Wien (dpa) – Plötzlich wirkt alles friedlich und entspannt. Nach einem Polit-Krimi sondergleichen herrscht am Montagabend im Garten des Palais Schönburg in Wien die wohlige Atmosphäre einer gelungenen Gartenparty. Eine gute Stunde nachdem Österreichs Innenminister Wolfgang Sobotka endlich das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl verkündet hat, tritt der künftige Staatschef vor die Presse. Es ist schon in diesem Moment ein Auftritt mit Symbol-Charakter: Hinter Alexander Van der Bellen weht nicht nur die rot-weiß-rote Fahne der Alpenrepublik, sondern auch die blaue Europaflagge mit ihren zwölf Sternen.
«Österreich hat bewegte Stunden hinter sich», beginnt der 72-jährige Van der Bellen im dunklen Anzug sein zehnminütiges Statement. Dabei wirbt der Wirtschaftsprofessor für das Gemeinsame und eine neue Gesprächskultur – auch gerade mit Blick auf die vielen Wähler der rechten FPÖ, deren Kandidat Norbert Hofer mit 49,7 Prozent knapp verloren hat. Offenbar fühlten sich viele Menschen «nicht ausreichend gesehen oder gehört oder beides», sagte er. «Wir werden eine andere Kultur brauchen.» Politik müsse sich den realen Sorgen und Nöten der Menschen zuwenden. Statt von einem Graben, der Österreich trenne, spreche er lieber von zwei Hälften, die beide zu Österreich gehörten. «Die eine Hälfte ist so wichtig wie die andere.»
Österreichs Außenminister hatte schon vor der Bekanntgabe des Endergebnisses versucht, die national wie international hochgefahrene Aufregung rund um die Wahl zu glätten. «Es war eine freie und faire demokratische Wahl in Österreich. Was immer das Ergebnis sein wird, wir werden ein verlässlicher Partner in der EU bleiben», schrieb Sebastian Kurz (ÖVP) am Montagmittag auf Twitter.
Die Präsidentenwahl in Österreich hatte am Sonntag zunächst ein historisches Patt ergeben. Tags darauf fuhr FPÖ-Kandidat Norbert Hofer (45) schließlich mit 49,7 Prozent ein Rekordergebnis ein – noch nie waren die Rechtspopulisten in Österreich so stark. «Weckruf» und «Signal» waren in Reaktionen aus Brüssel bis Berlin viel strapazierte Begriffe.
In Österreich selbst versuchten die Kandidaten nach Wahlschluss, nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Van der Bellen zollte noch am Sonntagabend in der ORF-Wahlsendung seinem Kontrahenten seinen Respekt für dessen Einsatz. Auch werde er sich im Ausland dafür einsetzen, dass das Land differenziert wahrgenommen werde. Nicht alle Wähler der «Blauen» – das ist die Farbe der FPÖ – seien rechts. «Das ist nur ein Teil, vielleicht ein kleiner Teil. Der andere Teil der Wähler ist zornig, wütend über die Vergangenheit des Stillstands.»
Am Montag schrieb Hofer über seine Niederlage auf Facebook: «Natürlich bin ich heute traurig. Ich hätte gerne für Euch als Bundespräsident auf unser wunderbares Land aufgepasst.» Zunächst war das alles. Erst am Dienstag will die FPÖ sich wieder äußern – unter anderem zur Frage, ob sie die Wahl anfechten wird.
Jedenfalls geht es nach dieser Wahl um das Brückenbauen. «Österreich politisch zerrissen», titelte am Montag das Boulevardblatt «Kronen Zeitung» zum 50:50-Ergebnis. Dabei geht es um mehr als ein «Unentschieden». Die beiden Lager trennen Welten. «Die denken bei fast jedem politischen Thema ganz anders», sagt der Politologe Peter Filzmaier. Ein einziges Motiv scheinen die Wähler von Van der Bellen und Hofer laut Wahlanalysen gemeinsam zu haben: Den Ärger über die rot-schwarze Koalition in Wien. «Die “Verärgerten” haben Hofer gewählt, die “Enttäuschten” Van der Bellen», sagt Filzmaier.
Nicht von ungefähr kam der Slogan Hofers vom «neuen Amtsverständnis» des Bundespräsidenten gut an. Eine Aktivierung des «schlafenden Riesen» in der Hofburg wünschen sich viele Wähler. Er solle auf seine Art dafür sorgen, dass es dem von Rekordarbeitslosigkeit geplagten Land wieder besser geht. Wenn Van der Bellen auch seine Gegner mittel- und langfristig gewinnen will, muss er deren Angst vor dem Abstieg, vor einer Verschlechterung der Lebensqualität ganz ernst nehmen.
Van der Bellen wurde getragen von einer Anti-Hofer-Bewegung. 48 Prozent seiner Wähler haben ihm vor allem deshalb ihre Stimme gegeben, weil sie Hofer verhindern wollten. «Van der Bellen ist für viele zu links, bürgerliche Wähler auf dem Land taten sich schwer», meint die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle.
Wahlbestimmend war das Stadt-Land-Gefälle. In den Städten konnte der 72-jährige passionierte Raucher – Rauchen ist in Österreich längst nicht so verpönt wie in Deutschland – eine große Anhängerschaft versammeln. Zugespitzt: Das «rote Wien» hat ihm die Staatsspitze gesichert. Dort sammelte er bei der Urnenwahl 61 Prozent, bei der Briefwahl gar um die 70 Prozent ein. Das reichte für den knappen Sieg. Mit seiner dezidiert EU-freundlichen Haltung wird Van der Bellen in den EU-Mitgliedsstaaten mit Freude empfangen werden.
Die FPÖ kann sich damit trösten, dass sie sich nicht nur nach ihrer Lesart mit dem Verlauf der Bundespräsidentenwahl ohnehin Verdienste um das Land erworben hat. Kanzler Werner Faymann (SPÖ) warf nach dem Elf-Prozent-Debakel des SPÖ-Kandidaten in der ersten Runde und des gleichzeitigen FPÖ-Triumphs selbst der Handtuch.
«Mit seinem Sieg im ersten Wahlgang hat Hofer das ausgelöst, worauf Millionen Österreicher gehofft haben», sagt der Chef des Meinungsforschungsinstituts OGM, Wolfgang Bachmayer. Dafür hat die FPÖ jetzt mit Christan Kern als Bundeskanzler und künftigen SPÖ-Chef ein anderes politisches Kaliber vor der Nase. Vielleicht ein Eigentor, wie manche Beobachter meinen.