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Rennes: Das pulsierende Herz der Bretagne

Alles, was die Bretagne zu bieten hat, auf einem Fleck – außer das Meer. Wenn Nantes der strenge Kopf der Bretagne war, dann ist Rennes, die Hauptstadt der Region nach dem Anschluss an Frankreich, das pulsierende bretonische Herz: eine im Kern urgemütliche Großstadt, die zum Flanieren durch bunte mittelalterliche Fachwerkgassen, zum Verweilen in zahllosen Freisitzen auf wie eigens dafür geschaffenen Plätzen, zum Entdecken von ungewöhnlichen Kirchen und parlamentarischen Palästen einlädt.

Die Kathedrale Notre Dame en Saint-Mélaine in Rennes.

Dabei meinte es das Schicksal nicht immer gut mit den Bürgern von Rennes: Die große Feuersbrunst von 1720 löschte große Teile des mittelalterlichen Gassengewirrs zwischen dem Fluss Vilaine und der Place des Lices aus – wo sich im Mittelalter die Turnierreiter beharkten und heute jeden Marktsamstag die Hobbyköche um die besten Bissen streiten. Zum Glück hatte der Feuerteufel ein Einsehen und ließ uns Nachgeborenen genügend Häuserzeilen übrig, um uns ein Bild von der einstigen Vielfalt dieser bretonischen Metropole machen zu können.

An der Place du Calvaire, wo sich 1671 der Orden der Calvaire im Hôtel de Cucé niederließ, lässt sich das Ausmaß der Verwüstung erahnen: Die Fachwerkhäuser auf der Nordseite fielen den Flammen zum Opfer. Die einstige Kapelle des Ordens beherbergte seit 1908 den ersten permanenten Kinosaal „l”Omnia Pathé“, der seinerseits 1931 von einem Feuer zerstört wurde. Das Kino wurde anschließend in einem neuen Gebäudekomplex integriert. Die Stadtväter nahmen dankenswerterweise solche Unglücke nicht wie in Nantes zum Anlass, um gleich tabula rasa auf dem Stadtplan zu machen. Behutsam setzten sie dort, wo nichts mehr zu retten war, das damals zeitgemäße klassizistische Raster mit schnurgeraden Straßen und akurat symmetrischen Fassaden um, ohne jedoch den Charakter der Stadt zu zerstören.

Laisser-faire à la Rennes
Überhaupt scheint das Radikale nicht so das Ding der Bürger Rennes zu sein. Zwar hatten sie sich im 10. Jahrhundert Meriten als Widerstandkämpfer gegen normannische Invasoren verdient. Aber sie arrangierten sich einige Jahrhunderte später auch ganz gut mit den französischen Herrschern. Zum Dank dafür belohnte sie der französische König mit der regionalen Hauptstadtwürde und einem prächtigen Parlament (1618-1655), an dem länger gebaut wurde, als der 30-jährige Krieg dauerte.

Das Parlament ist noch heute der höchste Gerichtshof der Region.

Für diesen Topjob holten die Bewohner von Rennes den Architekten des Pariser Palais du Luxembourg, Salomon de la Brosse. Die Hauptfassade mit den vorspringenden Seitenflügeln, dem mit Säulen gegliederten Mittelteil über dem Portal und der Sonnenuhr unter dem Giebelfeld gestaltete er nach allen Regeln der italienischen Barockkunst. Im Innenhof des Gebäudecarrés griff er auf französische Stilelemente zurück, die er mit regionalen Natursteinen und Klinker gliederte.

Experimentierfeld für den Versailler Architekten

Hôtel de Ville.

Prunkvolle Säle wie die Salle des Assises, in der an Eichentischen und Bänken zu Gerichte gesessen wurde, die Salle des Pas-Perdus mit einer aufwändigen Kassettendecke, die Salle Jobbé-Duval, mit den 1866 vom gleichnamigen Künstler gemalten Allegorien, die Salle des Piliers als respekteinflößendem Eingangsgewölbe und vor allem die Grand” Chambre: Charles Errards Experementierfeld für Versailles unterstreicht die Bedeutung dieses Symbols bretonischer Unabhängigkeit. 1994 zeigte sich erneut, dass es der Feuerteufel auf Rennes besonders abgesehen hatte – das Parlament brannte völlig aus, die Sanierung dauerte bis 1999. Besichtigung ist nur mit Führung möglich, Infos telefonisch beim Fremdenverkehrsamt unter +33 (0)2 99 67 11 66 oder auf www.parlament-bretagne.com

Hangelt man sich von hier aus südlich über die Place du Palais und die Rue St-Georges zur vom klassizistischen Stararchitekten Jaques Gabriel gestalteten Place de la Mairie, führen die Stadtbewohner ihren Besuchern vor Augen, was sie unter Lebensqualität à la Rennes verstehen: Zwischen dem Rathaus – dem Hôtel de Ville mit dem markanten Uhrturm und Skulpturen vom Versailler Bildhauer Jacques Verberckt – und Millardets klassizistischem Theatertempel (1836) machen es sich Alt und Jung auf Liegestühlen unter Palmen bequem. Keineswegs Erfindung eines vorwitzigen Kneipiers zur Steigerung des Cocktailumsatzes, sondern eine städtische Aktion – so lässt sich öffentlicher Raum demokratisch nutzen.

