158 Jahre und fünf Millionen Einwohner später ist die Themse-Metropole politisch trotz seiner special relationships zur ehemaligen Kolonie und verbliebenen Supermacht USA zwar zweitklassig, aber immer noch eines der wichtigsten Finanzzentren des globalen Kapitalismus. Neben den architektonischen Insignien des untergegangenen Empire wanken deshalb moderne Glastürme angeschlagener Finanzdienstleister, aber fallen nicht. Man kann an einem Wochenende den Anflug eines Endrucks von dieser Mega-City erhaschen oder nach 33 Tagen – einen Tag für jedes Viertel – immer noch betrübt feststellen: Vorhang zu und alle Fragen offen. Wer die folgende EOL-Liste des Stadtkulturerbes abgearbeitet hat, darf sich auf alle Fälle mit dem Orden des Schwarzen Humors und der wunden Füße dekorieren.
City of London
Als zentraler Treffpunkt seit dem Mittelalter gilt der Trafalgar Square (Achtung, Taubenfüttern verboten, sonst schlägt das Imperium zurück!) mit der 55 Meter hohen Nelson-Säule, zur Erinnerung an den Admiral, der die Franzosen bei der Schlacht von Trafalgar in die Schranken wies. Der größte Platz Londons wurde nach einem größeren Umbau 2003 wiedereröffnet. Ganz im Zeichen des Militärs präsentieren sich die die Straßen Whitehall und deren Verlängerung, die Parliament Street, die zum Parliament Square führt. Das britische Verteidigungsministerium (Ministry of Defence) und frühere Hauptquartiere der British Army (heute Horse Guards) und der Marine (Royal Navy oder Admiralty) reihen sich hier aneinander. Ort der jährlichen Gedenkfeiern am Remembrance Day ist der Kenotaph, das wichtigste Kriegsdenkmal des Landes, in der Mitte der Straße. Die weltweit wohl bekannteste Adresse, Downing Street Nr. 10, Amts- und Wohnsitz des britischen Premierministers, befindet sich in einer Seitenstraße der Whitehall, einen Katzensprung vom Parlamentsgebäude entfernt in Richtung Buckingham Palace. Eine wunderbare Melange aus Kunstgenuss, Haute Cuisine und Herberge im Herzen der Stadt gelingt dem One Aldwych, einem 5-Sterne-Hotel zwischen Covent Garden und Trafalgar Square (107 Zimmer, Bar, zwei Restaurants, rund 400 zeitgenössische Bilder, Skulpturen und Installationen, www.onealdwych.com).
Vom Piccadilly Circus (1819) im Herzen des West Ends mit Eros-Brunnen und riesiger Leuchtreklamewand am halbrunden Eckhaus im Nordosten bis zur Hyde Park Corner im Südwesten verläuft die Piccadilly Street mit dem altehrwürdigen Kaufhaus Fortnum & Mason (1707), dem neoklassizistischen Hotel Ritz (1906) und der Royal Academy of Arts im Burlington House (1868). Der Platz verbindet die beiden Einkaufsstraßen Piccadilly und Regent Street. Der Name täuscht. Das UNESCO-Weltkurerbe ist beileibe kein einzelner Turm, auch wenn einst William der Eroberer 1078 angeordnet hatte, hier den White Tower zum Schutz der Normannen vor den feindlich gesonnenen Londonern zu errichten. Um den mittelalterlichen Kern entstand entlang des nördlichen Ufers der Themse unter dem Label Tower of London ein Gebäudekomplex mit Festung, Waffenkammer, königlichem Palast und Gefängnis, Münze, Staatsarchiv, Waffenarsenal und Observatorium (Tickets ab 16 Euro, Infos auf www.hrp.org.uk). Eine fantastische Auswahl an zum Teil selbst gemischten Teesorten gibt’s ganz in der Nähe im „Postcard Teas“ (9 Dering Street, Tel. 0044/(0)20/76 29 36 54 www.postcardteas.com).
Die 244 Meter lange neogotische befahrbare Klappbrücke Tower Bridge mit den beiden 65 Meter hohen Brückentürmen verbindet die City of London samt St. Katharine Docks auf der Nordseite mit dem Stadtteil Southwark und der City Hall im Stadtbezirk London Borough of Southwark auf der Südseite. Das Hauptgotteshaus der Anglikanischen Kirche thront mitten in der City of London, etwa 300 Meter nördlich der Themse. Saint Paul’s Cathedral trägt auf der Mitte seines Gebäudekreuzes eine Kuppel mit einer 750 Tonnen schweren Laterne, deren Spitze eine Höhe von 111 Metern erreicht. Die prachtvollen Schnitzarbeiten und Glasmosaiken stammen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, der Hochaltar nach Plänen von Christopher Wren wurde 1958 vollendetet. Die Aussicht von der Golden Gallery über die Stadt ist aller Mühen wert.
