Frankfurt/Main/Berlin (dpa) – Seit Beginn des Jahres scheint ein regelrechter Überbietungswettbewerb in Sachen Renteneintrittsalter losgebrochen zu sein. Die Bundesbank brachte am Montag die Rente mit 69 ins Spiel. Die Spitze hält zur Zeit das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW), das kürzlich über eine Rente mit 73 nachdachte. Solche Vorschläge sowie die koalitionsinterne Debatte um die künftige Rentenpolitik setzen Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) unter Druck.
Was steckt hinter dieser Debatte?
Hinter dem Wettbewerb um das höchste Renteneintrittsalter steckt ein ernsthaftes Problem, das zwar schon lange erkannt ist, aber immer wieder beiseitegeschoben wird: Die Deutschen werden älter und bekommen länger Rentenzahlungen. Zugleich nimmt die Zahl der Menschen ab, die für die Rente aufkommen können, die arbeitenden Beitragszahler. Der Generationenvertrag steht in Frage.
Wie hat sich die Lebenserwartung entwickelt?
65-jährige Männer werden heute im Schnitt älter als 82, Frauen fast 86. Das tatsächliche Alter des Renteneintritts ist seit 2000 zwar um rund 2 auf gut 64 Jahre gestiegen. Die Dauer des Rentenbezugs (bis zum Tod) stieg aber noch stärker und liegt laut Rentenversicherung Bund bei Frauen bei 22,8 Jahren und bei Männern bei 18,78 Jahren.
Was bedeutet das für Rentner und Beitragszahler?
Bis 2030 ist eigentlich alles geregelt. Der Gesetzgeber sagt: Der Beitragssatz darf bis 2020 nicht höher als 20 Prozent des Bruttoeinkommens steigen und bis 2030 nicht höher als 22 Prozent. Zugleich darf das Rentenniveau bis 2020 nicht unter 46 Prozent sinken und bis 2030 nicht unter 43 Prozent. Zurzeit liegt das Rentenniveau – das Verhältnis der Rente nach 45 Jahren Arbeit zum Durchschnittseinkommen – bei 47,7 Prozent. Die Rentenversicherung Bund sagt, die politischen Vorgaben könnten eingehalten werden – gerade so. Zudem sollen private und betriebliche Vorsorge ausgebaut werden. Und parallel dazu kommt bis 2029 in Monatsschritten die Rente mit 67.
Und was kommt danach?
Hier setzen die Prognosen ein. Das Ergebnis ist im Kern gleich: länger arbeiten. Darüber, ob Dachdecker oder Steinmetze überhaupt länger arbeiten können, verlieren die Prognosen in der Regel kaum ein Wort. Am Montag meldete sich die Bundesbank mit einem Vorschlag. Sie empfiehlt eine Anhebung des Renteneintrittsalters bis 2060 auf 69 Jahre. Damit ließe sich langfristig ein zu starkes Absinken des Rentenniveaus verhindern. Allerdings sei auch in diesem Fall mit einem Anstieg des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung von heute 18,7 auf knapp 24 Prozent des Bruttolohns zu rechnen.
Was sagt die Bundesregierung?
Sie ließ die Bundesbank abblitzen und ebenso die Verfasser der Prognosen zuvor. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte: «Diskussionen gibt es immer und manchmal nimmt auch die Bundesbank an solchen Diskussionen teil.» Aber es bleibe dabei: «Die Bundesregierung steht zur Rente mit 67.» Dies sei vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung sinnvoll.
Wie geht es weiter?
Das ist zunächst mal eine kleine Entlastung für Nahles. Doch an ihr Rentenkonzept werden von allen Seiten hohe Erwartungen geknüpft. So kündigte SPD-Chef Sigmar Gabriel schon im Frühjahr an, das Rentenniveau stabilisieren zu wollen. Nahles selbst will bis 2020 die Ostrente in mehreren milliardenschweren Schritten auf Westniveau bringen. Und die CSU will die Mütterrente, eines der teuersten Rentenprojekte in dieser Legislaturperiode, weiter ausbauen.
Was machen Gewerkschaften und Arbeitgeber?
Die Arbeitgeber sehen einiges Ungemach auf sich zukommen und warnen vor weiteren teueren Rentengeschenken. Dagegen wollen die Gewerkschaften im Herbst mit Kampagnen für ein höheres Rentenniveau den Druck auf die Politik erhöhen. Sie wollen das Thema Rente bis zur Bundestagswahl im kommenden Jahr vorantreiben. Und alle wissen: Die gut 20 Millionen Rentner sind auch Wähler.