Pompöse Kathedrale, grandioses Fachwerk-Ensemble

Läuft man die Verlängerung der Rue St-Georges in westlicher Richtung weiter, stößt man direkt auf die Église St-Saveur. In der Basilika aus dem 17. Jahrhundert war Frankreichs musikalischer Großmeister, Gabriel Fauré als Organist beschäftigt. Durch die Gasse an der Südfassade kann man bereits die Kuppel der Kathedrale St-Pierre erspähen. Die 1560 fertiggestellte Fassade des im 15. Jahrhundert begonnenen Baus strahlt äußerlich eine nüchterne Größe aus. Innen verwandelte Empire-Pomp das Gotteshaus in einen pseudo-römischen Tempel mit vergoldeter Stuckdecke – nicht ganz ahistorisch, zumal sich an dieser Stelle einmal ein antikes Heiligtum befunden hat, wie die hier gefundene archäologische Schätze dokumentieren. Sehenswert sind weiter der hölzerne Altaraufsatz aus einer flämischen Werkstatt von 1520 sowie die Kapelle des Saint Amand, Bischof von Rennes (gestorben gegen 505) mit einem Reliquienschrein im romanischen Stil.

Rund um den Dom lohnen Blicke in alle Gassen: Sensationelle Fachwerkhäuser aus dem 15. Jahrhundert gibt es in der Rue de la Psalette zu entdecken. So wurde die Gesangsschule für die Kinder des Domchors genannt, die sich ursprünglich in den Häusern Nummer 8 und 10 befand. Das Haus Nr. 12 ist eines der ältesten erhaltenen Häuser der Stadt. In der Verlängerung der Straße, der rue Saint-Guillaume, wurden um 1500 zwei Häuser des Kapitels in gotischem Fachwerk errichtet. Herausragende Beispiele für repräsentative Neubauten nach dem Brand sind das Hôtel de Blossac aus dem 18. Jahrhundert und das Hôtel de Brie in der Rue du Chapitre.

Das stolze Symbol der verlorenen Unabhängigkeit

Place Rallier Du Baty.

Gegenüber der Westfassade der Kathedrale an der Rue de la Monnaie führt eine kleine Gasse zur Porte Mordelaises, das einstige Haupttor, durch das Frankreichs Könige in die stolze Bretonenhochburg einzogen. Das Châtelet mit zwei Türmen und Zugbrücke ist ein steinernes Symbol für die lange Ausdauer der Herzöge, die Freiheit der Bretagne zu verteidigen. Die mittelalterliche Wehranlage wurde auf Resten einer Mauer aus dem 3. Jahrhundert erbaut.

Gänzlich lässig präsentiert sich dagegen die Place Rallier du Baty mit ihren eklektisch zusammengewürfelten Gebäuden mit einigen schiefen Fachwerkhäusern, einigen größeren Residenzen und dem Rest der Stadtmauer des 15. Jahrhunderts – davor immer Jubel, Trubel, Heiterkeit unter den Schirmen der Freisitze von Restaurants und Bars bei bretonischem Wetter, sprich eben noch erleichtert sich die schwarze Regenwolke, dann sendet die Sonne schon ihre trocknenden Strahlen hinterher.

Natur- und Kunsterlebnis für Nimmermüde

Wer das Laufen noch immer nicht lassen kann, passiert im Altstadt Norden die belebte Place St-Michel, vollgepfropft mit Freisitzen beliebter Restaurants und Bars, die Place Ste-Anne mit der gleichnamigen Kirche und läuft hoch zur Place Hoche mit ihrer günstigen Parkgelegenheit. Die Rue Ste-Melaine führt auf die nach dieser Heiligen benannten Kirche zu, die an den Pforten des sehenswerten Jardin du Thabor residiert. Das gartenarchitektonische Meisterwerk der Gebrüder Denis und Eugène Bühler durchbricht die etwas stupide Symmetrie der französischen Barockgärten und geriert sich als naturnaher Landschaftsgarten mit Gewächshäusern, Pavillons und einem Vogelhaus.

Übernachten

Hotel Le Coq-Gadby

Anders als einige recht gesichtslose Hotels im Stadtzentrum erfreut dieses elegante Haus aus dem 17. Jahrhundert trotz Stadtrandlage mit stilvollem Mobiliar und eleganter Atmosphäre – hinzu kommen die ruhige Lage und ein Bad mit Sauna in der Nachbarschaft.

156, rue d’Antrain, 35700 Rennes, Telefon +33 (0)2 99 38 05 55, www.lecoq-gadby.com

Wir schließen den Kreis unseres Rundgangs mit einem Spurt Richtung Süden auf dem Cours de Lamotte in die Rue Gambetta und biegen auf halber Strecke rechts zur Église St-Germain ein, die mit einem romanischem Querhaus in bretonischem Stil aufwartet. Von ihrem Südportal blickt man hinunter zum Quai Châteaubriand. Auf der anderen Flussseite am Quai Émile-Zola, befindet sich das Musée des Beaux-Arts mit der Sammlung Christophe Paul de Robiens aus dem 18. Jahrhundert sowie einem Querschnitt durch die europäische Kunstgeschichte: Georges de la Tours „Nouveau-Né“, Rubens „Tigerjagd“, Picassos „Badende“ gehören zu den Attraktionen des Hauses. Hier herunten an den überbauten Quays der frei fließenden Vilaine gibt es weitere Parkgelegenheiten (zirka 6 Euro für drei Stunden) und ein letztes Fotomotiv auf der Place de la République: das palastöse Stadtmuseum.

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