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Auferstanden aus Ruinen: St-Malo

Man sieht nur, was man weiß. Als Teenager bin ich zum ersten Mal durch das Hafenstädtchen Saint-Malo gelaufen, ohne auch nur eine Zeile darüber gelesen zu haben. In Erinnerung blieb ein romantisches Seebad mit Stadtmauer vor dem im Meer eine Insel mit Ruine liegt, auf der wir damals unverhältnismäßig lang herumspazierten – vielleicht auch, weil wir uns einen feuchten Kehricht um die Gezeiten scherten und uns die Flut deshalb den Weg abgeschnitten hatte. Jedenfalls, der Ort verblasste, die Ruine wuchs in meiner Erinnerung zu einem zweiten Mont St-Michel.

Sicht auf Saint-Malo bei Ebbe.

30 Jahre später stehe ich auf der Stadtmauer. Das Inselchen da draußen ist auf Badewannenniveau geschrumpft, die grauen Granithäuser dahinter müssen sich sprunghaft vermehrt haben. Dabei blicken wir nicht wirklich auf die Altstadt von St-Malo, sondern eher auf eine Chimäre. Die im 2. Weltkrieg fast völlig zerstörte Innenstadt ist eine Rekonstruktion der ursprünglichen Bebauung im Stil des 18. Jahrhunderts mit granitverblendetem Beton. Im August 1944, nach der Landung der Alliierten in der Normandie, wurde St-Malo massiv bombardiert, weil der deutsche Festungskommandant Oberst Andreas von Aulock sich weigerte zu kapitulieren.

Nachbau der Kathedrale St-Vincent
Einen Überblick über das graue Dächermeer verschafft man sich am schnellsten mit einem Blick auf den Plan beim Haupttor, der Porte St-Vincent (1709), von wo auch eine Treppe zum Wehrgang hinaufführt. Die Grande Rue führt direkt zur Place de Châtillon mit dem originalgetreuen Nachbau der Kathedrale St-Vincent – in der großen Fensterrose leuchtet freilich modernes Buntglas. Das romanische Hauptschiff mit seinen anglo-normannischen Einflüssen zeugt von der ersten Bauphase im 12. Jahrhundert. Der filigrane Chor ist bereits ein Werk der Hochgotik. Letzte Station des berühmten Forschungsreisenden des 16. Jahrhunderts, Jacques Cartier (1491-1557), ist das Grabmal in der Nordkapelle – zumindest einen frankophonen Teilerfolg in der Neuen Welt beschert (mehr über den Weltenbummler im Manoir Jacques-Cartier aus dem 16. Jahrhundert außerhalb der Stadtmauer – über die Rue David-Mac-Donald-Stewart, Tel. +33 (0)2 99 40 97 73).

Fort National in der Korsarenstadt.

Über die Rue Broussais und die Place Brevet gelangen wir linker Hand am Anfang der Rue de la Fosse zum Hôtel André-Désilles, einem von mehreren Stadtpalästen reicher Bürger. Noch pompöser präsentiert sich das Hôtel Magnon-d”Asfeld, Villa des einstigen Chefs der französischen Ostindien-Kompanie Anfang des 18. Jahrhunderts. Das wuchtige Gebäude mit zwei türgroßen Fensterreihen und Freitreppe befindet sich am Ende der Rue d”Asfeld im geschützten Stadtmauereck.

Meister des Befestigungsbaus

Zurück zur Place Brevet über die Rue de Toulouse und die Rue de Dinan biegen wir in die Rue Saint Sauveur ab, wo sich die gleichnamige Kirche befindet. Die Pläne für den nüchternen Bau, in dem heute Ausstellungen gezeigt werden, stammen vom Architekten und Schiffbauer Siméon de Garangeau (1647-1741). Nachdem er Erfahrungen in Marseille und Brest sammeln konnte, erhielt er den Auftrag für den Bau der Befestigungen und das Küstenfort La Conchée.

Am Ende der Rue Saint Saveur blickt Kanada-Entdecker Jacques Cartier als Statue über eine kleine Grünfläche an der an dieser Stelle etwas ausgebuchteten Stadtmauer. An ihr entlang durch die Rue de la Crosse nach rechts in die Rue du Boyer, gelangt man über die Place des Frères Lamennais zur Église St-Benoît in der Rue Touiller. Auch beim barocken Portal der ehemaligen Kirche ist die Handschrift Garangeaus zu entziffern, auf dessen Entwurf die Ausführung des Bildhauers und Architekten Jean Poulier (1653-1719) beruht.

Das Château Herzog Jeans V.

Der Burg „Quic-en-Groigne“: heute das Rathaus der Stadt.

Schlussspurt innerhalb der Stadtmauern: Über die Rue du Collège und die Rue Châteaubriand gelangt man zu einem der schönsten Plätze der Stadt, der Place Châteaubriand mit dem Schloss. Herzog Jean V. (1339-1399) hatte den Bau der Burg in Auftrag gegeben, Anne von Bretagne (1477-1514) sie zu einem Schloss ausbauen lassen. Heute beherbergt der Komplex mit den zwei bulligen Rundtürmen den Magistrat, das Historische Museum der Stadt und das Museum des Pays Malouin.

Dass sich Herrscher und Beherrschte in St-Malo nicht immer grün waren, kann man an der Inschrift an der Mauer des Turms im Ostflügel erkennen: „Quic en groigne, ainsi sera, car tel est mon plaisir“, ließ Anne von Bretagne adressiert an ihre Bürger trotzig einmeißeln. Sehr frei übersetzt: „Falls euch was nicht passt, mir ist’s egal – wir machen’s so, wie ich‘s will!“ Ebenfalls frei übersetzt, der Spitzname der Burg „Quic-en-Groigne“: „Die Klagemauer“.

Rinderfilet à la Châteaubriand

Im Musée d’Histoire de St-Malo werden Exponate zur Seefahrt und den Prominenten Söhnen der Stadt, wie zum staatlich anerkannten Piraten Robert Surcouf (1773-1827), zum Seefahrer Jaques Cartier (1491-1557) und dem romantischen Schriftsteller François René de Châteaubriand (1768-1848) vor den hohen Granitmauern des Bergfrieds ausgestellt. Die Leibspeise des Autors und Politikers, dessen „Erinnerungen von jenseits des Grabes“ zum Canon der Weltliteratur gezählt werden, kann man sich gegenüber im Hotelrestaurant einverleiben: ein Rinderfilet à la Châteaubriand, dessen Rezept sein Leibkoch erfunden haben soll.

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