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Märchenwald und Mondlandschaften: Wandern auf Teneriffa

Santa Cruz de Tenerife (dpa/tmn) – Am Mirador Cruz de Carmen beginnt eine mystische Welt. Uralte knorrige Bäume tauchen aus dichten Nebelschwaden hervor. Moos kriecht über Äste und Stämme. Meterlange Flechten, die an geduldig gezüchtete Zwergenbärte erinnern, schwingen im Lüftchen. Und es riecht gut: nach frischem Laub.

«Der Legende nach war das Anaga-Gebirge auf Teneriffa einst Treffpunkt für Hexen und Geister», sagt Wanderführerin Yvonne. Der Lorbeerforst («Laurisilva») im Nordosten der Kanareninsel – er erscheint als Märchenwald. Ein prähistorischer Schatz der Natur ist er sowieso. Es gedeihen Kanaren-Glockenblume, Natternkopf und mannsgroße Baumheide.

Vor 20 Millionen Jahren erstreckten sich diese urwüchsigen Wälder über den ganzen Mittelmeerraum, heute sind sie fast verschwunden. Im Anaga, einem der schönsten Landschaftsschutzgebiete der Insel, hat das Relikt aus dem Tertiär überlebt. Menschen sind rar auf der bergigen Halbinsel. Dafür treffen Wanderer die Einsamkeit nach jeder Kehre, in jedem Weiler.

Zwischen verkohlten Stämmen sprießt es wieder

In den vergangenen Monaten waren die Reste der Laurisilva in Gefahr. Teneriffa brannte. Hunderte von Menschen mussten im Nordosten bei Angehörigen oder in Notunterkünften unterkommen, die Feuerbrigaden hatten rund um die Uhr zu tun.

Ein Drittel des Schutzgebiets Corona Forestal, der grünen Lunge Teneriffas, wurde durch den Brand in Mitleidenschaft gezogen, mehr als 5000 Hektar Land wurden vernichtet.

Es wird dauern, bis sich die Natur von diesem Inferno erholt. Doch zwischen den verkohlten Stämmen sprießt bereits frisches Grün. Einige Straßen und Wanderrouten sind zwar noch nicht wieder freigegeben, doch die Situation in dem betroffenen Gebiet zwischen Santa Úrsula und La Orotava normalisiert sich.

Wandertouren-Anbieter wie Heidis Wanderclub sind bereits wieder im Bousque de la Mercedes, dem Mercedeswald, unterwegs. Dort werden die Lorbeerbäume bis zu 30 Metern hoch. Das gibt es sonst nirgends auf der Welt.

Häuser wie Bienenwaben

Dass die Natur unerbittlich sein kann, wissen die Menschen im Anaga zur Genüge. In El Batán, einem Weiler, der von den Bettenburgen im Süden des Eilandes Lichtjahre entfernt scheint, kleben die weiß getünchten Häuser wie Bienenwaben an den steilen Hängen, aus denen bizarr geformte Felsspitzen vulkanischen Ursprungs herausragen.

Die Kirche sowieso, aber auch die Guachinche «Mi Pueblo» ist Stolz des Dorfes – ein typisches kanarisches Lokal, wo sich Einheimische und Wanderer treffen. Auf einen Cortado, ein Bier oder den traditionellen Eintopf Ropa vieja aus Kichererbsen, Kartoffeln, Fleisch und Gemüse.

Tagsüber lässt sich kaum einer der 280 Bewohner blicken. Viele leben in der Stadt und kommen nur am Wochenende nach Hause. Terrassen, die die Vorfahren in mühevoller Handarbeit den Bergen abgerungen haben, liegen verlassen da.

«Jeder Ort im Anaga hatte seine eigene Mini-Industrie», sagt die Wanderführerin. El Batán war für gewalkte Stoffe berühmt, Chinamada auf der anderen Seite der begrünten Schlucht war ein Ort der Köhler. Heute kommen die Touristen wegen der Wohnhöhlen, die schon die blauäugigen Guanchen, die Ureinwohner Teneriffas schätzten.

Die 20 Kilometer lange und bis zu zehn Kilometer breite Anaga-Halbinsel existierte schon, bevor sich weitere Vulkane aus dem Meer katapultierten und die größte Kanareninsel formten, die vom 3718 Meter hohen Teide überragt wird. Das schlafende Monster mit seinem riesigen, fast 17 Kilometer messenden Einsturzkessel sowie der Cruz de Taborno und der etwas kleinere Chinobre sind die Wettermacher Teneriffas.

