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Ein Jahr nach dem Fischsterben – Bislang noch mal Glück gehabt?

Bis zu 1000 Tonnen Fische und viele Muscheln starben im vergangenen Sommer in der Oder. Der Schaden ist groß. Bislang blieb eine erneute Umweltkatastrophe aus, obwohl die Ursachen nicht gestoppt sind. Die Sorge um den Fluss scheint größer als die Erleichterung.

Dieses Bild bekommt Oder-Fischer Andre Schneider nicht mehr aus dem Kopf. Sein täglicher Blick auf den ruhig dahinfließenden Fluss und dann der heiße Augusttag im vergangenen Jahr, als ein riesiger Karpfen vorbeitrieb. «Es war der Moment, als der Fisch sich erst drehte, dann die Augen verdrehte, so als wollte er sagen: Nun hilf mir mal», erinnert sich der 39-Jährige. Was er damals nicht ahnte: Es sollte noch schlimmer kommen.

Unzählige tote Fische verwesten im Sommer 2022 in der Oder – Bleie, Plötzen, Karpfen, Zander. Auch Deutschlands einziger Auen-Nationalpark an der Oder war in Gefahr. Fachleute gehen davon aus, dass hoher Salzgehalt, Niedrigwasser, hohe Temperaturen und das Gift einer Algenart mit dem Namen Prymnesium parvum Ursachen für das Fischsterben waren. Ein Jahr später werden weiterhin stark überhöhte Salzfrachten im Fluss gemessen, bislang ist ein erneutes Massensterben jedoch ausgeblieben.

Noch mal Glück gehabt in diesem Jahr?

Viel Regen, der zum Anschwellen der Flüsse führt, und niedrigere Temperaturen können dazu führen, dass die Wahrscheinlichkeit einer starken Algenblüte geringer ist. «Es kann sein, dass vieles von den Problemen weggeschwemmt wird und wir in diesem Jahr Glück haben», meint der Fischökologe vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), Christian Wolter.

Auch wenn bislang ein erneutes Fischsterben ausblieb, ist bei Umweltschützern keine Entspannung zu spüren. Sie sehen weiterhin ein Risiko für den Spätsommer und die kommenden Jahre, sollten Hitze und niedrige Wasserstände der Blüte der toxischen Goldalge gute Bedingungen bieten.

«Das gesamte Ökosystem der Oder ist nach der Umweltkatastrophe im Sommer 2022 nach wie vor stark geschädigt», sagt Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). «Lokale Fischsterben in Polen in einem Stausee und zuletzt im Juni dieses Jahres im Gleiwitzer Kanalsystem zeigen, dass die Gefahr nicht gebannt ist, auch wenn die Situation in der Grenzoder in Deutschland derzeit keinen Hinweis auf ein mögliches Fischsterben gibt», heißt es aus dem Bundesumweltministerium.

Hauptproblem Salzgehalt nicht gelöst – Rätsel um tückische Goldalge

Nach wie vor erreichen die Werte für den Salzgehalt in der Oder gefährliche Höhen: Am 4. August etwa wurde als Indikator dafür eine elektrische Leitfähigkeit von 2340 Mikrosiemens pro Zentimeter an der Messstelle in Frankfurt (Oder) gemessen. Auch vor einem Jahr stieg der Messwert auf über 2000, laut Wolter sollte er dagegen um die 600 bis 700 liegen. «Es werden Symptome bekämpft, aber an den Ursachen passiert nichts», sagt der Wissenschaftler. Umweltorganisationen und auch Bundesumweltministerin Lemke gehen davon aus, dass der hohe Salzgehalt wahrscheinlich auf Abwässer aus der polnischen Bergbauindustrie zurückgeht.

Zu einem tödlichen Cocktail wurde die Oder dann für viele Fische, weil eine noch recht rätselhafte Algenart Gift produzierte. Forscher wollen nun klären, ab welchem Salz-Grenzwert es zu einer Massenentwicklung dieser Alge kommt. «Ich hoffe, dass wir nächstes Jahr schlauer sind», sagt IGB-Gewässerökologe Jan Köhler.

Im Nationalpark Unteres Odertal wird regelmäßig kontrolliert, wie sich die Goldalge in den Poldergewässern entwickelt. Bisher seien sehr geringe Konzentrationen nachgewiesen worden, berichtet Leiter Dirk Treichel. Grund für eine Entwarnung ist das für ihn nicht, dem Fluss fehle seit der Katastrophe eine wichtige Stütze. Laut Treichel verendeten im Sommer 2022 etwa 65 Prozent der Großmuscheln durch die Einwirkung der Alge. Sie filtrieren das Wasser, sorgen für Lichtdurchlässigkeit. Nun sieht der Fluss auffällig trüb aus durch Schwebstoffe und Algen. Stattdessen bedeckt den Gewässerboden teilweise eine 20 Zentimeter dicke Schicht aus Muschelresten.

Was tun Bund und Land zum Schutz der
Oder
?

Wie die Therapie für den verwundeten Fluss aussehen kann, darüber gibt es in Polen und Deutschland unterschiedliche Haltungen. Das Bundesumweltministerium steht seit vergangenem Jahr mit den für den Gewässerschutz zuständigen Bundesländern, insbesondere Brandenburg, und Polen in Kontakt – aber das Verhältnis bleibt angespannt. Es gab Workshops, Konferenzen und die stete Forderung Lemkes an ihre polnische Amtskollegin, die Salzeinleitungen deutlich zu reduzieren.

