Deutschland

Führerschein für Hundehalter

Schulpflicht für Hunde und Halter: Das ist in der Schweiz Pflicht - und umstritten. Auch in Deutschland wird über den Hundeführerschein diskutiert. Kann die Schweiz dabei ein Vorbild sein?

Basel (dpa) – Nina war krank und schien dem Tod geweiht. Heute ist die Hündin gesund und fröhlich. Viereinhalb Jahre, weißes Fell, eine Art Windspiel, wenngleich die Rasse nicht ganz eindeutig erscheint. Nina lebte als Straßenhündin in Rumänien. Bis der Schweizer Erwin Marti, ein Lehrer im Ruhestand, sie in seine Heimat holte. Dort müssen nun beide die Schulbank drücken. Denn in der Schweiz darf einen Hund nur halten, wer zusammen mit ihm Ausbildungskurse besucht hat und einen entsprechenden Sachkundigen-Nachweis (SKN) für seinen Vierbeiner vorweisen kann. Sonst drohen Strafen von Geldbußen bis zum Entzug des Hundes.

Über Sinn und Unsinn dieser Hundeführerschein-Pflicht gehen die Meinungen weiter auseinander als das größte Alpental. «So streng wie bei uns ist das ja auch nirgendwo sonst auf der Welt geregelt», sagt Martin Schmidt. Der 58-jährige Anästhesiepfleger ist im Nebenberuf Hundetrainer. Seit der SKN 2008 per Tierschutzverordnung (TSchV), Artikel 68, zur Pflicht wurde, boomt Schmidts Hundeschule im malerisch am Rand des Juragebirges gelegenen Allschwil unweit von Basel – genau wie Hunderte andere solcher Bello-Schulen überall in der Schweiz.

Die TschV schreibt vor dem Erwerb eines Hundes einen vierstündigen Theoriekurs über den sicheren Umgang mit den Tieren vor. Missachtung kann teuer werden. Auch sonst sind Schweizer Hunderegeln streng: In Basel etwa musste ein Halter 500 Franken (463 Euro) Strafe zahlen, weil er seinen Pudel nach 22.00 Uhr Gassi gehen ließ, ohne dass das Tier angeleint war.

«In unseren Kursen lernt man, dass Basler Hunde zwischen 22.00 und 06.00 nur an der Leine auf die Straße dürfen», sagt Schmidt. «Die Regeln sind aber von Kanton zu Kanton verschieden.» Einen Vorteil der Theoriekurse sieht Schmidt auch darin, «dass sich die Leute klar werden können, was für ein Hund am besten zu ihnen passt und ob sie den Anforderungen gewachsen sind, ehe sie sich entscheiden».

Wer seinen Bello endlich zu Hause hat, muss innerhalb eines Jahres das ebenfalls obligatorische mehrstufige Praxistraining absolvieren. Und zwar jedes Mal, wenn er sich einen neuen Hund zulegt. Da geht es zum Beispiel um das Verhalten im Restaurant, wenn der Dackel oder die Dogge unterm Tisch liegt und der Kellner eine unbedachte Beinbewegung macht. «Der Hund darf niemanden gefährden oder verängstigen», sagt Schmidt. «Und jeder Hund ist anders.»

Bis zum amtlichen Nachweis aller «Hundeknigge»-Fähigkeiten und -Kenntnisse fallen bei Schmidts Hundeschule 120 Franken für die theoretische und 150 für die praktische Schulung an. Umgerechnet sind das zusammen 250 Euro. Hundeschulen in vornehmen Gegenden verlangen auch schon mal das Doppelte.

Bei rund 50 000 jährlichen Hunde-Neuanmeldungen kommen Umsätze von bis zu 20 Millionen Franken zusammen (18,5 Millionen Euro). «Reich wird dabei kaum ein Hundetrainer», sagt Schmidt. «Nach Abzug der Unkosten – unter anderem für Trainingsplätze und die Ausrüstung – bleibt nur ein Zubrot übrig. Für uns ist das viel mehr Hobby als Gelderwerb.»

Zehn Halter haben sich an diesem Tag auf Schmidts Trainingsplatz versammelt. Frauen und Männer, Junge und Alte. Zehn Halter mit zehn verschiedenen Rassen – oder auch Promenadenmischungen. Ein helläugiger Husky, ein wuseliger Yorkshire Terrier, ein fast weißer Miniature Bull Terrier, auch ein kehlig grunzender Bullmastiff, ebenso Herrn Martis aus Rumänien gerettete Windspiel-Mixtur.

Alle haben sie schon gelernt, Kommandos zu befolgen. Und selbst nach mehr als einer Stunde Belehrung und Training bellt keiner der Hunde oder zeigt anderweitig Anzeichen von Unruhe. Dabei liegt nebenan ein Schießplatz, auf dem dauernd geballert wird. Sind Schweizer Hunde Schüsse gewöhnt? «Na klar», sagt ein grauhaariger Kursteilnehmer schmunzelnd, «Schießplätze gibt‘s doch bei uns wie Palmen in Afrika.»

