Peking (dpa) – Die Unterschiede sind überall erkennbar. Emmanuel Macron lobt Chinas Positionspapier zum Ukraine-Konflikt als interessanten «Friedensplan». Ursula von der Leyen verwirft ihn als «einfach keinen gangbaren Plan». Die EU-Kommissionspräsidentin warnt vor wirtschaftlichen Abhängigkeiten von China, will Risiken minimieren. Frankreichs Präsident will die Geschäfte eher ausbauen. Landet seine Maschine mit viel Pomp auf dem Pekinger Flughafen, fliegt von der Leyen lieber Linie. Und während Chinas Staatsmedien Macrons Ankunft als Eil-Meldung groß verkünden, wird von der Leyen kaum erwähnt.
Allerdings sind sich beide Spitzenpolitiker einig, dass Europa mit China reden muss. Macron hatte die Kommissionspräsidentin trotz unterschiedlicher Sichtweisen zur Teilnahme an seinen Gesprächen mit Staats- und Parteichef Xi Jinping am Donnerstag eingeladen. Manche spekulieren über verteilte Rollen nach dem Motto «Good Cop, Bad Cop» – «Guter Polizist, böser Polizist». Aber während diese Taktik oft als erfolgversprechend gilt, zeigt sich für China nur wieder europäische Uneinigkeit, die es seit jeher auszunutzen weiß, indem die Akteure gegeneinander ausgespielt werden.
China betrachtet Europa allein durch die Brille seiner geopolitischen Rivalität mit den USA. Auch ist Peking überzeugt, dass die Europäer nach der Pfeife der Amerikaner tanzen. «Das ist schon befremdlich», meinte ein europäischer Diplomat. Es gebe «null Verständnis», was das Bündnis zwischen Europa und den USA bedeute. Peking hat nun eine Charmeoffensive gestartet, um einen Keil zwischen Europäer und Amerikaner zu treiben. «Die transatlantischen Bande sind stark und fußen seit Jahrzehnten auf Vertrauen und einer tiefen Freundschaft», wies von der Leyen solche Versuche in Peking zurück.
Macron hingegen fiel keineswegs durch Kritik an China auf, hielt sich selbst mit einer Verurteilung Russlands zurück. Frankreichs Präsident ist in Peking ein willkommener Gast und wird mit besonderer Aufmerksamkeit belohnt. Xi Jinping trifft ihn gleich zweimal – am Freitag erneut in der südchinesischen Metropole Guangzhou. Insgesamt verbringt er fünf bis sechs Stunden mit ihm. Der Staatsbesuch wird als Möglichkeit für einen Neustart gesehen – als wenn nichts wäre.
Dabei ist das Verhältnis so schlecht wie nie: Differenzen gibt es nicht nur über den Schulterschluss mit dem Aggressor Russland, sondern auch über die Unterdrückung in Hongkong, die Verfolgung der Uiguren und Tibeter, die Territorialansprüche im Ost- und Südchinesischen Meer, Chinas Aufrüstung und Drohungen gegen das demokratische Taiwan, die unzureichende Marktöffnung oder den Einsatz von Handel als politisches Druckmittel.
Die sehr kritische China-Rede der EU-Kommissionspräsidentin, die vergangene Woche viel deutlichere Worte als andere EU-Spitzenpolitiker fand, wird von chinesischer Seite lächelnd abgetan. «Ich hatte den Eindruck, als wenn zwei Leute miteinander streiten», kommentierte der chinesische Botschafter in Brüssel, Fu Cong. «Diese Zweideutigkeit bedeutet, dass Europa keine kohärente Politik gegenüber China formuliert hat.»
Der Diplomat hat den Warnschuss möglicherweise nicht gehört. Macron mag zwar französische Interessen verfolgen, aber die Kommissionspräsidentin arbeitet an der neuen China-Strategie der gesamten europäischen Gemeinschaft. «Chinas Führung macht sich große Sorgen, was da kommt», sagen EU-Diplomaten in Peking. Nicht nur in Brüssel, auch in Berlin wird an einer eigenen China-Strategie gearbeitet, die einen Wendepunkt markieren dürfte: keine Abkopplung, aber Risikominimierung. «Unsere Beziehungen sind nicht entweder schwarz oder weiß – und auch unsere Antwort kann es nicht sein», meinte von der Leyen direkt vor ihren Gesprächen.
Illusionen über Xi Jinping macht sie sich nicht: «Weit davon entfernt, sich von der grausamen und illegalen Invasion der Ukraine abschrecken zu lassen, pflegt Präsident Xi seine «unbegrenzte Freundschaft» mit Putin», sagte von der Leyen in ihrer viel beachteten Rede. In Peking ließ der Staats- und Parteichef die Besucher aus Europa auflaufen. Statt seine Freundschaft mit Putin nutzen zu wollen, um in der Ukraine endlich Frieden zu schaffen, zog er sich auf wohlklingende Appelle zurück. Es sei «einfach und billig», nur nach Frieden zu rufen, aber nichts dafür zu tun», werfen ihm ausländische Kritiker schon länger vor.
Für von der Leyen wird Chinas Umgang mit Russland ein «bestimmender Faktor» im Verhältnis zu Europa sein. China habe sich verändert, sei «im Inland repressiver und im Ausland selbstbewusster» geworden. «Das Ziel der Kommunistischen Partei Chinas ist ein systemischer Wandel in der Weltordnung mit China in der Mitte.»
Macrons Reise wirkt da eher wie «business as usual», vor allem, indem Airbus in alter Manier einen Deal besiegelte, eine zweite Montagelinie in seinem Werk in Tianjin aufzubauen. Macron warb auch damit, das vor drei Jahren wegen chinesischer Sanktionen gegen EU-Parlamentarier auf Eis gelegte Investitionsabkommen mit der EU wiederbeleben zu wollen – obwohl von der Leyen wie auch EU-Diplomaten in Peking die Vereinbarung als längst überholt beschreiben: «Wir müssen es neu überdenken.»
«Wir sollten uns erinnern, dass Versuche, Russland durch das Angebot einer wirtschaftlichen Partnerschaft zurückzuhalten, gescheitert sind», warnte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis auf Twitter. «Putin wurde in Wirklichkeit durch unsere Flexibilität ermutigt, nicht überzeugt. Ähnliche Taktiken würden auch China ermutigen. Lasst uns nicht den gleichen Fehler zweimal machen.»