Berlin (dpa) – Davon träumen sie bei der AfD: Knapp 50 Prozent der Wähler für die Rechtspopulisten in Österreich, da ist man in Deutschland doch noch ein Stück entfernt. Am Ende hat es nicht ganz gereicht für den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer, aber stolz sind sie hier bei der AfD schon auf das Ergebnis in Wien. Parteichefin Frauke Petry sieht den Beginn einer neuen Ära der europäischen Politik.
Und während die Grünen sich über das Ergebnis ihres Parteifreundes Alexander Van der Bellen freuen dürfen, sind Union und SPD bestenfalls erleichtert, dass ein Triumph der Rechten gerade noch einmal verhindert werden konnte.
Dass es Hofer in Österreich nur auf 49,7 Prozent der Stimmen brachte, kann kein Grund zur Genugtuung für die etablierten Parteien sein. Denn das Ergebnis beschreibt zumindest das Potenzial des Protestes gegen eine offene Politik in der Flüchtlingskrise. Der AfD-Mit-Vorsitzende Jörg Meuthen lobte in einer ersten Reaktion die «klare und mutige Position» Hofers in der Asylfrage. «Wir sind nicht das Sozialamt der Welt», hatte der gesagt, und damit breite Zustimmung gefunden.
Gar nicht auszumalen, was in vielen Ländern Europas passiert, wenn sich die Lage an den Grenzen wieder zuspitzt, etwa bei einem Scheitern des EU-Türkei-Abkommens. Auch wenn es andere Themen für die Populisten gibt, Niedrigzinsen etwa oder die gerade verdrängte Griechenland-Krise: Migration und die Angst vor «Überfremdung» vor allem treiben FPÖ und AfD die Wähler zu.
Die Stärke der Rechtspopulisten hat – in Österreich wie in Deutschland – eine offensichtliche Kehrseite, nämlich die Schwäche der anderen Parteien, vor allem der Konservativen und Sozialdemokraten. Für die SPD sind Umfragewerte um die 20 Prozent mehr als eine Warnung. Noch relevanter sind die Zahlen der Union, zuletzt bei nur 32 Prozent.
«Ein Alarmsignal für Volksparteien, im Kern eine Abwahl der Volksparteien», sagt CSU-Chef Horst Seehofer, noch bevor das endgültige Ergebnis im Österreich bekannt war. Der Bayer kennt auch Gründe: Über viele Jahre hätten ÖVP und SPÖ nicht mehr reformiert, nicht mehr erneuert, nicht mehr auf die Bürger gehört. «Irgendwann gibt es dann den großen Knall an der Wahlurne». Das gilt nicht nur für Österreich.
Auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sieht die Präsidentenwahl im Nachbarland als Warnsignal. Das Ergebnis sei ein Weckruf an alle Demokraten, gegen Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz vorzugehen. In keinem Land sei ein Durchmarsch von Populisten mehr ausgeschlossen.
Während in Wien noch die Stimmen der Briefwähler gezählt wurden, trat in Berlin der deutsche Bundespräsident ans Rednerpult. Zuvor war spekuliert worden, Joachim Gauck könnte den «Tag des Grundgesetzes» nutzen, um seine Absichten bezüglich einer zweiten Amtszeit zu klären. Aber das tat er nicht, und auch die Wahl des österreichischen Staatsoberhaupts ließ er unkommentiert.
Aber er hatte doch eine Botschaft: Radikalisierung kann das öffentliche Klima vergiften, aber Stillschweigen und Wegducken sind auch keine Lösung. «Spannungen löst man nicht, indem man andere ausgrenzt und Meinungen stigmatisiert. Spannungen löst man durch Offenheit und durch Gegenargumente.»
Die AfD nutzt nebenbei die Debatte über die Zukunft Gaucks und wirbt für die Direktwahl des Bundespräsidenten auch in Deutschland. Die Forderung ist populär, nach einer «Bild»-Umfrage sind 60 Prozent genau dieser Meinung. Bundestagpräsident Norbert Lammert ist «heilfroh», dass das in Deutschland anders läuft. Klar ist, dass die stärkere Stellung des Staatsoberhaupts in Österreich – verglichen mit dem deutschen Bundespräsidenten – ihre Legitimation auch aus diesem plebiszitären Verfahren zieht.
«Volkes Stimme» ist ein Schlüsselwort der neuen Rechten, mehr direkte Demokratie war auch eine Wahlkampf-Forderung des FPÖ-Kandidaten Hofer. «Diese Politik will Volkes Stimme stärker machen und sieht sich selbst als der Führer des Volkes», sagt dazu der Politikwissenschaftler Hajo Funke. Der Verdruss an den etablierten Parteien kommt in direkten Abstimmungen ungefiltert zum Ausdruck.
Volksabstimmungen über Europafragen gehen dabei besonders oft ins Auge, zuletzt in den Niederlanden. Die EU-Institutionen in Brüssel sind ein beliebtes Feindbild der Rechtspopulisten, auch die FPÖ hat diese Karte gespielt. Am 23. Juni stimmen die Briten über den Verbleib in der EU ab. Das könnte bei einer Mehrheit für den «Brexit» noch mehr als ein «großer Knall» werden, manche befürchten einen Super-GAU für die europäische Integration.