Etablierte Gegenwartskunst zum Nulltarif (außer Sonderausstellungen) gibt’s wenige Schritte vom Borough Market entfernt in der Tate Modern (Bankside London; U-Bahn: Southwark, Tel. 0044/(0)20/78 87 80 00, www.tate.org.uk). Den ersten Hunger kann man beim Besuch der viktorianischen Markthalle zumindest mit den Augen stillen. Unter den historischen Eisenbahn-Viadukten gibt’s die passenden Weine dazu in der „Vinopolis“ (Borough Market, Southwark Street, U-Bahn: London Bridge). Wer’s nicht lassen kann und partout die neue Stärke des Euro testen möchte, sollte dies im schicken Notting Hill versuchen, wo seit dem gleichnamigen Film mit Hugh Grant Heerscharen mannstoller Weiber vor dem Travel Bookshop (13 Blenheim Crescent, www.thetravelbookshop.co.uk), der Vorlage für Grants Buchladen, Schlange stehen. Die Portobello Road gilt seit dem 19. Jahrhundert als eine der gefragtesten Shopping-Adressen Europas und beherbergt jeden Samstag den nach ihr benannten Flohmarkt (täglich mit Antiquitäten, Mode und Trödel).
Im ehemals verruchten, inzwischen gesuchten East End ist Europas größte Chinatown angesiedelt, genauer im östlichen Soho zwischen Lisle Street und Gerrard Street. Leckere Snacks gibt’s im „Golden Dragon“ (28-29 Gerrard Street, Tel. 77 34 27 63, U-Bahn: Leicester Square). Seit 1901 gilt The Whitechapel Gallery als führendes Avantgarde-Museum, das Picasso und Frida Kahlo als Erstes in Großbritannien zeigte (77-82 Whitechapel High Street, U-Bahn-Station Aldgate East, Dientag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr, Eintritt frei, www.whitechapelgallery.org). Schnappen Sie sich Londons wilden Osten, solange er noch nicht ganz von Yuppies gezähmt ist. In Shoreditch und Hackney verstecken sich schräge Boutiquen und hippe Galerien und auch die „geheimsten“ Clubs der Stadt: das bizarre „Loungelover“ (1 Whitby Street, U-Bahn: Old Street) und das edel-dekadente „Les Trois Garçons“ (1 Club Row, U-Bahn: Old Street). Wer’s etwas angestaubter mag, für den ist der 606, Londons legendärer Jazzclub im Stadtteil Chelsea mit täglicher Livemusik, Steaks und Salat genau das Richtige (90 Lots Road, www.606club.co.uk, Tel. 0044/(0)20/73 52 59 53).
Die City of Westminster
Den Ton im Britischen Parlament, dem neogotischen Palace of Westminster, das aus dem House of Commons und dem House of Lords sowie weiterer rund 1100 Räumen mit Sitzungszimmern, Bibliotheken, Lobbys, Speisesälen, Bars und Sporthallen besteht, gibt die 13 Tonnen schwere Glocke namens Big Ben in ihrem 98 Meter hohen Glockenturm an – Cheap Trick und ihre Rockversion des Westminsterschlags lassen grüßen. Der opulente Palast, UNESCO-Weltkulturerbe, thront seiner Bedeutung entsprechend im eigenen Stadtbezirk, dem City of Westminster am Parliament Square. Im ältesten Gebäudeteil, der Westminster Hall (1097) residierten bis 1529 die englischen Könige.
Nicht nur eifrige Leser der Yellow Press wissen, dass dich das Wohnzimmerder Queen und ihrer Entourage im Buckingham Palace befindet – ebenfalls im Stadtbezirk City of Westminster. Die opulente Innenausstattung mit georgianischer Marmormalerei („Scagliola“) und im Stil der Belle Époque behält Königin Elizabeth II. zum Glück nicht nur ausländischen Staatsoberhäuptern vor. St. James’s Palace (1532 bis 1540), bis 1837 offizielle Londoner Residenz der britischen Monarchen, ist heute offizieller Verwaltungssitz des königlichen Hofes, an dem die Botschafter Großbritanniens akkreditiert werden, und Wohnort des Prince of Wales. Clarence House, ehemalige Residenz der beliebten Queen Mum, liegt nur durch den St. James’ Park vom Buckingham Palace getrennt, innerhalb der Palastmauern. Touristenattraktion war, ist und wird wohl immer bleiben: die von April bis Juli tägliche, ansonsten zweitägliche pompöse Wachablösung.
