San Francisco (dpa) – Es war ein gewagtes Projekt, das nach
Einschätzung vieler Experten gar nicht zu bauen war: Vor dem Spatenstich stritten sich die Ingenieure, ob die tückischen Strömungen und der enorme Abstand zwischen San Francisco und der gegenüberliegenden Landzunge im Bezirk Marin überhaupt zu bezwingen seien. Eine Brücke sollte das «Golden Gate» – so wurde die knapp zwei Kilometer breite Einfahrt vom Pazifik in die Bucht der Westküstenmetropole genannt – überspannen. Sie musste gut 200 Meter länger sein als alle damals bekannten Hängekonstruktionen.
Am Ende setzte sich ein schmächtiger Ingenieur von knapp 1,60
Meter Größe mit einem kühnen Konzept und Überzeugungskraft durch. Joseph Baermann Strauss, geboren 1870 im US-Staat Ohio, siegte über den Widerstand von Fährleuten, die Skepsis von Geldgebern und Politikern und die wirtschaftlichen Zwänge der Großen Depression. Vor 90 Jahren, am 5. Januar 1933, begannen die Bauarbeiten an dem berühmten Wahrzeichen von San Francisco.
«Der Bau war nach knapp viereinhalb Jahren fertig, schneller als gedacht und knapp unter dem veranschlagten Budget», erzählt Paolo Cosulich-Schwartz. «Einfach unglaublich», fügt der Brückenbezirkssprecher anerkennend hinzu. Die Baukosten betrugen damals 35 Millionen Dollar, nach heutigem Stand etwa eine halbe Milliarde Dollar. Ein Großprojekt wie dieses würde jetzt ein Vielfaches kosten, sagt Cosulich-Schwartz.
«Das mächtige Werk ist vollbracht», erklärte Strauss, Nachfahre deutscher Einwanderer bei der feierlichen Eröffnung am 27. Mai 1937 stolz. 200 000 Menschen spazierten zu dem Anlass über die Golden-Gate-Brücke. Knapp ein Jahr später erlag der Ingenieur mit 68 Jahren einem Herzinfarkt.
Es war ein technisches Wunderwerk: Zwei riesige Pfeiler wurden am Süd- und Nordende der Bucht im Meeresboden verankert. Die Arbeiter kämpften in dem rauen Gewässer mit starken Strömungen und hohen Wellen. Die Türme ragen 227 Meter über der Wasseroberfläche auf. Die beiden mächtigen Hauptkabel – im Durchmesser knapp einen Meter dick und nach einem Patentverfahren des deutschen Einwanderers John Roebling aus 129 000 Kilometern Draht gesponnen – halten die Fahrbahn und zwei Geh- und Radwege in der Schwebe.
Die Golden Gate Bridge erstreckt sich mit An- und Abfahrt über 2737 Meter. Mit einer Spannweite zwischen den Pfeilern von 1280 Metern war sie viele Jahre die längste Hängebrücke der Welt. Erst 1964 stahl ihr New Yorks Verrazano-Narrows Bridge den Titel. Derzeitiger Rekordhalter ist seit März 2022 die türkische Canakkale-1915-Brücke – mit einer Spannweite von 2023 Metern.
Die Golden Gate Bridge zählt zu den meistfotografierten
Brücken der Welt. Der Anstrich im berühmten rötlichen Ton «International Orange» verleiht den Art-Déco-Türmen noch mehr majestätische Eleganz. Mehr als 100 000 Autos und Tausende Fußgänger und Radfahrer passieren täglich die Brücke.
Bei starken Winden kann die Konstruktion mehrere Meter seitlich und zudem auf und ab schwingen. Sie wurde erst drei Mal bei starken Stürmen geschlossen. Die größte Belastungsprobe kam am 50. Geburtstag im Jahr 1987, als 300 000 Menschen von beiden Seiten auf die Brücke strömten, weit mehr als erwartet. Die gewöhnlich leicht nach oben gebogene Fahrtrasse drückte sich unter ihrer Masse durch.
Die kühne Konstruktion hielt es aus, doch die Verantwortlichen waren besorgt. «Wir können mit Sicherheit sagen, dass wir nie mehr so viele Fußgänger auf die Brücke lassen, auch nicht zum 100. Geburtstag», sagt Cosulich-Schwartz mit einem Augenzwinkern.
Strauss war ein wagemutiger Ingenieur und zugleich auf Sicherheit bedacht. Als die Hängekabel angebracht werden sollten, ließ er ein teures Auffangnetz installieren. 19 Arbeiter wurden nach Stürzen, die sonst vermutlich tödlich verlaufen wären, aufgefangen. Sie scherzten damals, dass sie nun dem «Auf halbem Weg zur Hölle»-Club angehörten. Insgesamt kamen elf Arbeiter ums Leben, weit weniger als sonst damals bei Großbauten.
Noch immer fordert die Golden-Gate-Brücke Opfer. Knapp 2000 Menschen haben sich durch den Sprung aus einer Höhe von knapp 70 Metern das Leben genommen, der Erste bereits 1937, drei Monate nach der Eröffnung. Das schätzt die «Rail Bridge»-Stiftung, die sich seit langem für Schutzvorrichtungen einsetzt.
Polizisten und Patrouillen, die regelmäßig auf der Brücke unterwegs sind, würden etwa 85 Prozent der Suizidwilligen von ihrem Vorhaben abbringen, sagt Cosulich-Schwartz. Doch allein 2021 sprangen nach Angaben der Brückenbetreiber 25 Menschen über das nur 1,20 Meter hohe Geländer in den Tod. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.
Doch nach jahrzehntelangen Diskussionen um eine Errichtung von Barrieren ist nun eine Auffangvorrichtung im Bau. «Wir hoffen, dass die Netze auf der gesamten Länge bis Ende 2023 angebracht sind», sagt Cosulich-Schwartz. 2014 hatte der Brückenrat Schutznetzen aus Stahl zugestimmt, doch das teure Bauvorhaben verzögerte sich immer wieder und die Kosten explodierten.
Die Konstruktion ist jetzt schon weitgehend erkennbar. Das Stahlnetz wird sieben Meter unterhalb des Fußwegs angebracht, kaum sichtbar für Spaziergänger. Auf beiden Seiten der Brücke ragt es sieben Meter weit horizontal heraus. Ein Sprung in das Netz könne zu Verletzungen führen, rette aber Leben, sagt Cosulich-Schwartz.
Ein deutsches Unternehmen (Carl Stahl aus Süßen zwischen Stuttgart und Ulm in Baden-Württemberg) liefert die Edelstahlnetze.