Berlin (dpa) – Der letzte Kommandeur der Bundeswehr in Afghanistan, Brigadegeneral Ansgar Meyer, hat dem früheren Außenminister Heiko Maas (SPD) vier Monate vor der chaotischen Evakuierung aus Afghanistan wenig Hoffnung auf eine stabile Lage in dem Land nach dem Abzug der ausländischen Truppen gemacht. In einem Lagevortrag für Maas bei dessen Besuch im Camp Marmal im April 2021 habe er auf die «sehr kritische Sicherheitslage» und die geringe Durchhaltefähigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte hingewiesen, bestätigte Meyer am Donnerstag bei seiner Vernehmung als Zeuge in einem Untersuchungsausschuss des Bundestages. «Die Taliban hatten einen enormen Druck aufgebaut auf die Sicherheitskräfte», fügte er hinzu.
Seine Einschätzung sei damals gespeist gewesen aus den Erfahrungen der zurückliegenden Monate. Die afghanischen Sicherheitskräfte hätten Probleme damit gehabt, «Schwerpunkte zu bilden» und logistisch nachhaltig zu agieren, sagte Meyer, der heute Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK) ist. So sei beispielsweise die afghanische Luftwaffe «auf jeden Einsatz gesprungen» und habe entsprechend binnen kurzer Zeit viel Munition eingesetzt.
Jörg Nürnberger, SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss, kritisierte indes die Informationspolitik des Verteidigungsministeriums. Die sinkende Kampfkraft sei dem Ministerium bekannt gewesen, trotzdem sei davon ausgegangen worden, dass die Durchhaltefähigkeit mittelfristig ausreichen würde, sagte er am Rande der Sitzung. Er bezweifle, dass dies dem Parlament in der nötigen Klarheit kommuniziert worden sei.
Der Untersuchungsausschuss soll die Entscheidungen rund um den Abzug der Bundeswehr und die Evakuierungsmission im August 2021 aufklären. Er betrachtet dafür einen Zeitraum, der am 29. Februar 2020 beginnt. An diesem Tag wurde das Doha-Abkommen unterzeichnet. Die Islamisten verpflichteten sich darin – im Gegenzug für den Abzug der US-Truppen – unter anderem zu Friedensgesprächen und der Beteiligung an einer inklusiven Regierung, wozu es aber nicht kam. Schlusspunkt der Untersuchung soll der 30. September 2021 sein.
Die Bundeswehr hatte Afghanistan im Juni 2021 schneller als ursprünglich geplant verlassen. Sie folgte zeitlichen Vorgaben der USA. Im August 2021, als die Taliban – praktisch ohne Gegenwehr – Kabul einnahmen, beteiligte sich Deutschland an einem internationalen militärischen Evakuierungseinsatz. Dabei wurden Tausende Menschen ausgeflogen – darunter auch Ortskräfte der Bundeswehr und deren Angehörige. Viele blieben aber auch zurück. Bei künftigen Missionen sollte bereits von Anfang an geplant werden, wie man mit Ortskräften umgehe, wie die praktische Umsetzung einer Evakuierung erfolgen könne und wen das umfasse, sagte Meyer.
Die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe ihm persönlich aufgetragen, dass sie keine Bilder wie in Saigon sehen wolle, sagte Meyer. «Und das haben wir, was den militärischen Teil angeht, auch geschafft.» Wenige Wochen später habe er «Saigon» dann im Fernsehen gesehen, sagte er mit Blick auf die internationale Evakuierungsaktion in Kabul. «Das hat mich tief getroffen.» Die chaotische Evakuierung von US-Truppen und ihrer Verbündeten im Frühjahr 1975 aus der südvietnamesischen Hauptstadt Saigon markierte das Ende des Vietnamkriegs.