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Istanbul, Europas Tor zur islamischen Welt

Wo beginnt Europa, wo hört es auf? Die Frage beinhaltet mehr Dimensionen, als nur eine geographische Abgrenzung – sie ist eine historische, politische und philosophische Standortbestimmung.


Das Europa der (Vor-) Geschichte

Die europäische Geistesgeschichte beginnt literarisch mit dem Raub der schönen Europa durch den griechischen Göttervater Zeus – schon hier das erste Dilemma: Die Dame ist Afrikanerin. Keine Sonntagsrede heute vergeht ohne einen Hinweis auf die abendländische Kultur, die aus zwei Quellen gespeist wird: der griechischen Philosophie mit ihrem adaptierten Erfahrungsschatz der Ägypter und dem Christentum, einer kleinasiatischen Abspaltung des Judentums. Und schließlich: Konstantinopel, wohin Kaiser Konstantin das Zentrum des Römischen Imperiums verlegte, das Christentum zur Staatsreligion erhob und Kaiser Justinian mit der Hagia Sophia den salomonischen Tempel übertreffen wollte – die größte Stadt der Türkei ist eine zutiefst europäische Metropole. Die drei Beispiele zeigen: Die europäische Idee ist keine räumliche Größe, Impulse auch der jüdischen und arabischen Welt haben Europa geprägt.

Das Europa der Aufklärung

Mustafa Kemal Atatürk gilt als der Begründer der modernen Türkei.

Mit der Rückbesinnung auf die antike Kultur in der Renaissance und der Entwicklung des Humanismus begann ein Prozess der Trennung von Staat und Religion, der Aufklärung und Moderne möglich machte. Diese originär europäische Leistung führte zum Aufstieg europäischer Staaten zu wissenschaftlich-technologischen Großmächten – eine Stellung, die sie als Kolonialmächte weltweit missbrauchten. Die industrielle Revolution mündete schließlich in die Teilung der Welt in ein kapitalistisches und ein staatsmonopolistisches Lager und nach deren Überwindung in die Globalisierung, für deren politische Steuerung sich bislang die supranationalen Strukturen als unzureichend erwiesen haben. Kemal Atatürk hat mit seinen Reformen die Türkei an das Europa der Aufklärung herangeführt. Heute sollten wir mit einer gesunden Skepsis gegenüber blindem Fortschrittsglauben nicht nur fragen: Was kann die Türkei noch von Europa übernehmen, sondern auch: Was kann Europa von der reichen Kultur der Türkei lernen?

Das Europa des Machbaren

Ein Ergebnis des nationalistischen Wütens des 20. Jahrhunderts ist die Europäische Union. Bei allen Defiziten hat sie den zuvor zutiefst zerstrittenen Kontinent durch die Verzahnung wirtschaftlicher Interessen und politischer Institutionen zu einem Hort der Stabilität wachsen lassen. Aus dieser Position der Stärke, aus der Verantwortung mit bis heute verheerenden Folgen und im Sinne wohlverstandener Eigeninteressen als Teil der Weltgemeinschaft steht die Europäische Union in der Pflicht, sein wirtschaftliches Gewicht in weltinnenpolitischen Gestaltungswillen umzumünzen.

Die Politik der Europäischen Union ist ein zähes Ringen um kleine Fortschritte, die dann aber auch alle mittragen können. Die EU hat bis heute zwei Paradigmenwechsel vollzogen: Die Reintegration der ehemals faschistischen Staaten in die Völkergemeinschaft und die Überwindung des Ost-West Konflikts. Heute steht die dritte Herkulesaufgabe bevor: die Versöhnung der christlich-abendländischen mit der östlich-muslimischen Welt.

Das Europa der Brücken

Seit Jahren verhandelt die Türkei mit der EU über eine Mitgliedschaft.

Nach der Überwindung des Kalten Krieges steht die Welt vor neuen Herausforderungen. Russland scheint gewillt zu sein, in Teilen das Erbe des Sowjetimperiums als Hegemonialmacht über seine ehemaligen Republiken anzutreten. Die bevölkerungsreichsten Staaten der Welt, China und Indien, konkurrieren um die Position der beherrschenden wirtschaftlichen und militärischen Atommacht Südostasiens. Und der von Fundamentalisten auf beiden Seiten ausgerufene Krieg der Kulturen zwischen der westlichen und der islamischen Welt dient als Rechtfertigung kriegerischer Auseinandersetzung in Afghanistan und im Irak. Europa hat in diesem Szenario bislang seine Rolle nicht gefunden – eine Europäische Union, die außenpolitisch mit einer Stimme spricht, hätte alle Chancen, Brücken zu bauen. Mit dem EU-Beitrittskandidaten Türkei hat Europa das Modell eines demokratischen Staates islamischer Prägung als Trumpf im Ärmel.

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