Die schwarze Serie der Chilenen geht weiter. 1998 in Frankreich und 2010 in Südafrika schied der Außenseiter bereits im Achtelfinale gegen Brasilien aus. Bei der WM im eigenen Land erreichte Chile das Halbfinale und scheiterte wieder mit 2:4 am Rekordweltmeister.
Unglücksrabe Jara mit dem Eigentor
Brasiliens Trainer Luis Felipe Scolari hatte nur eine Veränderung: Fernandinho ersetzt im zentralen Mittelfeld Paulinho. Hulk macht von Beginn an seinem Namen alle Ehre, setzt sich links durch und fällt wie Spiderman im Strafraum – oh, nein, so beeindruckt man Haudegen Howard Webb überhaupt nicht, auch wenn 200 Millionen Brasilianern lautstark den Elfer fordern (12.). Dann versucht es Neymar mit purem Tempo nach einem schlampigen Querpass der Chilenen, alle Achtung, der Spurt kann sich sehen lassen, aber der Mann mit dem Jahresverdienst von 30 Millionen Euro vertändelt (16.).
Aber dann ist es doch so weit: Thiago Silva verlängert eine Ecke an den zweiten Pfosten, David Luiz bemüht sich, dem ein Bein entgegenzustrecken – und dann ist die Kugel plötzlich im Tor. Der frenetische Jubel des blonden Lockenkopfes suggeriert seinen Abschluss, doch der eigentliche Unglücksrabe war Chiles Verteidiger Jara, der den Fuß zur falschen Zeit am falschen Ort hatte. 1:0 für Brasilien durch Eigentor (18.).
Sanchez findet die Lücke
Wie verdaut der vermeintliche Außenseiter diese unglückliche Führung? Was heißt hier schon Außenseiter, schließlich war von den Chilenen bisher mehr Dynamik zu sehen als vom Gastgeber. Vidal versucht Neymar den Wind aus den Segeln zu nehmen – Schiedsrichter Webb mahnt zur Besonnenheit (25.). Und dann haben auch die Roten das Glück des Tüchtigen: Nach einem Einwurf in der brasilianischen Hälfte versucht Hulk schlampig zurückzuspielen, Vargas spritzt dazwischen, spielt auf Sanchez und der findet mit einem Diagonalschuss die winzige Lücke ins Glück zum 1:1 (32.)!
Ganz selten sucht Brasilien die spielerische Lösung: Oscar flankt, Neymar in der Luft, der Kopfball geht abgefälscht zur Ecke. Da sieht Chiles Torwart Bravo nicht gut aus: Er irrt durch den Strafraum, aber die Gelben finden keine Lücke (36.). Jetzt zeigt Webb doch mal Silva Gelb und signalisiert: Internationale Härte o.k., aber Mord verboten (46.).
Hulks unglückliches Händchen
Der Mann hat den Körper eines Preisboxers, der muss sich nicht fallen lassen – also läuft er wuchtig durch, holt sich den Ball herunter und schießt ins linke untere Eck, 2:1 … oder? Nein, Schiri Webb entscheidet auf Hand, Hulk deutelt fassungslos auf seine Schulter, es wird keine wissenschaftliche Auflösung mehr geben, wo beginnt der Arm, wo die Schulter, aber es bleibt dabei, kein Tor für die grüne Comic-Figur (55.).
Wolfsburgs Luiz Gustavo ist nicht gerade der fußballerische Feingeist – er holt sich seine zweite Gelbe Karte im Turnier ab und wäre somit im Viertelfinale gesperrt – der Stabilisator der brasilianischen Abwehr wird der Seleção fehlen (60.). So, jetzt mag Scolari dem Müßiggänger Fred trotz seines schicken Gigolobärtchens nicht mehr weiter zusehen – Pfiffe aus gut 50.000 spitzen Mündern, Freddy klatsch trotzdem – was die Fans dann ebenfalls tun, als Joker Jo das Feld betritt.
Schlussspurt der Seleção
Jetzt tritt auch Chile mal wieder auf den Plan. Vidals scharfe Flanke, Aranguiz zieht ab, klasse Parade von Brasiliens Keeper Julio Cesar (64.). Erste Szene von Jo: Der Joker schrammt knapp an Neymars Hereingabe vorbei (74.). Brasilien will die Verlängerung jetzt vermeiden: Neymar nach Alves” weitem Ball mit dem Kopf dran. Und auch Hulk hat sich noch nicht aufgegeben, wird aber gerade noch ausgebremst (81.). Und nochmal versucht’s das Kraftpaket im Strafraum mit einem strammen Schuss, den Claudio Bravo exzellent wegfaustet (84.)!
Jetzt also doch Verlängerung. Zwei Mal 15 Minuten, bisher zeigen beide Mannschaften keine allzu großen Schwächen, Krämpfe blieben aus, offensichtlich stimmt die Kondition. Allerdings haben die Kontrahenten auch Kraft gespart in der zweiten Hälfte (93.).
Verlängerung ohne Chance – bis zur 120!
Die Verlängerung ist schnell erzählt: Ballverschiebe ohne Risiko und ohne Torchance – bis zum Wahnsinnsglück für Brasilien: Chiles Pinilla ist nicht zu halten, zieht aus 18 Metern ab, was für ein Kracher an die Latte, da hätte Cäsar keine Chance gehabt (120.)! 120.+2.: Schluss! Es geht ins Elfmeterschießen!
Die Spieler sinken zu Boden, letzte Erfrischungen, letzte taktische Überlegungen, wer schießt, in welcher Reihenfolge, wer hat jetzt noch die Konzentration, die Kraft und die Nerven. Schiedsrichter Webb erklärt die Regeln, jetzt geht”s los!
Der Elfer-Krimi
Aller Anfang ist schwer und den macht Brasilien:
Brasilien, 1. Schütze: David Luiz mühelos, 2:1 für Brasilien!
Chile, 1. Schütze: Pinilla schwach mittig auf Julio Cesar, 2:1 für Brasilien!
Brasilien, 2. Schütze: Joker Jo schießt links neben das leere Tor, 2:1 für Brasilien!
Chile, 2. Schütze: Cesar hält auch Sanchez halbhohen Biesler, 2:1 für Brasilien!
Brasilien, 3. Schütze: Marcelo knapp über Bravos Hand, 3:1 für Brasilien
Chile, 3. Schütze: Aranguiz mit einem Strich ins Eck, 3:2 für Brasilien!
Brasilien, 4. Schütze: Hulk ohne Fortuna direkt auf Bravo, 3:2 für Brasilien!
Chile, 4. Schütze: Diaz stellt alles wieder auf null bzw. auf 3:3!
Brasilien, 5. Schütze: Neymar mit drei Hüftschwüngen und dann mittig, 4:3 für Brasilien!
Chile, 5. Schütze: Jara an den Innenpfosten, was für ein Pech, der Schütze des Eigentors besiegelt das Schicksal der tapferen Chilenen, es bleibt beim schmeichelhaften 4:3 für die Brasilianer!
Jetzt ist Zeit für große Emotionen. Neymar sinkt erleichtert zu Boden, Torwart Julio Cesar heult ergriffen in das Mikrofon eines Landsmanns. Na gut, fußballerisch war es keine Erleuchtung, aber meinetwegen, gönnen wir es dem leidgeprüften Ausrichter der WM – und hoffen auf ein Halbfinale gegen Deutschland.