Nicht falsch verstehen, geschäftig, etwas chaotisch und dazu noch der omnipräsente Napo-Léon – wie auf einem T-Shirt für Nachwuchskaiser zu lesen ist. Das klingt alles etwas nach städtebaulichem Verhau. Das trifft auf dieses Westküsten-Zentrum mitnichten zu. Wenn Sie keine Lust haben, in den Straßen, in denen nicht selten in zweiter Reihe geparkt wird nach einer winzigen Lücke Ausschau zu halten, auf die sich zeitgleich ein Smart, ein Roller und ein SUV stürzen, dann steuern sie auf das Parkhaus an der Place Diamant zu.
Sie entgehen so auch aufgetakelten Damen, die ihre Freundinnen vom Einkaufsbummel abholen, und nicht mit der Mascara-Wimper zucken, wenn sie einen scheinbar eigens dafür hergestellten Plastikboller umfahren, der den Marktbeschickern das Ein- und Ausladen erleichtern sollte. Das Komfortparken ist nicht ganz umsonst (6,40 Euro vier Stunden) aber dafür hat jede Ebene sein Symboltier: Seepferdchen im Untergeschoß usw.
Tauf-Kathedrale Napoléons
Zur Einstimmung ein Grand Crème – ebenso wie der Cappuccino ein Bitterkaffee mit Schaumkrone, der Unterschied erschließt sich nicht – im gleichnamigen Café gegenüber dem Ausgang mit Blick auf die erste Napoléon-Reiterstatue auf der Place de Gaulle. Dann laufen Sie auf der Avenue Malpinchi direkt auf die Neorenaissance-Kathedrale zu, in der Bonaparte getauft worden war.
Die pompöse Empire-Ausstattung macht einiges her und gleich beim Eingang links hängt ein echter Delacroix – mit dem Beleg, dass Madonnen und Apostel nicht zwangsläufig hässlich verzückte Gefrießer haben müssen. Die beste Außenaufnahme des von außen etwas unscheinbaren Sakralbaus gelingt, wenn Sie einige Schritte in die kleine Allee vorm Haupteingang machen.
Eseln und Ziege bewachen die Zitadelle
Einige Schritte Richtung Süden und der Blick wird frei auf den Golfe d’Ajaccio, dem wir auf dem Boulevard Lantivy bis zur imposanten, aber leider militärisch gesperrten Zitadelle folgen. Entlang der äußeren Wehrmauer blicken wir in einen Burggraben mit außergewöhnlichem Sicherheitspersonal: Zwei Esel und eine Bergziege stehen hier Wache – der kletterbegabte Bock hat es sich in kühner Felshöhe bequem gemacht und genießt die Vormittagssonne.
Wir laufen jetzt schnurstracks auf den Quai Napoléon mit dem alten Hafen zu – einige Yachten und zahllose Segelboote lassen nicht vermuten, dass etwas außerhalb Korsikas zweitgrößter Seehafen angesiedelt ist. So passt das Ambiente auch besser zu den Jahrhundertwendefassaden und den vorgelagerten Cafés. Einige Schritte weiter macht sich eine freche Möwe über den Müllsack eines Fischhändlers her.
Markttreiben unter Palmen
Sofern man zeitig vor Mittag und an einem Samstag die Pracht-Avenue Serafini erreicht, kann man das bunte Markttreiben in der Palmen beschatteten Allee verfolgen, das sich vom Hafen bis zur unvermeidlichen Napoléon-Büste am Nordwestende der Straße hinzieht. Der cesarisch überhöhte Kaiserkopf duldet still das höhnische Lachen der Möwen auf seinem Lorbeerkranz.
Die Buchhandlung Librairie des Palmiers am Nordwesteck veranstaltet häufig Lesungen, wie heute mit dem Bergfex Jean-Paul Quilici, der mit Piratenkopftuch, Knickerbockern und einem breiten Grinsen im Vollbart geduldig jedes Exemplar seiner korsischen Bergwelt „GR 20 – U Solcu di a Storia“ signiert. Einige angesäuselte, nennen wir sie Intellektuelle, diskutieren wie aus einem Chanson Jacques Brels entstiegen, die Weltlage: Da ist der Krumme mit dem dunkelbraunen Wuschelkopf mit dem viel zu engem Sakko, das hinten grotesk hochgerutscht ist, der mit Falsett auf die Gruppe mit dem Geduldigen und seinen glasigen Augen, auf den Grauen mit dem dünnen Zopf und die alte Dame einredet.
Die fesche Einkaufsmeile
Wir biegen rechts in die Rue Cardinal Fesch ein, die Shoppingmeile der Stadt, es reihen sich Boutiquen, Souvenirläden, Bijouterien und Cafés aneinander. Gegenüber der Chapelle Emperial, in der Bonapartes Eltern und Napoléon III. begraben liegen, sticht ein Café in die Augen, dass als Showroom für Kare Provision kassieren müsste: Pseudo-Rokokosessel mit Leopardenbezug, goldlackierte Theaterstühle mit rotem Kunstsamt und einer Teekarte, die jedem Briten ein Lächeln auf die steife Oberlippe zaubern würde. Die grande tasse Chocolat in der üblichen Cappuccinotasse für 5 Euro ist ganz passabel.
Jetzt aber endlich rein in den Bonapartismus, wer den Totenkult um den berühmtesten Korsen nach Topmodell Laetitia Casta huldigen und einen Blick auf die Gräber des Clans erhaschen möchte, muss für 8 Euro ins angrenzende Musée Fesch – eine Investition, die sich nicht nur wegen der zahlreichen Büsten und Gemälde des je nach Sichtweise genialen Feldherrn oder größenwahnsinnigen Kriegstreibers oder beides lohnt. Selbstherrliche Porträts des späteren Selfcrowned Kaisers und seines mäßig feschen Stiefonkels Kardinal Josef Fesch sowie der lächerlich in Pose geworfenen, vom Kaiser zu Königen ernannten Sippenmitgliedern wirken unfreiwillig komisch.
Bonapartes Grabkapelle geschlossen
Auch die pompöse Sammlung mehr oder minder begabter italienischer Meister des Kardinals auf zwei Stockwerken hätten wir nicht gebraucht, Raubkunst oder nicht. Nein, uns freut die stille korsische Landschaftsmalerei im Keller. Nur schade, dass die Kapelle, deretwegen wir gekommen sind, heute gar nicht zu besichtigen ist, wie wir am Schluss erfahren, als wir nach dem Weg zu den napoléonischen Gräbern fragen.