Kiew/Moskau (dpa) – Das Kriegsgebiet Ostukraine erlebt die schwersten Gefechte seit Monaten. Innerhalb einer Woche sind in den Reihen der Regierungstruppen und der prorussischen Separatisten jeweils mehr als 15 Kämpfer getötet worden. Dazu einige Fragen und Antworten:
Warum eskaliert die Lage in der Ostukraine wieder?
Dazu gibt es mehrere Theorien: Manche Beobachter sehen die Schuld bei Russland. Mit einer gezielten Eskalation durch die moskautreuen Separatisten wolle Russland die Reaktion der neuen US-Regierung testen, heißt es. Die Kämpfe brachen kurz nach dem ersten Telefonat von Kremlchef Wladimir Putin und US-Präsident Donald Trump aus.
Andere machen die Ukraine verantwortlich. Die neue Gewalt sollte den Besuch von Präsident Petro Poroschenko vergangene Woche in Berlin medienwirksam in Szene setzen, mutmaßen Beobachter. Kiew wolle die Aufmerksamkeit des Westens wieder auf den Konflikt lenken und zudem eine mögliche Lockerung der westlichen Sanktionen gegen Russland verhindern, heißt es.
Einem Bericht des Onlineportals «Ukrainskaja Prawda» zufolge könnte aber auch ein zufälliges Gefecht von Spähtrupps im Frontbereich Auslöser der Eskalation gewesen sein.
Welche Interessen verfolgt die Ukraine?
Ukrainischen Medien zufolge hat die Armee in den vergangenen Wochen «Schritt für Schritt» Gelände gewonnen und ihre Positionen nach vorn verschoben. Kiew will mit einer «schleichenden Offensive» den Frontverlauf von September 2014 wiederherstellen. Nach Darstellung der Ukraine haben die Aufständischen seit 2014 zusätzlich 1500 Quadratkilometer unter ihre Kontrolle gebracht.
Ziel der Regierung könnte den Berichten zufolge auch sein, den Verkehrsknotenpunkt Debalzewe zurückzuerobern, den die Separatisten 2015 nach schweren Gefechten eingenommen hatten. Gebietsfragen und die verschärfte Sicherheitslage gelten in Kiew aber auch als Rechtfertigung, unbeliebte Zugeständnisse an die Separatisten aufzuschieben.
Wie steht Russland zur Eskalation?
Präsident Wladimir Putin wirft der Ukraine vor, die Gewalt provoziert zu haben, um sie Russland vorzuwerfen. «Der Hauptgrund ist, dass die ukrainische Führung Geld braucht. Geld lässt sich bei der EU, den USA und internationalen Finanzinstituten am besten herausziehen, wenn man sich als Opfer einer Aggression darstellt», sagt er.
Putins Sprecher Dmitri Peskow vermutet Freiwilligenbataillone hinter der Eskalation. Peskows Aussage, die Separatisten hätten hoffentlich «genug Munition», um zu reagieren, wird in Kiew als Drohung gewertet. Russland weist Vorwürfe zurück, die Separatisten mit Soldaten oder Waffen zu versorgen. Sollte Moskau als Aggressor dastehen, könnte das indes eine Annäherung an die USA erschweren.
Wie geht die Zivilbevölkerung mit der Situation um?
In der Industriestadt Awdijiwka harren noch etwa 15 000 Menschen aus. Manche suchen nachts in Kellern Schutz. Andere schlafen hinter dicken Wänden im Hausflur oder in ihrem Badezimmer. Der Winter im Donbass ist bitterkalt. Hart getroffen hat die Menschen daher der Ausfall von Strom, Wasser und Heizung.
Inzwischen wurden Heizungs- und Wasserversorgung wiederhergestellt, die Stromleitungen werden noch repariert. Nur wenige Hundert Menschen, vor allem Kranke und Kinder, ließen sich von den Behörden in andere Gebiete bringen. Wohneigentum in der Stadt ist eine Garantie für ein Dach über dem Kopf. «Niemand braucht uns», ist eine stark vorherrschende Meinung.
Wie geht es jetzt weiter?
Das ist nur schwer abzuschätzen. Bei früheren Eskalationen beruhigte sich die Lage nach einigen Tagen wieder, und die Konfliktparteien kehrten an den Verhandlungstisch zurück. Die Umsetzung des sogenannten Minsker Friedensplans steckt aber seit langem in einer Sackgasse. Ein Rückzug der Truppen entlang der Frontlinie zeichnet sich nicht ab. In der Ukraine werden auch Stimmen lauter, die den Friedensprozess ablehnen.
Bewegung könnte eine mögliche Annäherung zwischen Russland und den USA bringen. Sollte es auch an anderen Frontabschnitten zu Eskalationen kommen, könnte Präsident Petro Poroschenko das Kriegsrecht verhängen und eine Mobilmachung verkünden. Dadurch könnte das Militär unter anderem Polizeiaufgaben übernehmen und Kontrollen vornehmen. Die Lage würde sich verschärfen.