Mainz (dpa/tmn) – Welche Talente habe ich und in welchem Beruf kann ich sie einbringen? Brauche ich Freiheit oder klare Strukturen? Fragen, die sich nicht nur Einsteiger in den Arbeitsmarkt stellen. Da kommen Interessen- oder Persönlichkeitstests gerade recht. Sie sollen dabei helfen, Interessen und Stärken aufzudecken, um diese mit Berufs- oder Ausbildungsprofilen abzugleichen. Was sagen Experten dazu?
Erst mal muss man dazu verstehen, was Interessentests eigentlich mit der Berufswahl zu tun haben. Nach aktueller Forschung gilt: Wer einen Beruf hat, der im Einklang mit den eigenen Interessen steht, ist zufriedener.
Und auch für Unternehmen sei es heutzutage enorm wichtig, die eigene Kultur mit der Persönlichkeit beziehungsweise dem Arbeitsverständnis eines möglichen neuen Mitarbeitenden abzugleichen, sagt Wolfram Tröger, Vizepräsident des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater. Wer gut über sich Bescheid weiß, könnte also auch hier punkten.
Interessen mit Berufsbildern abgleichen
Die Interessen einer Person entwickeln sich in der Kindheit und Jugend. Sie blieben aber im Laufe des Lebens stabil, sagt Hans-Georg Wolff, Professor für Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Köln. «Deshalb werden sie zu einem Teil der Persönlichkeit gezählt.»
Sechs Hauptinteressen sind auszumachen, wobei es durchaus Überschneidungen geben kann: realistisches (wird mit Handwerk, Technik, Ingenieurwesen assoziiert), investigatives (Forschung), artistisch/künstlerisches, soziales, unternehmerisches sowie konventionelles (Umgang mit Daten, Verwaltung, Organisation) Interesse.
In einer Berufsberatung werde man auf die zwei bis drei Kategorien abzielen, die am stärksten ausgeprägt sind und gemeinsam analysieren, welche Berufsbilder sich darin abbilden, so der Wirtschaftspsychologe.
Interessenstests: Wissenschaft oder Entertainment?
Wer nach Persönlichkeits- oder Interessentests recherchiert, wird im Netz von den Angeboten schier erschlagen. Wie und wonach also auswählen? Ein erstes Kriterium sollte die Quelle des Angebots sein, sagt Thomas Rigotti, Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Wie seriös ist sie? Gibt es Hinweise auf eine wissenschaftliche Evaluation des Testverfahrens?
«Viele Tests dienen eher dem Entertainment und sind nicht wissenschaftlich evaluiert», so der Professor, «das kann man schon mal machen, man sollte nur die Ergebnisse nicht zu ernst nehmen.»
Reliabilität, also Zuverlässigkeit und Validität, also Gültigkeit oder Richtigkeit, seien hier die Fachbegriffe, erklärt Wolff. «Man kann prüfen, ob der Test das liefert, das ist aber schwer, da ist man meist dem Glauben überlassen.»
Wann ist ein Test seriös?
Ein seriöser Test sei sorgfältig entwickelt und berufe sich meist auf ein theoretisches Grundlagen-Modell nach John Holland, so Wolff. Das sogenannte Holland-Modell gilt zurzeit als die am besten untersuchte Theorie zu beruflichen Interessen. «Im Idealfall sollten die Testergebnisse eine gute Vorhersage zur späteren Zufriedenheit im Beruf erlauben, das können Online-Tests oder Apps häufig nicht leisten.»
Wer einschätzen will, ob ein Test wirklich hilfreiche Infos liefert, kann zunächst nach Bewertungen im Internet recherchieren. Vielleicht gibt es im eigenen Umfeld auch Personalexperten, die weiterhelfen können. Berater Wolfgang Tröger empfiehlt zudem, mit einigen guten Prompts, also Befehlen oder Anweisungen, einen KI-Chatbot zu befragen, welche Tests die Künstliche Intelligenz empfehlen würde.
Zusätzlich Beratungsangebote nutzen
Eine gute Anlaufstelle für Interessentests kann die Agentur für Arbeit sein. Sie verwendet Hans-Georg Wolff zufolge das Selbsterkundungsverfahren «Explorix», das – gefüttert mit tausenden Daten – eine solide Grundlage bildet. «Das Angebot ist umsonst, zudem können kompetente Mitarbeitende dabei helfen, die Testergebnisse zu interpretieren.»
Generell sei eine Einbettung der Testergebnisse in Beratungsangebot zielführend. «Man will sich ja nicht nur über die eigene Person klar werden, sondern auch herausfinden, welche passenden Berufe es gibt, die man mit dem eigenen Ausbildungsstand angehen könnte.» Übrigens gilt das nicht nur für Berufseinsteiger. Wer sich nach einigen Jahren in einem Job neu orientieren möchte, kann derartige Tests ebenfalls zurate ziehen.
Ob Neuling oder alter Hase, Thomas Rigotti rät Freunde, Familie oder Lehrer um eine Fremdeinschätzung zu bitten – ohne sich zu sehr davon leiten zu lassen. Dazu kommen Info-Tage oder Ausbildungs- und Berufsmessen. «Die Berufswahl muss einen vor allem heutzutage nicht bis zur Rente festlegen.»
Es muss nicht immer gleich ein Praktikum sein
Wer mehr über einen spannenden Beruf erfahren möchte, spricht am besten mit Menschen, die genau diesen bereits ausüben. Vielleicht gibt es auch einen Headhunter oder eine Personalberaterin im näheren Umfeld, um sich privat auszutauschen. «Es muss nicht immer gleich ein Praktikum sein, man kann sich mit drei Leuten unterhalten, die in einer Branche arbeiten», sagt Wolff. Dennoch gehe nichts über praktische Erfahrung, findet Rigotti. Er empfiehlt, wenigstens einen Tag praktisch in den Job reinzuschnuppern oder mal einen Tag an die Uni zu gehen.
Weitere seriöse Quellen können Coaches oder Karriereberater und -beraterinnen sein. Hier müssen Interessierte aber mit Kosten rechnen. «Eine solche Beratung sehe ich als Premium-Variante, falls erste Schritte wie Tests oder Gespräche nicht weiterführen», sagt Tröger.