Heilbronn (dpa/tmn) – Mit etwas mehr als 125 000 Einwohnern darf sich Heilbronn immerhin Großstadt nennen. Von Touristen wahrgenommen wird die Stadt dennoch eher wenig – zu Unrecht.
Sie hat nicht nur eine spannende Geschichte, sondern auch einige teilweise bizarre Highlights zu bieten. Seien es eine seit Ewigkeiten falsch gehende Uhr, den Klerus in den Kakao ziehende Figuren an einer Kirche oder die in Stein gemeißelte Wut eines Amtsmitarbeiters.
Reich dank Blockade
Jahrhundertelang war Heilbronn eine wichtige Handelsstadt, die durch ein Privileg zu immensem Reichtum kam: 1333 erhielten die Bewohner von Kaiser Ludwig IV. das Verfügungsrecht über den Neckar.
Sie legten Mühlen und Wehre an, wodurch der Fluss die nächsten Jahrhunderte für Schiffe nicht passierbar war. Alle Güter, die per Schiff über den Neckar transportiert wurden, mussten fortan vor der Stadt abgeladen und dahinter wieder aufgeladen werden. Außerdem waren die Händler gezwungen, ihre Waren einige Tage im Rathaus zum Verkauf anzubieten – quasi eine Art historisches Prime-Shopping. Wer das umgehen wollte, musste sich freikaufen.
Kein Wunder, dass Heilbronn einst eine randvolle Stadtkasse hatte – und damit allerhand grandiose Bauten finanzierte. Das Rathaus beispielsweise.
Ziemlich schön und ziemlich falsch
Mit seinen Arkaden und der Freitreppe ist das im gotischen Stil erbaute Rathaus aus dem Jahr 1417 ein imposanter Bau. Die wirkliche Attraktion ist jedoch nicht das Gebäude selbst, sondern die Kunstuhr mit drei Ziffernblättern von Isaak Habrecht.
1579 bis 1580 wurde sie konstruiert und galt als wahres Wunderwerk. Bis heute ist die Uhr in Betrieb, und das obwohl sie schon mehr als 440 Jahre auf dem Buckel hat. Noch immer posaunen hier alle vier Stunden die Engel, stoßen die beiden goldenen Widder die Köpfe zusammen, kräht und flattert der mechanische Hahn.
Fast noch interessanter ist aber ein Aspekt, den man der Uhr nicht ohne Weiteres ansieht: Sie geht falsch – und das seit mehr als vier Jahrhunderten! Zwei Jahre nachdem sie gebaut worden war, ließ Papst Gregor XIII. dummerweise eine Kalenderreform durchführen, um Mondphasen und Kalender wieder in Einklang zu bringen.
Zehn Tage fielen dadurch weg, und der Sonnen- und Mondstand im Tierkreiszeichen der astronomischen Uhr am Heilbronner Rathaus ist der Zeit seither ungefähr eine Woche voraus. Eine Anpassung kam damals nicht infrage, zu kompliziert war das Uhrwerk.
Als sich viele Jahre später die Gelegenheit zur Änderung ergab, zum Beispiel bei einer Restauration 1896 oder nach dem Zweiten Weltkrieg, entschied sich der Gemeinderat dagegen. Aus historischen Gründen.
Grandios und respektlos
Eine weitere versteckte Sensation liegt nur zwei Fußminuten vom Rathaus in der Fußgängerzone: die Kilianskirche, deren älteste Teile auf das 13. Jahrhundert zurückgehen.
Die meisten Besucher schauen wegen des Altars von Hans Seyfer aus dem Jahr 1498 vorbei. Das filigrane Lindenholz-Kunstwerk ist unbedingt einen ausführlichen Blick wert, denn der Künstler machte sich die Mühe, jede Figur mit einem individuellen Gesicht zu versehen.
