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Wildlinge in Brandenburg: Die Liebenthaler Pferdeherde

Am Rande der Schorfheide lebt nahezu versteckt eine ganz besondere Herde wilder Pferde. Eine Stiftung und eine Gemeinde kümmern sich darum, dass die besondere Zucht erhalten bleibt – mit möglichst wenig Menschenkontakt. Wie gelingt das?

Alle sind grau bis beige schattiert, dazu dunkle Mähnen mit hellen Strähnchen und dunkle Muster an den Beinen: Das sind die Liebenthaler Wildlinge. Wer die wilde Pferdeherde beobachten möchte, der braucht Tipps von Eingeweihten. Über einsame Waldwege, holperige Feldpfade sowie sporadisch aufgestellte Hinweisschilder geht es von Liebenthal (Oberhavel) aus auf die weitläufigen Weiden am Rande der Schorfheide.

Wer sich für die besondere Pferdezucht interessiert, kann auch eine Führung der Stiftung Liebenthaler Pferdeherde mitmachen. Doch diese eher seltenen Angebote sind meist Monate im Voraus ausgebucht. «Wir möchten ja, dass die Tiere wild in ihrem natürlichen Sozialgefüge leben können, ohne dauerhaften, direkten Kontakt zu Menschen», erklärt Ilona Plass von der Stiftung.

Sie und ihre beiden Mitarbeiter würden nur eingreifen, wenn Zäune um die 150 Hektar Stiftungsgelände zu reparieren oder zu versetzen sind, wenn Heu zum Füttern im Winter und neue Minerallecksteine benötigt werden, Fohlen gechipt werden müssen oder Tiere verletzt sind.

Die 100 Pferde umfassende Herde umgibt etwas Geheimnisvolles – nicht nur aufgrund ihres eher versteckten Daseins. Deren Geschichte fasziniert. Die Rasse stammt aus einer vor mehr als 60 Jahren begonnenen Zucht nach dem Vorbild des im 19. Jahrhundert ausgestorbenen europäischen Wildpferds. Der Züchter aus dem Bayrischen Wald war 1990 mit seiner Familie und rund 100 Pferden nach Brandenburg gezogen, um sie – so sein Traum – in der Schorfheide wieder auszuwildern. Als der Mann 1986 plötzlich starb, drohte den Tieren der Schlachter.

«Um sie zu retten, wurde in Liebenthal ein Trägerverein gegründet, Land gepachtet. Mit Unterstützung des Landes Brandenburg und des Landkreises Oberhavel bekamen die Pferde bei uns eine neue Heimat», erinnert sich Jörn Lehmann, parteiloser Bürgermeister der Gemeinde Liebenwalde, zu der Liebenthal seit 2003 gehört. «Wir sehen uns in der Verpflichtung, dieses Projekt am Leben zu erhalten, über das bereits mehrere Biologen Doktorarbeiten schrieben», sagt der Kommunalpolitiker, der auch Kuratoriumsvorsitzender der 2018 gegründeten kommunale Stiftung Liebenthaler Pferdeherde ist. Welche Gemeinde habe schon eine eigene Pferdeherde, sagt er hörbar stolz.

Die Herde soll laut Satzung konstant nicht mehr als 100 Tiere umfassen. Natürliche Nachzuchten – nicht mehr als 30 im Jahr – werden verkauft, sie werden laut Lehmann beispielsweise in der Landschaftspflege oder auch als Reit- und Zugtiere eingesetzt. Auch wenn die Liebenthaler Wildlinge den Kontakt zu Menschen kaum kennen, sind sie keineswegs scheu – eher gelassen und unbekümmert.

«Ich vergleiche sie mit einem unbeschriebenen Blatt Papier. Sie haben keine schlechten Erfahrungen mit Menschen gemacht, verbinden Zweibeiner also nicht mit Gefahr, sondern sind aufgeschlossen und freundlich», beschreibt Landwirtin Plass und ergänzt: «Da ihnen jeglicher Argwohn fehlt, sind die Tiere leicht zu zähmen.»

Um näheren Kontakt zu den wilden Pferden von Liebenthal zu bekommen, brauchen Neugierige gar nicht weit zu fahren – in den Nachbarlandkreis Barnim zum Schiffshebewerk Niederfinow. Dort sind seit diesem Jahr zwölf junge Walache neuer Touristenmagnet.

«Ganz tolle Tiere, stressresistent und schon lange nicht mehr wild», schwärmt Jan Mönikes, Geschäftsführer der SHW Tourismus- Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft Niederfinow.Die Menschen stehen Schlange. Die ein bis zwei Jahre alten Pferde seien unbeeindruckt von Wind und Wetter, sehr genügsam, robust und kontaktfreudig.

Mönikes arbeitet mit erfahrenen Pferdetrainern zusammen, denn seine zwölf wilden Neuzugänge sollen nicht nur als «Rasenmäher» in einem neun Hektar großen Park zwischen den beiden Schiffshebewerken fungieren, sondern auch als Reit- und Kutschpferde eingesetzt werden: Gäste können sich beispielsweise vom Bahnhof Niederfinow zu den beiden Schiffsfahrstühlen kutschieren lassen, Kinder Reitunterricht bekommen. Für Mönikes ist die tierische Neu-Anschaffung nur logisch, denn Pferde gehörten als Zugtiere der früheren Treidelkähne am Finowkanal zur Geschichte der Region.

Stiftungsmitarbeiterin Plass ist stolz auf die Liebenthaler Wildlinge, die als Marke inzwischen patentrechtlich geschützt sind. Sie selbst züchtet auf ihrem Hof die Pferderasse «Isländer». Hätte sie die nicht, würde sie sich nach eigenen Angaben Nachzuchten der Wildlinge nach Hause holen. «Sie haben einfach Charakter, lernen schnell, kommen auch mit den aktuellen klimatischen Veränderungen gut klar.» Über den Verkauf von Jungtieren allein sowie Zuwendungen der Gemeinde könne die Stiftung das Projekt nicht finanzieren. «Wir sind ein Biobetrieb, haben die meisten Einnahmen durch die Flächenprämien der EU-Agrarförderung.» 

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