«Leinenaggressionen sind die häufigsten Aggressionen überhaupt», doziert Schmidt. Und: «Hütet euch vor Würgehalsbändern wie sie in Deutschland verwendet werden. Die quälen den Hund und machen ihn wütend, deshalb sind sie bei uns in der Schweiz verboten.»

Nur eine Halterin ist verärgert über die Pflicht zum Training. Als ihr Schnauzer sich bei einer Laufübung sperrt, mit der Hunden die Angst vor ungewohnten Untergründen wie etwa Rolltreppen genommen werden soll, schimpft sie über «diesen blöden Zwang» und geht.

Herr Marti hingegen ist angetan: «Nina blüht hier auf, und wir beide lernen uns besser kennen.» Auch Michael Lange – ein IT-Techniker aus Deutschland, der in der Schweiz lebt – sind Zeit und Geld für den Unterricht mit seinem niederländischen Hütehund nicht zu schade: «Man wird viel sicherer im Umgang mit seinem Hund. Solche Kurse sollten auch in Deutschland überall Pflicht sein.»

Entsprechende Bemühungen gibt es seit Jahren. Am weitesten ist wohl Niedersachsen, wo 2013 eine gesetzliche Pflicht zum Nachweis der Hundehalter-Sachkunde eingeführt wurde. Allerdings kann die Prüfung dort ohne Teilnahme an theoretischen und praktischen Kursen absolviert werden. Zudem muss man sie nur einmal ablegen – und nicht, wie in der Schweiz, für jeden neuen Hund.

Der deutsche Berufsverband der Hundeerzieher (BHV) sieht die eidgenössische Praxis nicht als Vorbild. «Auch wir wünschen uns gut geschulte Hundehalter», sagt der BHV-Vorsitzende Rainer Schröder. «Aber das sollte – wie beim Hundetraining – nicht über Zwang, sondern über Motivation erreicht werden: mit Steuererleichterungen und Preisnachlässen bei Hundeversicherungen zum Beispiel.»

Die seit 2008 geltenden Schweizer Vorschriften waren Ergebnis einer oft kontroversen Debatte, die durch einen zutiefst traurigen Vorfall ausgelöst wurde: In Oberglatt bei Zürich fielen im Dezember 2005 drei Kampfhunde über einen sechsjährigen Jungen her und bissen ihn zu Tode. Der Kleine war allein unterwegs zu seinem Kindergarten, als ihn die frei herumlaufenden Pittbulls angriffen.

175 000 Schweizer forderten ein landesweites Kampfhunde-Verbot. Doch darauf konnten sich Experten und Politiker in den 26 Kantonen mit unterschiedlich strengen Regeln bis heute nicht verständigen. Quasi als Kompromiss einigten sich die Eidgenossen auf die Pflicht zum Sachkunde-Trainingskurs für Hundehalter – egal ob sie Pitbulls, Rottweiler oder Zierpudel besitzen.

Dagegen läuft Sebastian Frehner Sturm. Freilich nicht weil der Abgeordnete der national-konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) Kampfhunde verboten wissen will, sondern weil er den Aufwand für den Hundeführerschein für bürokratischen Unsinn hält. «Es gibt keine wissenschaftlich fundierten Daten, die die Wirkung dieser Kurse belegen», schrieb er in einem Antrag zur Abschaffung der Hundeschulpflicht an das Parlament.

Wie wolle man auch ernsthaft begründen, «dass es für das Führen eines 1,5 Kilogramm schweren Chihuahua einen Sachkundenachweis braucht, für ein 600 Kilogramm schweres Pferd hingegen nicht», fragte Frehner. Dabei seien Unfälle mit Pferden zahlreicher als Unfälle mit Hunden. Nora Flückiger von der Schweizer Stiftung Tier im Recht forderte hingegen in der «Basler Zeitung» eine Ausweitung der Pflichtkurse: «Das Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung ist weiterhin groß.»

Die Behörden sind einstweilen damit beschäftigt, Hundeschulen-Muffel auf Trab zu bringen. Dafür legt sich die Vereinigung der Schweizer Kantonstierärzte gerade eine moderne Datenbank zu, in der sämtliche der mehr als 450 000 in der Eidgenossenschaft lebenden Hunde und ihre Besitzer erfasst und SKN-mäßig überprüft werden. Anfang 2016 soll sie den Betrieb aufnehmen. Bis dahin haben Hundeschulschwänzer noch eine Schonfrist – es sei denn sie geraten beim Gassigehen ohne gültigen Führerschein in eine Polizeikontrolle.

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