nun auch der Bundestag. Sowohl politisch als auch in eigener Sache. Denn ein Eindringen in Parlamentsgebäude war wohl ein Szenario, das die Gruppe in Erwägung zog.

Zwei Tage nach der großen Razzia in der «Reichsbürger»-Szene mehren sich die Rufe nach politischen Konsequenzen und zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen im Bundestag. Dass unter den mutmaßlichen Verschwörern, die in Untersuchungshaft sitzen, auch eine frühere AfD-Bundestagsabgeordnete ist, nehmen einige Politiker zum Anlass für Forderungen nach einem neuen Umgang mit der Partei.

Die Bundesanwaltschaft leitete unterdessen Auslieferungsverfahren gegen zwei Deutsche ein, die im Zuge der Razzia in Österreich und Italien festgenommen worden waren. Wann die beiden Männer den Ermittlungsrichtern des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe vorgeführt werden können, stand am Freitag noch nicht fest.

Der in Italien festgenommene Ex-Offizier bleibt vorerst in Perugia in Untersuchungshaft. Das entschied das Berufungsgericht in der mittelitalienischen Stadt am Freitag und folgte damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Das italienische Justizministerium gab auf Anfrage zunächst keine Stellungnahme ab.

Die Bundesanwaltschaft hatte am Mittwoch in einer der größten Polizeiaktionen in der Geschichte der Bundesrepublik 25 Menschen festnehmen lassen. 22 von ihnen wirft sie vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, die das politische System in Deutschland stürzen wollte. Drei weitere Festgenommene gelten als Unterstützer. Die 23 in Deutschland festgenommenen Beschuldigten sind seit Donnerstag in Untersuchungshaft. Mit Ausnahme einer Russin haben den Angaben zufolge alle die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Bundesanwaltschaft sprach zudem von 27 weiteren Beschuldigten. «Reichsbürger» sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen.

Rätsel gibt den Ermittlern eine bei einem der Verdächtigen gefundene Liste mit Namen von Prominenten auf. Aus Sicherheitskreisen hieß es am Freitag, zu welchem Zweck diese Liste erstellt worden sei, müsse noch aufgeklärt werden. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur steht noch nicht fest, ob es sich dabei um eine sogenannte Feindesliste handelt. Dem Vernehmen nach war sie im vergangenen April bei einer Hausdurchsuchung bei einem Mann entdeckt worden, der zu den am Mittwoch Festgenommenen gehört.

Die «taz» berichtete, auf der Liste befänden sich unter anderem die Namen von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und CDU-Chef Friedrich Merz. Auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sowie der CDU-Politiker Armin Laschet seien dort genannt, ebenso bekannte TV-Persönlichkeiten der öffentlich-rechtlichen Sender.

Der Bundestag beschäftigt sich in der kommenden Woche gleich in mehreren Sondersitzungen mit der Großrazzia und den möglichen Konsequenzen. Auf Antrag der Unionsfraktion soll der Fall am Montag sowohl im Innenausschuss als auch im Rechtsausschuss erörtert werden. Die Grünen drängen außerdem darauf, dass die nun aufgedeckten Pläne der Gruppe in einer Aktuellen Stunde im Plenum des Bundestages thematisiert werden.

«Das enttarnte Terrornetzwerk hat nach derzeitiger Kenntnis gezielt Angriffe auf den Deutschen Bundestag und damit das Herz der Demokratie vorbereitet», sagte die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic. Daher sollte sich der Bundestag möglichst bald «mit der Bedrohung der Demokratie durch Netzwerke von Reichsbürgern und anderen Rechtsextremisten» befassen. Dabei müsse auch über politische Konsequenzen sowie über sicherheitspolitische Maßnahmen und gesellschaftlichen Handlungsbedarf gesprochen werden.

Die Unionsfraktion will im Rechtsausschuss auch über eine Weitergabe von Informationen vor der Razzia sprechen. «Durchgestochene Ermittlungsinterna gefährden die Ermittlungen und schaden dem Rechtsstaat», sagte der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Günter Krings (CDU), dem Nachrichtenportal t-online. «Sofern Medienvertreter von den durchgeführten Durchsuchungsmaßnahmen und Festnahmen vorab informiert gewesen sein sollten, muss dies untersucht und aufgeklärt werden.» Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums sagte: «Einsätze wie der, der da gelaufen ist, sind immer auch mit einer möglichen Gefährdung der Einsatzkräfte verbunden.» Eine Vorab-Weitergabe von Informationen dazu sei «unverantwortlich».

FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle regte eine Überprüfung der Zugangsberechtigung zum Bundestag für alle ehemaligen AfD-Abgeordneten an. «Die Ereignisse um die frühere AfD-Abgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, die am Mittwoch wegen ihrer möglichen Verstrickung in Terrorpläne festgenommen wurde, machen eine erneute Überprüfung der Zugänge für frühere AfD-Abgeordnete nötig», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Bundestagsverwaltung solle jeweils prüfen, ob auch bei anderen früheren AfD-Abgeordneten mittlerweile neue Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden vorlägen, die auf eine Gefährdung des Parlaments schließen ließen. Sollte dies der Fall sein, müsse sofort ein Betretungsverbot ausgesprochen werden. Er sagte: «Es wäre unerträglich, wenn frühere AfD-Abgeordnete derartige Angriffe durch einen Zutritt zum Parlament ermöglichen würden.»

Ehemalige Abgeordnete erhalten nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag einen Ausweis für Ehemalige, mit dem sie weiterhin Zugang zu den Gebäuden des Bundestags haben. In einer Mitteilung der Bundesanwaltschaft zu den Festnahmen vom Mittwoch hieß es: «Nach den bisherigen Ermittlungen besteht zudem der Verdacht, dass einzelne Mitglieder der Vereinigung konkrete Vorbereitungen getroffen haben, mit einer kleinen bewaffneten Gruppe gewaltsam in den Deutschen Bundestag einzudringen.»

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte in München, «Reichsbürger»-Netzwerke müssten national und regional «absolut bis aufs Letzte trockengelegt werden» Zudem müsse geklärt werden, was die AfD eigentlich für eine Partei sei. «Die AfD ist mit dieser Szene eng verwoben, personell. Sie entwickelt sich zunehmend zu einem Sammelbecken auch gerade solcher rechtsextremer Kräfte, sie zieht sie geradezu an.» Zwar seien nicht alle AfD-ler rechtsextrem. «Aber alle, die versuchen, in der AfD gegen Rechtsextremismus vorzugehen, werden Stück für Stück aussortiert, abgewählt und an den Rand ihrer Partei gedrängt. Was eh schon schwierig ist, weil die ganze AfD in jeder Beziehung am Rand operiert.» Daher müssten auch Bemühungen des Verfassungsschutzes, sich mit der AfD zu beschäftigen, intensiviert und verstärkt werden.

Der Verfassungsschutz hat die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall im Blick. Eine Klage der AfD gegen diese Einstufung wurde in erster Instanz zugunsten des Verfassungsschutzes entschieden. Die AfD hat Berufung eingelegt. Für die Einschätzung des Verfassungsschutzes ist unter anderem relevant, wie groß der Einfluss der Rechtsaußen-Strömung ist, als deren bekanntester Vertreter der Thüringer Landes- und Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke gilt.

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