Berlin/Aurich/Flensburg (dpa) – Wenn Stefan Seidler am Donnerstag im Bundestag ans Rednerpult tritt, könnte es so klingen: «Foole tunk, fru präsidentin» Und so: «Moin lewe Afornte!» Und auch so: «Mange tak for opmærksomheden». Denn Seidler ist Abgeordneter des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW), der Partei der dänischen und friesischen Minderheit. Dass Seidler in seiner Rede am Donnerstag der Bundestagspräsidentin auf Friesisch dankt, die Abgeordneten auf Plattdeutsch begrüßt und sich auf Dänisch für die Aufmerksamkeit bedankt, liegt an einer besonderen Bundestagsdebatte, die für den frühen Nachmittag (14.05 Uhr) angesetzt ist.
Am 2. März wollen die Abgeordneten über den Schutz von Minderheiten- und Regionalsprachen beraten. Anlass ist der 25. Jahrestag des Inkrafttretens der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen am 1. März. Die Sprachen der anerkannten Minderheiten Dänisch, Friesisch, Sorbisch und Romanes sowie die Regionalsprache Niederdeutsch (Platt) werden seit 1999 in Deutschland geschützt und gefördert, nachdem die entsprechende Konvention des Europarates 1998 geschlossen wurde. Sie gilt in 25 Ländern.
Dass bei der 45-minütigen Debatte nicht nur über diese Sprachen, sondern auch in diesen Sprachen gesprochen wird, ist ausdrücklich erwünscht – eine Besonderheit. Bislang gab es lediglich immer wieder mal einzelne Reden im Bundestag in Minderheitensprachen, etwa auf Plattdeutsch.
Neben Seidler haben auch Abgeordnete von SPD, Grünen und FDP angekündigt, auf Plattdeutsch sprechen zu wollen. Seidler hat für seine Rede nur zwei Minuten. Er will natürlich auf Dänisch sprechen – so macht er es auch mit seiner Familie – und auf Plattdeutsch. Und als SSW-Vertreter der friesischen Minderheit auch auf Friesisch. Davor habe er allerdings «ein bisschen Muffensausen», denn Friesisch sei nicht seine Muttersprache. «Da muss ich noch ein bisschen pauken.»
Die Initiative für die Bundestagsdebatte geht auf den Parlamentskreis Plattdeutsch zurück, den einige Abgeordnete und Muttersprachler unlängst gegründet haben. «Das war eine spontane Idee», berichtet der SPD-Bundestagsabgeordnete Johann Saathoff aus Ostfriesland. Dazu sei es bei einer gemeinsamen Dienstreise 2018 in Kiew mit seiner FDP-Kollegin Gyde Jensen aus dem Wahlkreis Nordfriesland gekommen. Beide wollen nun bei der Debatte auf Plattdeutsch sprechen.
Seit der neuen Legislaturperiode treffen sich nun rund 15 Abgeordnete fraktions- und regionsübergreifend regelmäßig, um Plattdeutsch zu sprechen und die Sprache zu fördern, die von rund 2,5 Millionen Menschen in Norddeutschland gesprochen wird. Plattdeutsch im Bundestag zu sprechen sei schon etwas besonderes, sagt Saathoff, der in seinen Reden immer wieder plattdeutsche Sätze oder Passagen einbaut. 2018 sorgte der Ostfriese im Bundestag für Aufsehen, als er auf Plattdeutsch einer AfD-Initiative zur Verankerung von Deutsch als Landessprache im Grundgesetz konterte. «Düütschland word neet armer dör anner Spraken, Düütschland word rieker», sagte Saathoff damals – Deutschland werde nicht ärmer durch andere Sprachen, sondern reicher.
Auch für Seidler sind Regionalsprachen und Minderheiten «nicht einfach ein Sahnehäubchen mit ‘ner Kirsche oben drauf». Sie gehörten zum Alltag dazu, seien «Teil unseres Lebens und unserer Identität». Dementsprechend müssten sie auch gestützt und gefördert werden. Dies komme in letzter Zeit zu kurz. «Wichtig ist es gerade in dieser Zeit zu zeigen, dass Deutschland vielfältig ist und aus vielen Kulturen besteht», sagt der SSW-Abgeordnete.
Für die Stenografen, die die Parlamentsreden protokollieren, wird die Debatte wohl eine Herausforderung. Saathoff betonte aber, Ärger habe es wegen plattdeutscher Passagen noch nicht gegeben. «Ich habe den Eindruck, dass sich die Wahrnehmung in Berlin auch verändert hat», berichtet er. «Ursprünglich ist das mal belächelt worden, jetzt merke ich, dass es viele Kolleginnen und Kollegen gerade aus Norddeutschland gibt, die so ein bisschen neidisch drauf gucken und sagen: “Mensch, diese Sprache hätte ich auch gern gelernt”.»
Doch das Niederdeutsche ist wie andere Minderheitensprachen in der Existenz bedroht. Nach Angaben des Niederdeutschsekretariats in Bremen fand in den 1950er und 1960er Jahren ein Sprachwechsel in vielen Familien statt: Hochdeutsch verdrängte zunehmend das Plattdeutsch, da es als Bildungshemmnis galt.
Wie gut der Erhalt der Minderheitensprachen und die Einhaltung der Sprachencharta klappen, darüber wachen Experten des Europarates in Straßburg. Sie prüfen Berichte, die die Vertragsstaaten regelmäßig vorlegen. Für Deutschland sahen die Experten zuletzt noch Luft nach oben – etwa bei der Zahl von ausgebildeten Lehrkräften, die in Minderheitensprachen unterrichten. «Es müssen sofortige Maßnahmen ergriffen werden, um eine ausreichende Anzahl von ausgebildeten Lehrern für den Unterricht in den Regional- oder Minderheitensprachen sicherzustellen», forderte das Gremium im vergangenen Jahr.