Die Westminster Kirchen
Westminster Abbey ist die königlichste aller anglikanischen Kirchen. In diesem UNESCO-Weltkulturerbe werden die Queens und Kings gekrönt, im nördlichen Querschiff sind Staatsmänner bestattet: unter anderem Pitt der Ältere, Palmerstone, Disraeli, Gladstone sowie in eigenen Kappellen die Könige Heinrich III., Eduard I., Eduard III., Richard II., Heinrich V. und der 1066 von uns gegangene Eduard der Bekenner. Die anglikanische St. Margaret’s Church mit prächtigen flämischen Glasmalereien am Parliament Square ist die Pfarreikirche des britischen Parlaments – hier wurde Winston Churchill getraut und der böhmische Kupferstecher Václav Hollá? beerdigt. Die Westminster Cathedral (1895-1903) im neubyzanthinischen Stil mit freistehendem Glockenturm ist die katholische Hauptkirche von Wales und England. Mehr als 100 verschiedene Marmorsorten wurden in der Holy Souls Chapel verarbeitet.
Ein Stilmix, das dem jeweiligen Zeitgeschmack der Könige widerspiegelt, charakterisiert den Hampton Court Palace im Stadtbezirk Richmond upon Thames neben dem Bushy Park. Die heutige Fassade des Schlosses, das bis zur Regierungszeit Georg III. dem englischen Königshaus vorbehalten blieb, prägen vor allem Architekturelemente im Tudorstil und englischen Barock. Schon Königin Viktoria öffnete 1838 den Palast für die Öffentlichkeit. Feucht und kalt war der Winter in der Whitehall, weshalb Mary II. und Wilhelm III. ein Landgut im heutigen Stadtbezirk Kensington and Chelsea 1689 von Sir Christopher Wren zum Kensington Palace ausbauen ließen. Teile des Palastes mit seinen aufwendigen Deckenverzierungen von William Kent und der herausragenden Möbel- und Gemäldesammlung von George I. und II. wird von Mitgliedern der Königsfamilie bewohnt.
New London Towers
Sir Norman Fosters Millenium Bridge ist Ausgangspunkt einer futuristischen Sightseeing-Tour an der Themse – gerne auch bei Nacht, gestärkt mit einem Ale im „Woodin”s Shade“ (Bishopsgate 212, U-Bahn: Holborn), wenn die markante Riesengurke, The Gherkin, des Swiss Re Center und Richards Rogers Lloyd`s-Building an der Lime Street 1 mit den Illuminati um die Wette strahlen. Östlich des Zentrums keilen die Docklands den Fluss zwischen sich ein – zu ihnen gehört auch Canary Wharf mit dem höchsten bewohnbaren Gebäude des Landes, dem One Canada Square: César Pellis Wolkenkratzer ließ die kanadische Firma Olympia and York 236 Meter hochziehen, flankiert von den jeweils 200 Meter hohen HSBC Tower und Citigroup Centre. Einen genießerischen Überblick bei einem Latte Macchiato verschafft man sich im trendigen „Canary Wharf Hotel“ (46 Westferry Circus, Tel. 0044/20/ 75 10 19 99). Und London will immer noch höher hinaus: 2010 ist die 306 Meter hohe Shard London Bridge schlüsselfertig, ihr folgen der 288 Meter hohe Bishopsgate Tower und etwa dreißig weitere Wolkenkratzer mit gut 150 Metern Gardemaß.