Mindestens genauso spannend sind allerdings die Turmverziehrungen. Der Pfarrer mit gespaltener Zunge, das Fabeltier, das einen nackten Hintern küsst, Kleriker mit raubtierartigen Vorderbeinen, Flügeln und dem Hinterteil eines Skorpions. Ja, sogar ein Affe in Mönchskutte ist dabei. Und, quasi als Krönung, thront oben auf der Spitze kein Kreuz, sondern das «Männle», ein steinerner Mann. Wie konnte das passieren?
Als der achteckige Turm 1508 bis 1529 zur Zeit der Bauernkriege gebaut wurde, brodelte es bereits in der Kirche. Die Zeit war reif für eine Änderung und der Baumeister Hans Schweiner wollte Gott und nicht der Kirche huldigen. Für den Klerus hatte er wenig übrig und machte sich über ihn lustig.
Gewagt waren seine steinernen Scherze dennoch. Schweiner dürfte deshalb froh gewesen sein, als Heilbronn im Zuge der Reformation in eine evangelische Stadt verwandelt und die Kilianskirche damit zu einem protestantischen Gotteshaus wurde.
Ein expliziter Treffpunkt
Sogar auf literarischen Spuren kann man in Heilbronn wandeln, zum Beispiel beim Spaziergang auf den Wartberg, den Hausberg der Stadt, dessen Aussicht schon Johann Wolfgang von Goethe begeisterte.
Ein beliebter Treffpunkt für die Wanderung ist der, nun ja, wenig literarische Meyle-Stein, der rechter Hand in eine Weinbergmauer der Wartbergsteige eingelassen wurde. «Leck mich am Arsch» steht dort in allerschönster Schreibschrift in Stein gemeißelt. 1952 soll ihn ein Angestellter des Tiefbauamts hinterlassen haben, nachdem er vermeintlich von einem Winzer geprellt worden war.
Drei Jahre später ließ der damalige Oberbürgermeister Paul Meyle die etwas kryptische Replik «Wart no a Weile! Oberbürgermeister Meyle» dazumeißeln – und zwar von just jenem «Künstler», der schon den ersten Spruch hinterlassen hatte.
Seither kann man sich in Heilbronn am «Leck mich am Arsch» treffen – und tut es auch.
Moderne und Historie ganz nah
Allerdings lebt Heilbronn nicht nur in der Vergangenheit. Rundum modern und sehenswert ist das Wissenschaftszentrum Experimenta auf der Neckarinsel. Auf 25 000 Quadratmetern warten Hunderte Exponate, inklusive Sternwarte und einem «Science Dome» mit einem großen Kuppelscreen und drehbarem Zuschauerraum.
Von dort aus lohnt ein kurzer Abstecher in die jüngere Geschichte, zum Wilhelmskanal. Zugegeben, er sieht wenig spektakulär aus, wie er so schläfrig vom Neckar abzweigt, doch historisch hat er es in sich.
Als Heilbronn Anfang des 19. Jahrhunderts mit der politischen Neuordnung Südwestdeutschlands durch Napoleon seinen Status als unabhängige Reichsstadt verlor, fiel die Stadt an das Königreich Württemberg. Dieses ließ besagten Kanal graben, der die Stauwehre und Mühlen auf dem Neckar umging und ab 1821 wieder für freie Fahrt sorgte. Heilbronns bequeme Einnahmequelle versiegte.
Info-Kasten: Heilbronn
Anreise: Heilbronn liegt im Norden Baden-Württembergs direkt an den Autobahnen A 6 und A 81. Fernzüge halten in der Stadt nicht, es gibt aber viele Regionalzugverbindungen, etwa nach Stuttgart.
Essen: Besonders gut und günstig gibt es lokale Küche samt einem «Viertele» Wein in den zahlreichen Besenwirtschaften und Weinstuben in und um die Stadt: Auf ihren Gütern servieren Winzer saisonal ihren eigenen Wein und die passenden Speisen. Wann und wo die «Besen» stattfinden, steht im Besenkalender (https://hn-besen.net)
Informationen: Tourist-Information Heilbronn, Kaiserstraße 17, 74072 Heilbronn (Tel.: 07131/ 562270; E-Mail: info@heilbronn-marketing.de; Website: www.heilbronn.de/tourismus)