Durch alle Jahreszeiten

Die Passatwinde verfangen sich an den Bergen, hängen im Norden fest und bescheren dem wüstenähnlichen Süden damit über 300 Sonnentage im Jahr. Für die urzeitlichen Wälder sind feuchte Winde aus Nordost ein wahrer Lebensquell: Lorbeerbäume, Pinien, Eukalyptus und Drachenbäume saugen das Regenwasser auf.

Das erklärt, warum es auf der gut 2000 Quadratkilometer großen Urlaubsinsel so viele unterschiedliche Klimazonen gibt – vom schneebedeckten Teidegipfel, über subtropische Nebelwälder bis zu kargen Wüsten. Die abgeschiedene Lage im Atlantik hat Teneriffa eine außergewöhnliche Flora und Fauna beschert.

140 endemische Arten sind dokumentiert, darunter der gelbe Enzian, der kanarische Schneeballen mit seinen holunderartigen Blüten und das violette Teideveilchen, das der Forschungsreisende Alexander von Humboldt als erster beschrieb. Die Lorbeerwälder haben die Insulaner zwar unter Schutz gestellt, doch gegen Brandstiftung wie bei den jüngsten Feuern hilft das nicht.

Wer von San Cristóbal de La Laguna, Weltkulturerbe dank der vielen Paläste spanischer Adliger, zur Caldera des Teide hinaufkurvt, kommt an endlosen Geröllfeldern und erstarrten Lavaströmen vorbei. Man kann sich kaum vorstellen, dass hier oben vor 150 Jahren die Farbe grün vorherrschte. Der letzte Ausbruch am Teidemassiv ereignete sich im November 1909.

Einst gab es Gras und Wasser in Überfluss. Hirten ließen Ziegen und Schafe weiden. Heute fahren Tankwagen die Serpentinen hinauf, um das einzige Hotel und die Restaurants am Fuße von Spaniens höchstem Berg mit Wasser zu versorgen.

Die Mondlandschaft im Nationalpark El Teide ist ein eigenes Universum, eine lebensfeindliche Umwelt mit klirrender Kälte und extremer Hitze, dünner Luft und starker Strahlung. So unwirtlich die Gegend mit erstarrten Lavaflüssen, ausgebrannten Schlackefeldern und scharfkantigen Felsen auch wirkt: Im Frühjahr überzieht ein buntes Blütenmeer die menschenfeindliche Einöde.

500 Meter hohe Kraterwände

Das unschuldige Weiß des Teideginsters mischt sich mit dem fröhlichen Gelb der Teiderauke oder dem intensiven Rot des Teidenatternkopfs, der bis zu drei Meter empor wächst. Der Insektenmagnet blüht nur einmal in seinem Leben, bildet aber so viel Samen, dass sein Bestand gesichert ist. Wer Glück hat, entdeckt Steinbock oder Mufflon. Diktator Franco ließ die scheuen Tiere aussetzen, weil seinem Schwiegersohn die Jagd auf Kaninchen nicht mehr genügte.

Ein gewaltiger Anblick ist der Einsturzkessel Las Cañadas, der von 500 Meter hohen Kraterwänden begrenzt wird. Es sind die Reste eines Supervulkans, der einst bis zu 6500 Meter aufragte. Als schönste Formation aber gelten die wunderlichen Felstürme der Roques de García, die die Caldera in eine westliche und östliche Hälfte teilen.

Ihr berühmtester Vertreter, der Roque Cinchado schaffte es in den 1980er Jahren sogar auf den 1000-Peseten-Schein. So vergänglich wie eine Geldwährung ist die frei stehende Felsnadel, auch «Finger Gottes» genannt, aber nicht. Bis sie umstürzt wird wohl noch reichlich Zeit vergehen.

Tipps, Links, Praktisches:

Anreise: Der Flughafen Teneriffa Süd liegt in der Nähe des Parque Nacional del Teide und wird ab Deutschland direkt angeflogen. Vom Airport Teneriffa Nord aus ist es nicht weit bis zum Parque Rural de Anaga, in der Regel ist ein Umsteigen in Madrid erforderlich.

Unterwegs: Alternative zum Mietwagen sind die Busse der Gesellschaft Titsa, die selbst entlegene Berg- und Küstenorte anfahren. Das Tagesticket kostet 10, das Wochenticket 50 Euro.

Wandern: Pauschalreisen haben viele große Veranstalter im Programm. Aber auch Spontantouren sind möglich. Anbieter sind neben Heidis Wanderclub beispielsweise Wanderjule, Wanderstab oder Aventura. Kosten: ab 30 Euro pro Tagestour. Wer den Teide besteigen oder in die Masca-Schlucht möchte, braucht Genehmigungen, die in der Regel von Anbietern organisiert werden.

Weitere Informationen: Turespaña

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