Scharm el Scheich (dpa) – Verrammelte Burger-Stände, leere Konferenzräume und dazwischen übernächtigte Politiker, die bis zu letzten Minute ausharren wollen: Ausgerechnet als es um alles geht bei der Weltklimakonferenz im Ägypten, wird der bis dahin wuselige Tagungsort weitgehend zur Geisterstadt. Mit einem Minimum an Infrastruktur verhandeln die Vertreter von knapp 200 Staaten am Samstag über die Eindämmung der gefährlichen Erderwärmung und Hilfen für Länder, die von ihren Folgen am härtesten getroffen werden. Die Mission: runter vom «Highway zur Klima-Hölle», auf dem die Welt UN-Chef António Guterres zufolge derzeit fährt – mit dem Fuß auf dem Gaspedal.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und EU-Kommissionsvize Frans Timmermans klingen am Samstagmorgen nach einer durchverhandelten Nacht gleichermaßen kämpferisch und entgeistert. «Die Nachricht an unsere Partner ist klar: Wir können nicht akzeptieren, dass das 1,5-Grad-Ziel hier und heute stirbt», erklärt Timmermans. Baerbock betont: «Da macht die Europäische Union nicht mit.» Es ist der dramatische Endspurt einer Konferenz, die schon vorher reichlich Kopfschütteln ausgelöst hat.
Schleppende Konferenzleitung, horrende Preise
Zur ägyptischen Präsidentschaft der Konferenz gibt es ähnlich viel Kritik wie Sand in der ägyptischen Wüstenstadt Scharm el Scheich. Es sei das am schlechtesten organisierte UN-Treffen seit Jahren, befanden alte Klimagipfel-Hasen – und das nicht nur wegen zwischenzeitlicher Ebbe in den Wasserspendern, überteuerten Sandwiches für zweistellige Dollarbeträge und einem Abwasser-Leck. Tatsächlich hinkte Konferenzleiter Samih Schukri auch damit hinterher, Texte beschlussreif zu bündeln und rechtzeitig vorzulegen.
Dunkler Schatten
Ohnehin war das mit eiserner Hand regierte Ägypten, dessen Menschenrechtssituation Kritiker als haarsträubend bezeichnen, das erwartet schwierige Gastgeberland. Der Fall des inhaftierten Demokratieaktivisten Alaa Abdel Fattah, einer Führungsfigur der Revolution von 2011, warf einen dunken Schatten über das Treffen. Er drohte, im Hunger- und Durststreik in seiner Zelle zu sterben. Bundeskanzler Olaf Scholz, US-Präsident Joe Biden und andere baten Präsident Abdel Fattah al-Sisi vergeblich um seine Freilassung.
Auf dem UN-Gelände selbst filmten und fotografierten Dutzende mutmaßliche Sicherheitsleute, die sich teils als Technik-Helfer oder freiberufliche Journalisten ausgaben, Aktivisten und Demos. Ein regierungsnaher Abgeordneter störte eine Pressekonferenz mit Abdel Fattahs Schwester, ehe UN-Sicherheitsleute ihn schließlich aus dem Saal eskortierten. Auch die deutsche Delegation beschwerte sich, an ihrem Pavillon beobachtet und gefilmt zu werden.
Geopolitische Machtspielchen
Bremsen die USA beim Geld? Schafft es China sich in der Logik der Klimakonferenz weiter als Entwicklungsland einordnen zu lassen, was aus Sicht des Westens längst überholt ist? Wo fast alle Staaten der Welt um einen Tisch sitzen, sind geopolitische Machtspiele nicht weit. Eddy Perez vom Climate Action Network, das etliche Klimaschutzorganisationen vereint, wirft den großen Playern vor, ihre Kämpfe auf dem Rücken kleiner Staaten auszutragen. Bei allen verhärteten Fronten dann doch überraschend: Der Ukraine-Krieg blockierte anders als befürchtet weniger die Verhandlungen, die russische Seite blieb weitgehend still.
Ein heimlicher Star
Während mehr als 100 Staats- und Regierungschefs über den Klimaschutz verhandelten, wurde ein noch gar nicht vereidigter Spitzenpolitiker zum heimlichen Star: Bei Terminen des gewählten brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva drängelten sich Fans und Schaulustige, Indigene mit Federschmuck stimmten Lula-Gesänge an und machten Stimmung. Seine erste offizielle internationale Rede seit seiner Wahl im Oktober wurde zur Lula-Party. Er versprach, den Schutz des Amazonasgebiets in seiner Regierungsarbeit ganz oben auf die Agenda zu setzen. Unter Noch-Präsident Jair Bolsonaro waren Abholzung und Brände der für das Weltklima wichtigen Waldregion stark angestiegen. Randnotiz: Lula flog im Privatjet eines millionenschweren Unternehmers zur COP27.
Aktivisten aus Afrika zeigen Präsenz
Für viel Kritik sorgte europäische Investitionen in fossile Projekte in Afrika. «Afrika darf nicht die Tankstelle Europas werden», so die Botschaft der Aktivisten, die bei einem Protest zur Halbzeit der Konferenz zu den auffälligsten Demonstranten zählten. Protest richtete sich auch gegen die Ankündigung von Kanzler Scholz (SPD) bei einer Senegal-Reise, die Erschließung eines Gasfeldes vor der Küste des Landes zu unterstützen. «Man kann nicht Menschen in einem Land retten und dabei Probleme für Menschen in einem anderen Land verursachen», warnte der Gründer von Fridays for Future im Senegal, Yero Sarr. Die prominente ugandische Klimaaktivistin Vanessa Nakate warnte mit Blick auf fossile Projekte auf ihrem Kontinent: «Kinder können keine Kohle essen, Kinder können kein Öl trinken, Kinder können kein Gas atmen.»
Hunderte Öl- und Gaslobbyisten – und Coca-Cola als Sponsor
Tabakfirmen auf einem Gesundheitskongress? Oder Waffenhändler auf einem Friedenstreffen? Ähnlich undenkbar sollten Öl- und Gaslobbyisten auf Klimakonferenzen sein, meinten die Aktivisten von Urgewald und NGO-Partner. Mindestens 636 solcher Branchenvertreter waren nach einer Zählung der Aktivisten in Scharm el Scheich unterwegs, deutlich mehr als im Vorjahr in Glasgow. Ein Verhandler quittierte das mit verbalem Schulterzucken: Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Interessen sei nun mal politisches Geschäft. Weiterer Aufreger, nicht nur für Gesundheitsorganisationen: Coca-Cola war ein Hauptsponsor – was nichts daran änderte, das auch die Getränkekühlschränke des Konzerns am Ende gähnend leer waren.