Regensburg/Dakar. Es ist ein Spiel mit Widersprüchen. Tom Neumeier postet aus seinem Hotel in der Hauptstadt des Senegals einen Artikel über das Burka-Verbot im Neutraublinger Schwimmbad. „Die Leute hätten hier gerne solche Probleme“, schüttelt er verständnislos den Kopf. „Die Top-Models, mit denen ich hier arbeite, stehen mit einem Fuß im Gefängnis – muslimische Frauen können bereits in einem Badeanzug verhaftet werden.“
Die Reinheit des seidenen Umhangs
Im Swimmingpool über den Dächern der westafrikanischen Metropole rekelt sich ein rotes Geschöpf im azurblauen Wasser. Erschreckend schön wird das später auf den Fotografien des Oberpfälzers aussehen, der in Nürnberg Konzeptkunst studierte. Auf den ersten Blick ein Blutfleck im Wasser, der sich ausbreitet, eine feuerrote Qualle, die geschmeidig ihren Schirm im Wasser treiben lässt. Niemand, der dieses Schauspiel sieht, käme auf den Gedanken, dass der seidene Umhang der Frau schmutzig sein könnte – Neutraublings Bürgermeister müsste sich um die Hygiene nicht sorgen.
Und auch muslimische Sittenwärter müssten zugeben: Diese Models sind züchtig bedeckt, da gibt‘s nichts zu beanstanden. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Denn natürlich macht gerade dieses Vexierspiel den Reiz der Szene aus. Die polymorphe, im Wasser schwebende blutrote Seide verhüllt die Banalität des kommerziellen Cat-Walk. Nicht die vermarktbare Perfektion eines dünnen Frauenkörpers steht hier im Fokus, sondern das Geheimnis, das der Stoff verhüllt: „Unter einer dünnen Hautschicht sind alle Menschen gleich – dieser ganz besondere Saft des Lebens ist Rot, auch wenn wir außen bleich, braun oder schwarz sind.“
Burka, Badehose oder Baseball-Cap
In der Kunst und im wirklichen Leben sollten die inneren Werte zählen: Man möchte es in einer aufgeklärten Welt nicht für möglich halten, dass manche noch immer den Wert des Menschen an der Pigmentierung seiner Haut festmachen. „Genau so absurd ist es, die kulturelle Identität an einem Stück Stoff festzumachen – das Kopftuch, die Burka, Badehose oder Baseball-Cap“, sagt der Fotograf.
In Europa kann ein Stück Stoff inzwischen darüber entscheiden
1444 entdeckte der Portugiese Dinis Dias Afrikas westlichste Spitze, auf der Franzosen im 18. Jahrhundert ein Fort hochzogen. 1857 wurde Dakar rund um die Befestigung gegründet.
Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert wurden hier Sklaven nach Nord- und Südamerika sowie nach Europa verschifft. Die der Küste vorgelagerte Insel Gorée (heute Weltkulturerbe) war Hauptumschlagsplatz des Sklavenhandels.
Der Senegal wurde am 20. August 1960 ein unabhängiger, demokratischer Staat mit Mehrparteiensystem. Allerdings führte das Erbe der Kolonialzeit, die Abhängigkeit von wenigen Exportgütern wie Erdnüssen, Phosphaten und Fisch, rasches Bevölkerungswachstum und Staatsverschuldung ab den 1980er Jahren zu Verarmung und wachsenden sozialen Spannungen.
Heute ist der Senegal ein bitter armes, von Krediten der Industrie- und Erdölländer und Entwicklungshilfe abhängiges Land mit erschreckend hoher Analphabetenrate.
, ob man dazugehört oder nicht. In manchen islamischen Ländern sogar über Sein oder Nicht-Sein. Mit aller Brutalität, zu denen Menschen fähig sind, reicht der kleinste Unterschied für drastische Konsequenzen – von der Ausgrenzung bis zur Vernichtung der Existenz.
Tom Neumeier, Künstlername Tom Leather, dreht den Spieß um: „Wenn man früher was Kritisches über die Politik in Bayern sagte, hieß es – geh halt rüber! Heute hört man, mach‘ das mal in einem islamischen Land.“ Der Regensburger befolgt diesen Appell und macht damit Furore: Senegalesische Fernsehsender berichten über den Exoten mit dem Beuys-Hut und dem Faible für die „soziale Skulptur“. Das Goethe-Institut ist an dem Projekt interessiert.
Und eine Kunsthistorikerin, die für ein großes Londoner Auktionshaus tätig ist, findet sogar, der Oberpfälzer habe eine neue Art von Fotografie erfunden: „Form exchange“, nennt sie das in bestem Denglish, der Austausch von Formen. Oder panta rhei, wie der alte Heraklit schrieb: Alles fließt und ändert sich – das Wasser, in das der Badegast seinen Fuß hält, ist schon nicht mehr dasselbe wie vor zehn Minuten.
Der Oberpfälzer jedenfalls fühlt sich in Dakar, dieser Oase am Atlantik umgeben von der riesigen Sahara, angekommen und aufgenommen – neudeutsch: fast schon integriert. Und das, ohne bei seinen Gastfreunden die bayerischen Prägungen verleugnen zu müssen. Anstatt Ängste und Abwehr entfacht der Exot Neugier: „Sogar eine Anwältin von Präsident Chérif Macky Sall hat Kontakt zu mir aufgenommen.“
Sehnsucht nach Freiheit
Die Ausstellungseröffnung am Wochenende im Hotel „La Manoir“ ist ein gesellschaftliches Event ersten Ranges – keine trockene Vernissage mit hochtrabenden Reden, sondern eine Eröffnungsparty am Pool Gelände mit afrikanischer Lebenslust, französischen und senegalesischen DJs und Neumeiers neuen Freundinnen, den Topmodels des Landes: „Wir haben das Gefühl, das wir hier gemeinsam Grenzen einreißen können, während sie woanders wieder hochgezogen werden“, sieht er seinen Auftrag als noch nicht erfüllt. „Die Mädchen haben eine Hoffnung: frei zu leben, wie wir wir das in Europa können.“ Mit der Einschränkung: „Falls wir uns vom Terror nicht verrückt machen lassen und unsere Freiheit an Rechtspopulisten ausliefern.“