Die Themse-Tour
Ob City of London, Inner-London, Greater-London oder gar Metropolitan Area, seit der römischen Gründung ist Londinium ganz schön über sich hinausgewachsen. Erst vor allem nach Norden, weil es lange nur eine Brücke über den Gezeiten geplagten Nordseeausläufer Themse gab, später ging das Zentrum der industrialisierten Welt ringsum in die Breite. Einen Überblick über dieses amorphe Gebilde verschafft man sich am besten bei einer Fahrt in einer der Glaskapseln des London Eye (Tickets ab 21 Euro, www.londoneye.com) an der South Bank des Themse-Ufers – unbedingt vorher im Internet reservieren, damit die Erklimmung des mit Drehachse und Stützen von Škoda Pilsen konstruierten höchsten Riesenrads der Welt (135 Meter) anstelle der normalen Fahrtzeit von 30 Minuten nicht zur Tagesaufgabe wird. Im 8. Stock des Oxo-Tower vertröstet uns eine trendige Feinschmecker-Brasserie mit Terrasse und Blick über Central London in einer ehemaligen Fleischfabrik im Art-déco-Stil (Wharf Barge House Street, South Bank; Tel. 78 03 38 88; U-Bahn: Southwark). The Hayward Gallery am Southbank Centre (Belvedere Road, U-Bahn-Stationen Waterloo oder Embankment, täglich von 10 bis 18 Uhr, freitags bis 22 Uhr, Sonderausstellungen 9 Pfund, www.haywardgallery.org.uk) hat sich auf zeitgenössische Kunst spezialisiert.
Jeder Pink-Floyd-Fan kennt es. Und auch der eingefleischte Who-Anhänger hat es im Plattenschrank stehen: Die Battersea Power Station, ein ehemaliges Kohlekraftwerk (1933 bis 1983) im Stadtteil Wandsworth zierte als umstrittenes Industrie-Wahrzeichen Londons die Cover zahlreicher britischer Rockbands. Was haben Hamburg und London gemeinsam? Die Beatles scheiden aus: Richtig, sie kommen bekanntlich aus Liverpool. Dafür teilen sich beide Hafenstädte einen äußerst gefährlichen Gast: die Sturmflut. Zum Schutz gegen diese Plage errichteten die Stadtväter von 1974 bis 1984 die Thames Barrier im Stadtteil Woolwich, das größte bewegliche Flutschutzwehr der Welt.
Etwa 230 000 Hindus leben in London. Keine Überraschung also, dass der Neasden Temple (1995) im Stadtbezirk Brent zweitgrößter Hindu-Tempel außerhalb Indiens ist. Eine hinduistische Sekte der Swaminarayan-Mission aus Ahmedabad hat sich den Bau, für dessen Kuppeln und Türmchen Carrara-Marmor verwendet wurde, einiges kosten lassen. Die ständige Ausstellung „Understanding Hinduism“ bietet einen ersten Einblick in die komplexe Götterwelt Indiens. Weniger Religionskenntnisse aber ein Faible für scharfes Essen braucht man in der Brick Lane, dem Center Court der indischen Küche in London, mit populären Restaurants wie dem Aladdin, dem Café Naz, dem Muhib, dem Nazrul und dem Shampan (Hauptgerichte ab zwölf Pfund).
Londons Rückzugsreviere
Der Hyde Park mit der Marble Arch und der Speakers’ Corner lädt auch zu Londons delikatesten „five o’clock tea“ ins Four Seasons (Hamilton Place, Tel. 74 99 08 88; U-Bahn: Hyde Park Corner). Beim Friday Night Skate (20 bis 22 Uhr) rollen Tausende von Skatern durch die City (Treffpunkt am Hyde Park Corner, Infos auf www.thefns.com). Der Regent’s Park im Norden des West End beherbergt den zoologischen Garten (London Zoo). Mitten im Stadtzentrum befinden sich der Green Park und der St. James’ Park. Der 73 Hektar große Greenwich Park ist einer von über 200 Parkanlagen Londons im südöstlichen Stadtbezirk Greenwich und samt dazugehöriger Gebäude, wie dem National Maritime Museum, dem Queen’s House, ein ehemaliger königlicher Palast, und dem Royal Greenwich Observatory, UNESCO Weltkulturerbe.
Die Royal Botanic Gardens (Kew Gardens) zwischen Richmond upon Thames und Kew im Südwesten zählen zu den ältesten botanischen Gärten der Welt und wurden zusammen mit den famosen viktorianischen Gewächshäusern ins UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen. Das ehemalige Hirschjagdgebiet von König Edward I. in den Stadtbezirken Richmond upon Thames und Kingston upon Thames im Südwesten ist heute als Richmond Park mit einer Fläche von zehn Quadratkilometern, auf der sich unter anderem eine Herde mit 650 Wapitis tummelt, der größte ummauerte Park Europas in einem städtischen Gebiet. Der Thames Barrier Park entstand auf alten Dockanlagen bei den Stauwerken.