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Raubkunst und andere Schätze? Bergbaustollen locken Hobbyforscher

Schätze aus der NS-Zeit oder gar das Bernsteinzimmer? Hobbyforscher interessieren sich für die alten Bergbaustollen im Süden Sachsens. Eine Stelle soll bald geöffnet werden. Zumindest kleinere Funde wollen Experten in dem Gebiet nicht ausschließen.

Für Walter Hemmerlein ist dieser Ort keine einfache Waldlichtung. Er sieht hier mehr als einen längst verschütteten Bergstollen. Der 65-Jährige vermutet einen Nazi-Schatz, verborgen unter alten Fichten, die in einem Wald nordöstlich von Rodewisch im Vogtland stehen. «In einigen Monaten wollen wir die Stelle öffnen», sagt der Hobbyforscher. Alte Geschichten und Dokumente aus seiner Heimatstadt hat er einem Puzzle gleich zusammengesetzt und Experten für alte Bergwerke, Tunnelbauten und Sprengstoff vor Ort geführt.

Diamanten, Gold oder andere Schätze des einstigen ostpreußischen NS-Gauleiters Erich Koch wähnt Hemmerlein an dieser Stelle. Selbst Teile des legendären Bernsteinzimmers will er nicht ausschließen. Eine lange Beweiskette führt er in einem Buch an. «Mich haben wichtige Leserhinweise erreicht, weshalb bald das nächste Buch kommt.» Messungen hätten einen unterirdischen Hohlraum in dem Waldstück in Rodewisch inzwischen bestätigt. Von seinem Großvater kennt Hemmerlein noch Erzählungen über ungewöhnliche Vorgänge in der Stadt am Ende des Zweiten Weltkrieges.

Damals habe sich der Standartenführer des Nationalsozialistischen Fliegerkorps Albert Popp dort aufgehalten – zusammen mit seiner Mannschaft. «Er war Vogtländer und ein Neffe des sächsischen Gauleiters Martin Mutschmann. Popp war mit offiziellen Einlagerungsaktionen von Kunstgut aus den Ostprovinzen beschäftigt.» Vor einigen Jahren sei ein Journalist auf diese Spur in Rodewisch gekommen und habe ein Sparkassen-Konto von Albert Popp dort nachweisen können, der 1978 starb.

Einheimische hätten früher von einem regen Treiben und Transportwagen im Wald bei Rodewisch berichtet, der als Taubenberger Forst bekannt sei, sagt Hemmerlein. «Soldaten sollen Kisten in den Stollen geschleppt haben.» Später seien dort 18 Männer erschossen worden. «Vielleicht, um Spuren zu verwischen», vermutet der Hobbyforscher. Dem Sächsischen Oberbergamt in Freiberg zufolge interessieren sich Schatzsucher in Sachsen besonders für das ehemalige Bergbaugebiet im Süden des Freistaates zwischen Erzgebirge und Vogtland.

«Im zurückliegenden Zeitraum lagen dem Oberbergamt drei konkrete Anfragen zur Suche von Raubkunst oder Kunstgegenständen vor, die in Grubenbauen vermutet werden», sagt Oberberghauptmann Bernhard Cramer. Die angefragten Bereiche befänden sich bei Geyer und Olbernhau im Erzgebirge sowie bei Reichenbach im Vogtland.

Auch Hemmerlein kennt diese Stellen. «Wir Schatzsucher sind in letzter Zeit in Thüringen, im Vogtland und im Erzgebirge in Siebenmeilenstiefeln vorangekommen», betont er. Bisher habe jeder für sich geforscht. «Es deutet sich an, dass damalige Ereignisse von zentraler Stelle gesteuert wurden und keinesfalls nur einen einzelnen Bereich betrafen. Scheinbar steht alles in einem gewissen Zusammenhang.» Deshalb werde aktuell eine Art «Allianz der Schatzsucher» auf die Beine gestellt: «Womöglich könnte es Funde an mehreren Stellen geben.»

Das Oberbergamt hingegen möchte keine Einschätzung darüber abgeben, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, in einem sächsischen Stollen noch etwas Wertvolles zu finden. «Hier ist auf die umfangreichen Such- und Erkundungsaktionen bisher zu verweisen, bei denen keine Kunstgegenstände gefunden wurden», so Cramer. Diese habe es etwa im Poppenwald bei Hartenstein oder im Fortuna-Stollen in Deutschkatharinenberg gegeben.

Wertvolle Gegenstände oder gar Kunstschätze, die in alten, sächsischen Bergbau-Stollen verborgen sind – das möchte Thomas Rudert von der Forschungsabteilung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) nicht völlig ausschließen. «Die Wissenschaft konnte gut aufarbeiten, was mit den großen Kunstsammlungen früherer Nazi-Größen geschehen ist. Hier gibt es kaum offene Fragen. Aber Privatbeute, Teile kleinerer Sammlungen oder Einzelstücke könnten noch an bisher unbekannten Orten versteckt sein», sagt der Mitarbeiter im Bereich Provenienzforschung.

Überraschungen habe es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gegeben. Für Aufsehen sorgte ein Fund in den 1990er Jahren im Moritzburger Wald, in dem Schätze des Wettinischen Herrscherhauses vergraben waren. «Danach schienen archäologische Untersuchungen zu zeigen, dass nichts mehr in dem Wald verborgen sein dürfte. Trotzdem gelang demselben Schatzgräber in unmittelbarer Nähe nur ein paar Monate später eine weitere Entdeckung.»

Ein Jahrzehnt vorher seien in einem zugemauerten Kamin auf der Burg Kriebstein Besitztümer entdeckt worden, die sich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges dort befanden. Und ein Kletterer stieß 2016 in der Sächsischen Schweiz auf einen Schatz aus 1000 Silbermünzen. «Das zeigt, dass sich in Vergrabungsstellen, Stollen oder historischen Gebäuden durchaus wertvolle Stücke befinden können», so Rudert. Das legendäre Bernsteinzimmer hingegen dürfte nach Einschätzung des Experten unauffindbar bleiben, da es höchstwahrscheinlich um 1945 verbrannte.

Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden selbst beobachten die Aktivitäten von Schatzsuchern aufmerksam, sind aber nicht selbst aktiv. «Sie müssen sich an gesetzliche Bestimmungen halten und Funde melden», betont der Experte. «Wir haben weder inhaltliche Gründe, noch die finanziellen oder technischen Möglichkeiten, sie zu unterstützen.»

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