Berlin (dpa) – Der Name Verdun ist untrennbar mit dem Ersten Weltkrieg verknüpft. Doch die hohe symbolische Bedeutung hat nach Ansicht des deutschen Historikers Herfried Münkler wenig mit der tatsächlichen Bedeutung für den Kriegsverlauf zu tun. Im Interview erklärt er, warum Verdun sich als Symbol für die deutsch-französische Aussöhnung anbietet.
Verdun ist wohl die bekannteste Schlacht des Ersten Weltkrieges; war sie tatsächlich so wichtig?
Münkler: «Ich glaube, dass in diesem Fall Bekanntheit und strategische Bedeutung sich umgekehrt proportional zueinander verhalten. Aber Verdun ist gleichsam zum Sortierer und Sammler von Erinnerungen geworden. Das hat damit zu tun, dass General Philippe Pétain in Frankreich das so organisiert hat, dass tendenziell die gesamte französische Armee irgendwann in Verdun war.
Und die Deutschen hatten auf Verdun große Hoffnungen gesetzt, aber als die Schlacht nach zehn Monaten zu Ende geht, haben beide Seiten tendenziell gleich hohe Verluste. Und der Krieg geht weiter. Es hat sich eigentlich mit Verdun gar nichts geändert. Die Symbolizität von Verdun und ihre strategische Bedeutung für den Verlauf des Ersten Weltkrieges stehen genau im umgekehrten Verhältnis.»
Warum hat Verdun diese große symbolische Bedeutung – ist es auch ein Kristallisationspunkt der Sinnlosigkeit dieses Krieges?
Münkler: «Normalerweise erinnern wir Schlachten als die Höhepunkte eines Krieges, in denen sich der Krieg entschieden hat. Und hier erinnern wir Verdun, wo gar nichts entschieden worden ist. Aber das steht natürlich auch paradigmatisch für diesen Krieg: Stellungskrieg und Materialschlachten. Nun gibt es auch andere, Somme oder Flandern. Aber Verdun ist auch von der Topografie her besser geeignet, an der Somme ist nicht viel zu sehen.
Und auf deutschen Seite ist vermutlich die meiste Literatur zum Ersten Weltkrieg Verdun-Literatur. Die Franzosen haben physisch das Schlachtfeld und präsentieren es, und die Deutschen haben literarisch das Schlachtfeld und präsentieren es.»
Die Verdun-Gedenkstätte setzt jetzt stärker auf einen deutsch-französischen Blickwinkel. Eine neue Entwicklung?
Münkler: «Es gab erstaunlicherweise in der Zwischenkriegszeit, den späten 1920er Jahren, durchaus Treffen deutscher und französischer Verdun-Kämpfer in diesem Raum. Tendenziell war die Kampferfahrung eines französischen Soldaten und die eines deutschen Soldaten identisch, sie hatten nur andere Uniformen und andere Helme auf. Das endet natürlich 1933.
Aber man kann sagen, dass schon das Händchenhalten Kohl-Mitterrand die Sakralisierung der deutsch-französischen Aussöhnung am Ort Verdun war. Insofern ist das schon eine relativ lange Strecke. Weil dort nur deutsche und französische Truppen gekämpft haben, bietet es sich an, diesen Ort zum Symbolpunkt der Transformation von Erzfeindschaft in Erzfreundschaft zu machen.»