Der Warn- und Alarmplan für die Oder wurde überarbeitet, das Monitoring des Flusses verbessert. Auch Polen überwacht die Wasserwerte nach eigenen Angaben intensiver. Der Bund setzt vor allem auch auf die Forschung: Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei soll viele Fragen rund um die rätselhafte Goldalge klären. Zudem stehen im Herbst wieder Probebefischungen der Wissenschaftler in der Oder an. Der Bund für Umwelt und Naturschutz sieht die Gefahr, dass ein Ausbleiben einer erneuten Katastrophe «ambitionierte Maßnahmen zum Schutz der Gewässer bremsen» werde.

Wie geht es den Fischen im Fluss?

Seit der Oder-Katastrophe fehlen mehr als die Hälfte der Fische in dem Fluss. Nach Schätzungen des IGB verendeten im vergangenen Sommer bis zu 1000 Tonnen Fisch im Fluss. Der Lichtblick: Die Tiere können zurückkehren und die Fortpflanzungsbedingungen sind laut Experten gut.

Zwar ist weniger Fisch da, aber die Fischer holen große Zander, Welse und andere Fische aus dem Fluss. «Ich bin momentan sehr guter Dinge, denn es gibt auch viele Jungfische», sagt Fischer Schneider. Das bestätigt auch der Geschäftsführer des Landesfischereiverbandes, Lars Dettmann. «Die Biomasse wird innerhalb von zwei bis drei Jahren wieder da sein, wenn keine neue Katastrophe passiert.»

Wie groß ist der wirtschaftliche Schaden – wie geht es dem Tourismus?

Der Schaden bei den Fischern durch die Umweltkatastrophe ist hoch. Neun der elf Fischereibetriebe hatten beim Land Hilfen beantragt und wurden für die Fangverluste des vergangenen Jahres entschädigt. Auch für dieses Jahr soll Geld fließen. «Für das Jahr 2023 ist der Schaden viel größer, weil das Angelkartengeschäft schlecht lief. Das ist wichtig für die Betriebe», beschreibt Dettmann. Das Land stellt Gelder bereit, braucht aber ein Okay von der EU. Dettmann ist zuversichtlich, dass das spätestens zum Winter passieren werde.

Wirtschaftlich war die Umweltkatastrophe auch ein Desaster für Gastrobetriebe und Pensionen, die von Tagestouristen leben. In der Kulturlandschaft gibt es keine großen Hotels, eher kleinere Pensionen und Campingplätze. Durch das Fischsterben gingen laut Tourismusverband Seenland Oder-Spree die Umsätze gegen Null. Auch in dieser Saison ist die Gästezahl laut Geschäftsführerin Ellen Rußig überschaubar. Auf dem Oder-Neiße-Radweg seien weniger Radfahrer unterwegs, Pensionen und Restaurants würden um Umsatz kämpfen. «Negativmeldungen mit immer der gleichen Frage: “Wann konnt das nächste Fischsterben” wirken sich aus», meint Rußig.

Anhaltender Streit um Ausbau der
Oder

Zankapfel zwischen den Nachbarländern Deutschland und Polen bleibt der Oder-Ausbau. Auf polnischer Seite treibt der staatliche Wasserwirtschaftsbetrieb Wody Polskie den Ausbau voran und lässt sich auch durch mehrere Gerichtsurteile nicht stoppen. Am 21. Juli verpflichtete das Bezirksgericht in Gorzow die Staatsanwaltschaft, gegen die Bauaufsicht der Woiwodschaft Lebus zu ermitteln. Denn diese will ihrerseits einen gerichtlich verhängten Baustopp nicht durchsetzen.

«Es ist eine Art Sieg für die NGOs und Anwälte gegen die Politik der Regierung», sagte der Umweltschützer Radoslaw Gawlik von der Organisation Eko-Unia aus Breslau. Die Staatsanwaltschaft habe die Ermittlungen sogar eingeleitet, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Trotzdem macht er sich wenig Hoffnung, dass die Arbeiten eingestellt werden. «Diese Institutionen werden verschiedene Argumente und Tricks anwenden, um dies nicht zu tun.» Politisch ruhen Gawliks Hoffnungen auf einer Abwahl der nationalkonservativen PiS-Regierung im Herbst.

Der Führung in Warschau sind das Engagement der Umweltschützer für die Oder und die Berichterstattung darüber ein Dorn im Auge. Der Regierungsbevollmächtigte für Informationssicherheit, Stanislaw Zaryn, sah aus Deutschland gesteuerte Kampagnen am Werk. Sie würden dazu dienen, «Druck auszuüben, der den Interessen der Republik Polen zuwiderläuft», sagte er in Warschau. Es werde so getan, als ob Polen den Fluss vergiften wolle. Als einzige Rettung werde die Einrichtung eines Landschaftsparks angepriesen. «Tatsächlich würde dies ein Verbot von Modernisierungsprojekten bedeuten», sagte Zaryn. Umweltschützer fordern ein Moratorium für den Oder-Ausbau.

Fischer hofft auf ein Frühlingshochwasser

Fischer Andre Schneider hofft jedenfalls, dass das «Thema Oder» nicht im Politikalltag untergeht. «Der Fluss ist für uns Existenz, Lebensader, Hoffnung», sagt der an der Oder Aufgewachsene und schaut auf seine 11-jährige Tochter Luisa in ihren pinken Gummistiefeln. Sie begleitet den Vater auf seinen Bootsfahrten. «Man kann nicht jeden Tag bangen und sagen: Hoffentlich ist nichts – sonst macht man sich selber kaputt», sagt er und versucht den Blick nach vorn. Was er sich für die Zukunft wünscht? «Ein ordentliches Frühjahrshochwasser. Dann können die Fische in Wiesen und Auen laichen.»

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